In Österreich stoßen passionierte Barzahler fast nirgendwo auf Probleme, ihre Scheine und Münzen loszuwerden. In China ist das anders. Dort haben mittlerweile selbst Supermärkte oft nicht mehr das nötige Wechselgeld. Jährlich erledigen 600 Millionen Chinesen ihre Zahlungen direkt mit dem Smartphone – und immer öfter auch mit einem Lächeln. Dafür muss der Kunde an der Kassa kurz in eine Kamera schauen, fertig. Per biometrischer Identitätsverifizierung ist der Zahlvorgang abgeschlossen. Sogar immer mehr Bankomaten funktionieren per Gesichtserkennung, um – ironischerweise – Bargeld auszuspucken.

In China verzichten immer mehr Läden auf Bargeld, Bankomatkarten oder mobile Bezahlungsmethoden mit dem Smartphone. Das Gesicht alleine reicht.
Goldthread

Auch in zahlreichen Fastfood-Ketten und Elektrofachgeschäften Asiens dient der Gesichtsabgleich als Zahlungsmittel. Oder sogar Eintrittskarte: Einige kassenfreie Supermärkte lassen sich erst nach Gesichtsscan betreten. Dort werden die dem Regal entnommenen Produkte mit einem kurzen Nicken in die Kamera beglichen. All das funktioniert, indem die neuen Bilder mit bereits vorhandenen Personendaten blitzschnell verknüpft und abgeglichen werden.

Lukrative Sonderangebote verleiten die Kundschaft dabei gezielt zur Nutzung dieser neuen Systeme. Auch ganze Hotels setzen bei Check-ins sowie Essens- und Getränkebestellungen oder anderen Upgrades nur mehr auf das Gesicht als Bezahlmethode. In U-Bahn-Stationen werden damit bereits testweise automatisch Fahrten abgerechnet – in Spitälern Medikamentenrechnungen direkt bezahlt.

Was bringt das?

Die Vorteile des "Smile to pay"-Systems, wie Alibaba- und Alipay-Gründer Jack Ma die neueste Errungenschaft seines Riesenkonzerns gerne beschreibt, liegen auf der Hand. Es ist zunächst einmal sehr praktisch: nie mehr Stress an der Kassa wegen einer vergessenen Geldbörse. Gestohlen werden kann ein Gesicht auch nicht.

Vor allem aber ist das System sehr sicher: Technologieskeptiker vermuteten zwar immer wieder, dass man mit Masken oder gar mit einem einfachen Foto oder Video einer Person solche Programme hinters Licht führen könnte. Die Technik aber ist mittlerweile so ausgereift, dass mit bestimmten High-End-Geräten ein Betrug praktisch unmöglich ist. Das Marketing für die Gesichtserkennungssoftware betont vor allem diesen Sicherheitsfaktor.

Ist das wirklich sicher?

Durchaus. Der Software hilft es dabei, wenn sich Menschen vor der Kamera leicht bewegen, den Mund öffnen oder einfache Grimassen schneiden.

Mithilfe sogenannter "nodal points" lassen sich einmalige Erkennungsmuster speichern und wiedererkennen.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Damit misst die Kamera in 3D-Manier diese menschlichen Züge mit bis zu 16.000 Netzknotenpunkten im Gesicht aus und erkennt so signifikante Tiefen, Schatten und Abstände im Gesicht wieder. Auch eine neue Frisur, starkes Make-up, eine neue Brille oder tiefe Augenringe vom Schlafentzug machen der Software nichts aus.

Zieht Europa nach?

Bargeld ist in Europa – mit Ausnahme des Nordens – immer noch sehr präsent. Für hiesige Verhältnisse wirkt Bezahlen per Gesichtserkennung zunächst einmal befremdlich. Doch auch hier bewegt sich viel an Kassa und Bankomat: Plastikkarten lösen Münzen und Papier immer öfter ab, die Schnellkassen nehmen zu. Das betrifft besonders hohe, aber zusehends auch ganz kleine Beträge, für die man nicht Unmengen an Kleinkupfer zusammenklauben oder retour bekommen möchte.

Die spanische Caixa-Bank erlaubt bereits die Geldbehebung an Bankomaten per Gesichtserkennung.
CaixaBank

So können die Kunden der spanischen Caixa-Bank seit Februar dieses Jahres an über 20 Bankomaten per Gesichtserkennung Geld beheben. Die Bank hatte vor der Einführung ihre Kunden nach deren Meinung gefragt. Zwei Drittel wollten Gesichtsscans als Option, vor allem der Sicherheit wegen. Im Lauf des Jahres will die Bank weitere Bankomaten auf die neue Technik umrüsten. Und das spanische Kreditinstitut BBVA lässt in seinem Hauptquartier mittlerweile rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter per Gesichtserkennung bezahlen – etwa fürs Mittagessen in der Kantine.

Und in Österreich?

Da ist man zögerlich. Ein Rundruf in Österreichs Bankenlandschaft ergibt, dass automatische Gesichtserkennung vorerst nur als zusätzliche Zwei-Faktor-Authentifizierung, etwa für das Benutzen von Banken-Apps am Smartphone, eingesetzt wird. Banken müssen nämlich ab September 2019 mindestens zwei von drei gängigen Merkmalen für die Authentifizierung benutzen, betont die Santander Consumer Bank gegenüber dem STANDARD. Sprich: Der Kunde kann sich etwas merken (etwa einen PIN-Code oder ein Passwort), etwas besitzen (etwa eine Bankomatkarte) oder etwas herzeigen (etwa sein Gesicht oder seinen Fingerabdruck). Wenn beim mobilen Banking von Kunden zwingend zwei Faktoren verlangt werden, ist gut möglich, dass Gesichtserkennung da als schnelle, einfache Lösung immer öfter zum Tragen kommt.

Voraussetzung dafür wird wohl auch sein, dass mittels 3D-Scan gearbeitet wird und das Herzeigen eines Bildes oder Videos nicht für die Authentifizierung reicht– wie das die neuesten Apple iPhones bereits beherrschen. Die biometrischen Daten liegen dabei nicht bei der jeweiligen Bank, sondern direkt am Smartphone des Benutzers.

Keine automatisierte, sondern eine herkömmliche Gesichtserkennung durch den Menschen, ist mittlerweile auch online immer öfter bei Banken zu vernehmen.
Stadtsparkasse München

Bank-Austria-Pressesprecher Matthias Raftl erklärt dem STANDARD bezüglich der automatisierten Gesichtserkennung, etwa zum Beheben von Geld an Automaten aber, dass man derzeit nicht an solchen Lösungen wie in Spanien arbeite: "Denn die Umsetzung der technischen Lösung macht auch die Speicherung der Biometriedaten von Kundinnen und Kunden notwendig. Daher sehen wir für ein derartiges Angebot in Österreich nur sehr bedingte Akzeptanz." Auch bei der Erste Bank betont man, dass Bankomatbehebungen mittels Gesichtserkennung "derzeit überhaupt kein Thema" sind.

Was die Kritiker sagen

Anders ist das in China, wo die Bevölkerung permanente Überwachung durch den Staat gewohnt ist. Die Herausgabe persönlicher Daten stößt auf wesentlich weniger Widerstand als in Europa.

Bild nicht mehr verfügbar.

Auch täuschend echt wirkende Masken sollen nicht zum Bankenbetrug reichen. Die Software soll menschliche Mimik erkennen können.
Foto: REUTERS/Kwiyeon Ha

Beim Zahlen mittels Gesichtsscans erfolgt sie außerdem freiwillig. Insofern lässt sich der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware nur bedingt mit der begründeten Skepsis vor staatlicher Überwachung in Verbindung bringen. Iwona Laub von der Grundrechts-NGO Epicenter Works betont jedoch, dass Gesichtserkennung zum Bezahlen zwar grundsätzlich erlaubt sei, aber die "explizite Einwilligung der Betroffenen" benötige. "Im Gegensatz zur Überwachung, die durch den Staat vorangetrieben wird, hat der Nutzer solcher Finanzangebote im besten und optimalen Fall die Möglichkeit", stattdessen konservative Zahlungsmittel zu verwenden, so Laub zum STANDARD.

Der US-Anbieter Apple kommt mit seinem Bezahlsystem nur sehr langsam in Schwung.
Erste Bank und Sparkasse

Aus Sicht der Datenrechtsexperten von Epicenter Works wäre Bezahlen per Gesichtserkennung nur in Ordnung, "wenn der Nutzer aufgeklärt ist, ausdrücklich der Sammlung und Verarbeitung der Daten einwilligt und jederzeit einen Rückzieher machen kann". Außerdem müsse er von Anfang an die Möglichkeit haben, den Einsatz der Technologie abzulehnen. Die entsprechenden Daten dafür gelte es "mit besonderen organisatorischen und technischen Maßnahmen" zu sichern. Alles, was darüber hinausgehe, wie beispielsweise Offline-Tracking für Werbezwecke, "sollte aber gar nicht erst implementiert werden" und ist abzulehnen, so Laub.

Was kommt da noch?

Was dabei nicht vergessen werden darf: Asiens Vorreiter wie Alipay oder Wechat Pay wurden in einem großteils deregulierten Bankensektor groß, erlauben fast alles von Geldverleihen bis Kreditebeziehen, bieten auch sonst allerlei technische Möglichkeiten, sich zu vernetzen oder zu kommunizieren, und erreichten dadurch binnen weniger Jahre eine enorme Marktmacht. Der Fintech-Riese Ant Financial, der Alipay betreibt und mit rund 150 Milliarden US-Dollar das am teuersten bewertete Start-up der Welt ist, ergatterte im vergangenen Jahr mit 14 Milliarden US-Dollar Investitionssumme nur knapp zwei Milliarden weniger als alle europäischen und US-Finanztechnologien zusammen. Zudem zeigt der Finanzriese immer deutlicher in Europa Präsenz.

Hieß es zunächst noch, man wolle lediglich den finanzkräftigen und spendierfreudigen chinesischen Touristen oder auch Studierenden eine bequeme und vertraute Möglichkeit des Bezahlens im Ausland bieten, so glauben Analysten, dass die nicht mehr nur bei Luxusmalls immer häufiger auftauchenden QR-Codes asiatischer Bezahlapps mit einer langfristigen Strategie der Unternehmen erklärt werden könnten. "Wenn du einmal eine Seite eines zweiseitigen Marktes gut abgedeckt hast, hast du einen enormen Vorteil", sagte Martin Chorzempa, Research Fellow am Peterson Institute for International Economics, unlängst zu "Quartz". Will heißen: Sobald die Handelsketten, Restaurants und großen Internethändler flächendeckend die Möglichkeit bieten, mit asiatischen Apps zu bezahlen, will man mit einer Marketingoffensive auch den europäischen und US-Markt aufmischen.

Wer ist der Erste?

Auch österreichische Start-ups wie Bluecode – quasi ein europäisches Alipay im Kleinformat, das auch mittels Strichcodes und Scans Zahlungen abwickelt – könnten dazu beitragen, den asiatischen Status quo in Österreich zu etablieren. Vor allem, weil Kooperationsabkommen – etwa mit Alipay – bereits bestehen. Womöglich dann auch öfter per Gesichtserkennung. Denn vergleichbare finanzielle und soziale Alleskönner-Apps wie Wechat und Co existieren bisher kaum.

Bleibt am Ende die Frage, ob die Luxusketten im ersten Wiener Gemeindebezirk, die Duty-Free-Shops am Flughafen Wien-Schwechat oder doch heimische Banken als Erste Kameras neben der Kassa montieren. Zunächst vielleicht nur, um chinesische Touristen zu anzulocken. Schon bald könnte es aber auch der österreichischen Bevölkerung ein "Bezahlen mit dem Gesicht" erlauben. (Fabian Sommavilla, 24.5.2019)