Noch nie in der Zweiten Republik wurde ein Bundeskanzler vom Nationalrat abgesetzt. Am Montag könnte es so weit sein. Kurzsichtige Oppositionspolitik?

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Josef Christian Aigner hält wenig vom oppositionellen Ansinnen, Kurz per Misstrauensantrag im Nationalrat als Bundeskanzler abzusetzen. Im Gastkommentar erklärt der Psychoanalytiker, es sei naiv zu glauben, dass Kurz als Nichtbundeskanzler eine schlechtere Ausgangsposition bei Wahlen hätte.

Kanzler Sebastian Kurz hat uns – bei zugestandener geringer Alternative damals – eine Koalition mit der Strache-Kickl-FPÖ und damit die denkbar beschämendste Regierung beschert, die man sich vorstellen kann. Sicher steht er manchen FPÖ-Inhalten näher als seine Kritiker und hat diese Inhalte aus (rechts)populistischen Gründen auch zu seinen gemacht (siehe Migrationspolitik oder zuletzt seine EU-Schmähungen). Dass er den rechtsextremen Rülpsern aus FPÖ-Kreisen, die sich als "Einzelfälle" faktisch wöchentlich über unser Land ergossen, ablehnend gegenübersteht, sollte man ihm fairerweise glauben.

Innenpolitisches Wadlbeißen

Nun kann, ja muss man kritisieren, dass Kurz angesichts dieser Rülpser nicht schon längst die Reißleine gezogen hat. Aber jetzt hat er sie gezogen, ja ziehen müssen. Er hat nicht mehr gezögert, den umstrittensten blauen Minister zur Entlassung vorzuschlagen, um dann bis zur Wahl Experten die Ressorts führen zu lassen. Immerhin. Und dies in Absprache mit dem "linken" Bundespräsidenten, ohne taktische Rücksicht darauf, dass ihm nun im allgemeinen innenpolitischen Wadlbeißen seine Abwahl per Misstrauensantrag bevorstehen könnte.

Genau das kündigte nun die Jetzt-Parteivorsitzende von Pilzens Gnaden, Maria Stern, an. Doch auch die SPÖ bellt kräftig in diese Richtung, nicht nur, wenn man ihrer Forderung nach Ablösung auch der ÖVP-Minister nicht nachkommt. Die beleidigte FPÖ könnte nun das ihrem politischen Format entsprechende primitive Rachebedürfnis befriedigen und den Kanzler mit stürzen. Ist das konstruktive, reife Politik?

Kurz-Marionetten

Die ÖVP-Minister haben ja eigentlich nichts in der Dimension von Strache/Kickl angestellt, warum also werden sie jetzt ebenso untragbar? Dass Kurz ansonsten "alleine" regieren könnte, erklärt die unabhängigen Experten auf blauen Ministersitzen zu dummen Kurz-Marionetten. Auch das Parlament wird vergessen, das ja noch da und zu Bedeutenderem als fragwürdigen Misstrauensanträgen gut ist. Und die (vielen) Anhänger von Kurz, die die ÖVP gewählt haben: Würde ihn seine Demontage bei den Wahlen nicht noch stärker machen?

Als einer, dessen politische Präferenzen lebenslang auf der Herzseite angesiedelt waren, frage ich mich, was die oppositionelle "Linke" reitet: Destruktion, kurzatmige Revanche- und Hassimpulse, Vergeltungslust und enttäuschte Machtgelüste. Sind das Merkmale einer reifen demokratischen Kultur? Wenn die Regierung Kurz etwas bewiesen hat, dann das, dass die Wähler landauf, landab ungustiöse Streitereien in der Politik ablehnen. Generell scheint es mir ein wichtiger Grund für den Politiküberdruss zu sein, dass die Leute von politischem Zank, von andauernder Bosheit und politischer Raffinesse, die wie das Amen im Gebet erfolgen, die Schnauze gestrichen voll haben. "Wie du mir, so ich dir", "Warte nur, bis wir das Sagen haben!", dem Gegner "ordentlich ans Zeug flicken", Andersdenkende am besten ganz aus jeder Entscheidungsfindung ausschalten, auch wenn die Mehrheit noch so dünn ist: Das und andere primitive Impulse sind die traurigen Maximen herrschender Politik. Bei derartigem Hickhack steht die Linke der Rechten leider oft um nichts nach.

Oppositioneller Trugschluss

Kurz hat sich einiges zuschulden kommen lassen. Ja. Er hat der extremen populistischen Rechten die Tür zur Macht geöffnet. Ja. Er ist ein Vertreter einer konservativen, unternehmerfreundlichen, ökologisch halbherzigen, migrationspolitisch populistischen und nach oben umverteilenden Politik. Ja. Deshalb muss er, ungeachtet der konkreten politischen Situation und Momentaufnahme staatlicher Instabilität weg? Nein!

Dies ist kein Pro-Kurz-Appell, im Gegenteil: Ich halte es für ziemlich naiv zu meinen, Kurz hätte beim derzeitigen politischen Klima in Österreich nach seiner Absetzung als Kanzler bei den Wahlen als Nichtbundeskanzler eine schlechtere Ausgangsposition. Das Gegenteil könnte der Fall sein.

Wer den Erfolg der Türkisen unter Ignoranz der gegenwärtigen politischen Stimmung noch mehr als zu befürchten fördern will, der stimme bei einem Misstrauensantrag mit. Besser sollte manche Oppositionspartei trachten, sich nicht für die Zeit nach den Wahlen jede Annäherung zur Bildung einer anderen als der nun gescheiterten Regierung zu erschweren oder zu verbauen. (Josef Christian Aigner, 22.5.2019)