Wer nie irgendwo hinfährt (außer einmal im Jahr nach Jesolo), kann trotzdem ein ziemlich interessantes Bild von Europa bekommen. Er muss nur den Eurovision Song Contest schauen. Da bekommt man eine gute Vorstellung, wie es sich in Europa so lebt. Auch wenn sie vielleicht nicht immer so ganz exakt stimmt. Eine Reise durch Europa und Youtube.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Picturedesk/Henning Kaiser/Montage

1. Moldawien

Moldawien muss so etwas wie eine Land gewordene Pankahyttn oder ein Ernst-Kirchweger-Haus mit eigener Verfassung sein, ein Land mit rauen Sitten und karger Grundausstattung, mit anarchistischen Einsprengseln und, ganz wichtig, fairen Bierpreisen. Wie sonst kann man erklären, dass dieses Land, von dem keiner weiß, wo es ganz genau liegt, immer mal wieder eine Punk-Band zum Song Contest schickt?

Insgesamt zweimal trat die in Moldawien sehr populäre Band Zdob si Zdub an, eine Mischung aus Red Hot Chili Peppers und The Clash, nur eben aus Osteuropa und mit noch schlechterem Englisch. Übrigens dürften Moldawier sehr selbstironisch sein: 2011 betraten sie die Bühne nämlich mit überdimensionalen Zwergenmützen. Passend für das Land mit dem niedrigsten BIP in Europa.

Moldawiens Auftritt beim ESC 2011.
Eurovision Song Contest

2. Bosnien

In Bosnien scheint Stricken ein großes Ding zu sein – oder besser: Stricken und Heiraten. Denn immer mal wieder treten die ESC-Teilnehmer aus Bosnien entweder im Casual Strick oder in Brautkleidern und Hochzeitsanzügen auf. Am konsequentesten setzte das 2008 der bosnische Nationalheld Laka um. Er wusch auf der Bühne nämlich nicht nur seine weißen Hemden und hängte sie zum Trocknen auf einer Leine auf, er ließ im Hintergrund gleich vier Bräute in vollem Ornat Pullover stricken. Es muss ziemlich kalt sein da in Bosnien.

Bosnien-Herzegowinas Song im ESC-Finale 2008.
PastTV

3. Kaukasus:

Armenien, Georgien, Aserbaidschan: Die südöstlichste Ecke der Eurovision-Region dürfte von ganz besonders schlimmen Winden geplagt sein, und das hat dazu geführt, dass sich die Bewohner auch nur wohlfühlen, wenn sie eine Steife Brise um die Nase spüren. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich Sängerinnen aus dieser Region aus Prinzip vor orkanartige Windmaschinen stellen.

Aisel mit "X My Heart", Aserbaidschans Beitrag 2018
Eurovision Song Contest

4. Baltikum

Vom Wiener Sofa aus sind die baltischen Länder kaum zu unterscheiden, und leider bietet der ESC in diesem Fall auch keine wirkliche Orientierungshilfe. Was aus dem Baltikum kommt, ist fast durchgehend schräg – und zwar unabhängig von lästigen Grenzen. Balten sind entweder Piraten (die Letten, 2008) oder einen ganzen Song am Boden sitzende Meerjungfrauen (Litauen, 2018), sie sind entweder übergewichtige Männer, die zwischen nackten Frauen tanzen (Estland, 2008), entschieden zu selbstbewusste Anzugträger (Litauen, 2006, der Song nannte sich We are the Winners) oder leidenschaftliche Bäcker (Lettland, 2014, der Song hieß Cake to Bake). Kurioserweise gewinnen Balten hin und wieder den Song Contest, was dazu führt, dass man dann erst recht einen Atlas befragen muss.

A Cake To Bake: der Beitrag Lettlands 2014.
Eurovision Song Contest

5. Großbritannien

Briten sind durch die Bank schlecht angezogene Menschen, die, um ihren schlechten Kleidergeschmack zu kaschieren, oft lieber gar nichts anziehen. Sollten sie doch ein paar Fetzen für die Bühne brauchen, holen sie sich Jeans bei Primark und schneiden Löcher hinein. Wenn der ESC in Südeuropa stattfindet, bringt das die Sonnenbrandspuren ganz besonders gut zur Geltung. Was die meisten Briten verbindet, ist, dass sie nicht singen können (Jemini, 2003).

Jemini mit "Cry Baby" im Jahr 2003.
2000ESC2003

6. Frankreich

Frankreich ist das Land der Barthaare, immer schon gewesen, Franzosen ohne Moustache werden offenbar mit Ausreiseverbot belegt und sind für den Song Contest deswegen keine Option.

Vorsorglich singen manche Franzosen sogar über ihre Bärte, nur damit da kein Zweifel aufkommt (Twin Twin, 2014, Moustache). Und wenn sich der Schnauzer nicht ausgeht, dann muss zumindest ein Dreitagebart her (Amir, 2016). Wie ein wirklicher Franzose auszusehen hat, das hat der großartige Sébastien Tellier 2008 gezeigt: Bei seinem Auftritt beim Finale in Belgrad hatte nicht nur er einen unglaublichen Vollbart, sondern auch seine Backgroundsängerinnen.

Sébastien Tellier mit dem Song "Divine" 2008 beim Song Contest in Belgrad.
Eurovision Song Contest

7. Finnland

Finnen hatten lange Zeit das Image von in Alkohol eingelegten Fischstäbchen. Dann kamen 2006 Lordi und gewannen den Scheiß. Seitdem denkt man bei Finnen an in Alkohol eingelegte White Walker aus Game of Thrones.

Lordis Auftriff beim ESC 2006.
Eurovision Song Contest

8. Irland

Iren sehen aus wie Johnny Logan, die Brüder von Johnny Logan, die Schwestern von Johnny Logan oder wie seine Urgroßeltern. Iren, die nicht aussehen wie Johnny Logan, dürfen zum Wohl der irischen Fremdenverkehrswerbung die Insel nicht verlassen. Über das Verwandtschaftsverhältnis von Johnny Logan mit dem "Turkey from Ireland" , einem Truthahn aus dem irischen Kinderprogramm, wird gerätselt – der vertrat 2008 Irland in Belgrad.

Dustin The Turkey als Gegenprogramm ...
MusicOfTheWorld2008
... zu Johnny Logan: "Hold Me Now" , 1987.
ESC 1989

9. Deutschland

Deutsche gehen auf die Bühne, lachen, und wenn sie schon dabei sind, nehmen sie meistens einen Holzhammer mit. Deutsche ziehen sich gerne verhaltensauffällig an (Stefan Raab, 2000), Deutsche haben Probleme mit hängenden Toupets (Guildo Horn, 1998), Deutsche tragen gerne Hüte (Roger Cicero, 2007). Deutsche heißen wie Milchkühe auf dem Biohof (Michelle, 2001; Corinna, 2002; Lou, 2003; Gracia, 2005; Lena, 2010 und 2011; Cascada, 2013; Elaiza, 2014; Ann Sophie, 2015; Jamie-Lee, 2016; Levina, 2017). Deutsche hätten gerne ein bisschen Frieden (Nicole, 1982), und wenn sie den mit der Gitarre nicht ersingen, dann ziehen sie dir den Holzhammer drüber.

Lena, die Gewinnerin von 2010 mit dem Song "Satellite".
Eurovision Song Contest

10. Bonus: Österreich

Österreicher sehen aus wie Alf Poier und haben die Stimme von Andi Knoll. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht mit dem Holzhammer.

Alf Poier, 2003.
SepiNight

(Markus Huber, 18.5.2019)