"So ein wunderbares Programm, und wir verlieren Tagesreichweiten", leitet Ö1-Chef Peter Klein die Präsentation der Zahlen des Radiotests ein. Die Erläuterung der Verlaufskurven sorgt für nachdenkliche Gesichter. Auf Einwürfe der Redakteure folgt Kleins Appell: "Selbstmitleid allein wird nicht reichen, wir müssen uns irgendwie irgendetwas überlegen."

Zweieinhalb Jahre haben die Filmemacher Jakob Brossmann und David Paede für "Gehört, gesehen – Ein Radiofilm" die tägliche Arbeit des Kultursenders Ö1 begleitet und Exemplarisches zutage gefördert.
Foto: Filmladen Filmverleih

Bereits relativ früh in ihrer Dokumentation Gehört, gesehen – Ein Radiofilm veranschaulichen Jakob Brossmann und David Paede, dass auch der "gemessen an seiner Reichweite erfolgreichste Kultursender Europas" Ö1 keine Zwängen enthobene Insel des Hehren und Schönen ist. Die Zahlenpräsentation ist eine von mehreren Szenen, in denen jener Druck spürbar wird, dem Qualitätsjournalismus in einer von massiven Umbrüchen geprägten Medienlandschaft ausgesetzt ist.

Streifzug durchs Funkhaus

Gehört, gesehen ist als Streifzug durch die unterschiedlichen Abteilungen im Wiener Funkhaus in der Argentinierstraße samt Abstechern zu Außeneinsätzen angelegt. Zweieinhalb Jahre waren Brossmann und Paede mit der Kamera unterwegs. In 90 Drehtagen entstanden rund 200 Stunden Filmmaterial, das von Alexandra Schneider auf Spielfilmlänge verdichtet wurde.

Auf Interviews und einen erklärenden Off-Kommentar haben die beiden Regisseure ebenso verzichtet wie auf Einblendungen von Namen und Berufsbezeichnungen. Zwar werden Ö1-Fans dennoch mancher Lieblingsstimme ein Gesicht zuordnen können. Dem Film geht es aber vor allem ums Exemplarische, um verallgemeinerbare Funktions- und Produktionsweisen – eine Herangehensweise, die an die Arbeiten des großen US-Dokumentaristen Frederick Wiseman erinnert, der sich in seinem vorletzten Film Ex Libris mit der New York Public Library ebenfalls einer renommierten Institution widmete, deren gesellschaftlicher Nutzen sich nur unzureichend monetär abbilden lässt.

Trailer zu "Gehört, gesehen – Ein Radiofilm".
Filmfonds Wien

Immer wieder sitzen wir in Gehört, gesehen mit Hörfunkmitarbeitern am Konferenztisch und vor dem Mikrofon, stehen in der Pause mit ihnen auf dem Gang, sind bei Musikeinspielungen und stressiger Wahlberichterstattung vor Ort. Der Filmschnitt von Alexandra Schneider sorgt für einen eleganten Fluss, der sich wie der Alltag be- und entschleunigt.

Was Gehört, gesehen so spannend macht, ist, dass es sich eben um kein Denkmal für einen Sender handelt, der während der Dreharbeiten sein 50-Jahr-Jubiläum feierte. Statt einer ehrfürchtigen Rückschau bekommen wir intime Einblicke in die Herausforderungen in einer Umbruchphase, begleitet von der tagtäglichen Selbstreflexion der Journalisten.

Politischer Druck

Wir werden nicht nur Zeugen der Entwicklung neuer Logos, Signations und Sendeformate wie Des Cis, sondern auch ökonomischer Zwänge im Hintergrund, die einen Redakteur zu der Bemerkung veranlassen, dass Sparmaßnahmen "keinen Spielraum" mehr lassen.

Zum ökonomischen Druck gesellt sich der politische. Einer der Gäste, die sich im Filmverlauf im Hörfunkstudio einfinden, ist der einstige FPÖ-Obmann und ORF-Dauerkritiker Heinz-Christian Strache, damals noch nicht Vizekanzler und ganz im Wahlkampfmodus, etwa in der Zeit des #IbizaGate-Drehs 2017. Die Frage an ihn hat auch nach Straches Rücktritt vor wenigen Tagen nichts an Brisanz verloren: Was macht ein Machtwechsel mit den Medien? Demnächst bekommt auch Ö1 einen neuen Chef.

Am Ende des tatsächlich unbedingt sehenswerten Films stehen nicht nur erfreuliche Zahlen. Es ist auch klar, dass einer aufgeklärten Gesellschaft ein Medium wie Ö1 sehr viel wert sein sollte. (Karl Gedlicka, 23.5.2019)