Wenn die Umfragen auch nur annähernd recht behalten, wird die heutige Europawahl in Großbritannien bestätigen: Nigel Farage gehört zu den einflussreichsten Politikern der weltweit siebtgrößten Industrienation und damit auch Europas. Wie mit Ukip vor fünf Jahren dürfte der Chef der Brexit-Party auch diesmal den Urnengang praktisch im Alleingang gewinnen.

Damit rächt sich die Unfähigkeit der konservativen Regierung unter Premierministerin Theresa May, einen tragfähigen Brexit-Kompromiss zu erarbeiten. Der von Farage geforderte "No Deal", also der chaotische Austritt, basiert ja auf Slogans, die May selbst viel zu lang herumposaunte. Als sie schließlich von ihren Maximalforderungen abwich und mit der EU ein sehr ordentliches Vertragspaket aushandelte, war ihre Glaubwürdigkeit schon dahin.

Fairerweise muss man aber auch sagen: Die linken und liberalen EU-Freunde haben in den drei Jahren seit dem Referendum keine Lösung gefunden, wie sich das politisch und wirtschaftlich schädliche Ergebnis revidieren ließe. Die 17,4 Millionen Brexit-Wähler zu dummen Rassisten zu erklären und auf deren Aussterben zu warten ist keine kluge Strategie, sondern gefährlich. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich den Umfragen zufolge nicht annähernd so stark verändert, um ein neues Referendum zu rechtfertigen. Großbritannien und die EU sollten den Brexit endlich umsetzen – Wiederannäherung nicht ausgeschlossen. (Sebastian Borger, 22.5.2019)