Wo ist hier das Gericht? Josef K. (Marcin Pempus) stolpert in Krystian Lupas langatmiger Inszenierung von Franz Kafkas "Prozess" durch verschiedene Bildebenen.

Foto: Hueckel-Studio

Am Ende zieht Krystian Lupa noch einmal alle Register. Nackt und wie ein Häufchen Elend sitzt Josef K., der zwischendurch auch Franz K. genannt wurde, im Kirchengestühl. Eine Kathedrale wie ein Schutthaufen umgibt ihn, ein Kaplan erklärt ihm "das Gesetz". Es ist dies die berühmte Legende, in der ein Mann vom Land "Eintritt in das Gesetz" verlangt und daran scheitert. Die Pausen sind quälend lang, Hoffnungs- und Sinnlosigkeit vermischen sich in einer perfekt inszenierten Atmosphäre der Aussichtslosigkeit.

Über fünf Stunden dauert zu diesem Zeitpunkt bereits Lupas Annäherung an Kafkas Romanfragment Der Prozess. Neben den überlieferten Kapiteln im Anfangs- und Endteil hat der polnische Regisseur Szenen mit Kafkas Herausgeber Max Brod und seiner Verlobten Felice Bauer und dessen Freundin Grete Bloch hinzugefügt, einige Male hat er die polnische Politwirklichkeit aufblitzen lassen und immer wieder das Licht in der Halle E des Museumsquartier aufgedreht: Seht her, scheint er zu sagen, diese Geschichte von Willkür und Ausgeliefertsein hat einiges mit der Gegenwart zu tun.

Von Breslau nach Warschau

Zum Abschluss des turbulentesten Politwochenendes seit Gedenken hätte es dieses Hinweises nicht bedurft. In Polen musste die Inszenierung von Breslau, wo die PiS-Regierung einen genehmen Theaterdirektor installiert hat, nach Warschau ausweichen. Vier Theater taten sich zusammen, um das Kafka-Projekt schließlich 2017 zu stemmen. Jetzt tourt es als eine Art "Inszenierung der Stunde" von Festival zu Festival.

Und das, obwohl Lupas Zugriff alles andere als ein aktionistisch-politischer ist. Der Vorzeigeregisseur des polnischen Theaters ist ein großer Literaturverdichter. Seine Thomas-Bernhard-Abende sind legendär, um Kafka, erzählt er im Programmheft, habe er bis jetzt einen Bogen gemacht.

Stolpersteine

Seine Inszenierung von Prozess erzählt denn leider auch von den Stolpersteinen, die er sich selbst in den Weg gelegt hat. Dabei fängt der Abend mit einer hohen atmosphärischen Dichte an. Verloren steht der hagere Josef K. (Marcin Pempus) vor seiner sockenstopfenden Vermieterin. Wie in einem Resonanzraum werden seine Worte von gemurmelten Kommentaren aus dem Off begleitet, auch visuell überschreiben sich durch Videoeinspielungen die Ebenen.

Aus dem Takt kommt der Abend im zweiten Teil durch den Einzug einer biografischen Ebene. Verloren und nackig finden sich Kafka und seine Gefährten in Eisenbetten wieder. Die Präzision weicht Pastelltönen, die Kälte der Darstellung einer Schwammigkeit der Sätze. Davon erholt sich der Abend erst im Finale. (Stephan Hilpold, 20.5.2019)