65 Regierungen in 73 Jahren seit der Republikgründung. Die längste überlebte fast vier Jahre, bei der kürzesten wurde hingegen schon nach elf (!) Tagen der Stecker gezogen: Italien – so bemüht man dort gern ein halb scherzhaftes, halb verzweifeltes Bonmot – braucht gar keine Regierung. Es geht auch so, trotz einer horrenden Staatsverschuldung von über 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – die Maastricht-Kriterien lassen eigentlich nur 60 Prozent zu – und trotz der oft sehr hohen Zinsaufschläge auf Staatsanleihen.

In Europa ist schnell die Rede von "italienischen Verhältnissen", wenn eine Regierung verschlissen ist wie ein Paar Schuhe. So wie gerade jetzt in Österreich, wo Bundeskanzler Sebastian Kurz erst seit knapp 530 Tagen im Amt ist und schon wieder Neuwahlen anstehen. So betrachtet erinnert Österreich sehr wohl an Italien, inklusive großen Aufruhrs hinter den Kulissen und vor den Kameras. Sogar die krisengewohnten Italiener wundern sich bereits, was alles in Österreich möglich ist.

Expertenkabinett ruft Horrorbilder hervor

Die Idee, die Zeit bis zu den vorgezogenen Neuwahlen mit einem "Expertenkabinett" zu überbrücken, ruft bei vielen ebenfalls Horrorbilder aus Italien hervor. Drei "governi tecnici" gab es dort, mal gemischt, mal exklusiv mit "Experten" statt Parteipolitikern besetzt. Doch diese Seite der "italienischen Verhältnisse" ist besser als ihr Ruf.

Sowohl Carlo Azeglio Ciampi und Lamberto Dini in den von Korruptionsskandalen erschütterten 1990er-Jahren, als auch Mario Monti während der in Italien besonders schweren Wirtschaftskrise von 2011 bis 2013 haben bewiesen, dass parteiunabhängige Fachleute ein Land durchaus eine Zeitlang regieren können, bis das Schiff in ruhigeres Fahrwasser kommt.

Gemeinsame Agenda als Voraussetzung

Voraussetzung dafür war freilich in allen drei Fällen ein Kabinett, das eine gemeinsame Agenda verfolgt; und ein Parlament, das seine Unterstützung mehrheitlich nicht nur zusichert, sondern sich auch tatsächlich daran hält. Und siehe da: Drei Mal hat das Parlament in Rom die Technokraten trotz massiver Streitereien arbeiten lassen.

Das neue Wiener Expertenkabinett ist damit nicht zu vergleichen. Waren in Italien tatsächlich unabhängige Regierungschefs am Werk, hat Kanzler Sebastian Kurz nicht vor, die Zügel aus der Hand zu geben. Und auch der Ruf der SPÖ nach einer reinen Expertenregierung dient nicht einer Reformagenda, sondern wahltaktischen Vorteilen. (Gianluca Wallisch, 21.5.2019)