8.000 Musiker aus 15 Ländern treffen sich jedes Jahr im August bei der Dudelsack-WM im schottischen Glasgow.

Foto: APA/AFP/ANDY BUCHANAN

Anti-Brexit-Demos sind in Glasgow häufig und werden immer wieder von Dudelsackbläsern angeführt.

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Robyn McKay, Dudelsackbläserin und Studentin, hält ihren Pass hoch: Sie befürchtet zukünftig Probleme, wenn sie im EU-Ausland studieren möchte.

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Mit schwingenden Röcken und aufgeblasenen Backen marschieren die Männer im Gleichschritt in die Arena. Aus ihren Dudelsäcken quellen Laute, die manchen die Landschaften Schottlands vor das innere Auge zaubern. Für andere hört es sich einfach nur melancholisch an. So oder so, es sind Töne, die die Seele berühren.

Seit über 30 Jahren findet im August die Dudelsack-Weltmeisterschaft in Glasgow statt. Heuer könnte sie klingen wie ein gewaltiger Trauermarsch, wie ein unfreiwilliges Abschiedskonzert der Schotten aus der EU. Sie haben sich bei der Abstimmung im Jahr 2016 zu fast zwei Dritteln gegen den Brexit ausgesprochen. Wenn man drei Jahre danach Einwohner der ungemein modern wirkenden Stadt auf den bevorstehenden Austritt anspricht, findet sich so gut wie überhaupt kein Befürworter. Anti-Brexit-Demos sind in Glasgow häufig und werden immer wieder von Dudelsackbläsern angeführt. Dennoch soll es bei dem Wettbewerb am 16. und 17. August einmal mehr nur um die Musik gehen.

Ein Genre, viele Töne

Rund 8.000 Musiker aus 15 Ländern versammeln sich dann auf dem Glasgow Green, dem berühmtesten Park der Stadt. Dabei trägt jeder der über 200 Clans seinen Rock, den Kilt. Das Webmuster Tartan zeigt, ähnlich einem Wappen, die Zugehörigkeit zu den Familien an. Dudelsackspielerin Robyn gehört zum Clan der McKays. Einer ihrer Vorfahren hat bei seiner Unterschrift immer wieder das "a" vergessen, also wurde aus dem typischen "Mac" ein "Mc". Dafür ist in McKays Familie über die Jahrzehnte auch etwas dazugekommen. In das Muster ihres Kilts hat sich ein grelles Orange geschummelt.

Mit 14 Jahren packte Robyn McKay ihren Dudelsack und flog nach Irland, um mit einer bekannten irischen Band zu spielen. Dort lernte sie, 13 unterschiedliche Töne aus dem Instrument zu zaubern und klassische Elemente mit modernem Sound zu vermischen. Mittlerweile gilt die junge Frau als Star dieses Genres. "Anstrengend ist das Spielen nicht", meint die 21-jährige, "wenn man es kann, ist es wie Auto fahren." Erklären kann sie ihre Liebe zu dem Instrument nicht. "Meine Eltern haben mich nie dazu ermutigt, und in meiner Familie spielt niemand Dudelsack." Neben diesem Instrument beherrscht sie auch Flöte, Klavier und macht Stepptanz. "Man muss flexibel sein, um als Musiker Geld zu verdienen." Doch die Chancen für junge Musiker stehen in Glasgow eigentlich ganz gut.

Bier und Schweiß

King Tut's Wah Wah Hut ist der wichtigste Club für Talente in der Stadt. Dort wurde die Popband Oasis entdeckt, die Liste weiterer Entdeckungen ist lang. Vor der Bühne jubelt die Menge, in der Luft liegt der Geruch von Bier und Schweiß, der Boden pickt. An der Bar schenkt der glatzköpfige Wirt Whisky zum Kosten aus, dabei kommt man schnell ins Gespräch und erfährt, dass hier jedes Jahr über 100 Konzerte stattfinden. Der Eintritt ist fast immer frei.

Ähnlich lebendig wie die Musikszene ist in Glasgow die Architektur. Die alten Backsteingebäude der Arbeitersiedlungen und die spanisch-barocke Fassade der Kelvingrove Art Gallery bilden einen harten Kontrast zu den kühlen Glasfassaden der Versicherer, die Einkaufszentren vermitteln Science-Fiction-Flair. Der berühmteste Architekt der Stadt, Charles Rennie Mackintosh, schuf aber schon im 19. Jahrhundert höchst moderne Gebäude und Inneneinrichtung. Darunter Lampen, die wie Ufos aussehen, oder Sessel mit Armlehnen, die über den Kopf hinausragen und ihre futuristischen Auftritte in Filmen wie Blade Runner hatten.

Gute Akustik für Dudelsäcke

Robyn McKay interessiert sich nicht besonders für Architektur, trägt aber einen Ring im Mackintosh-Stil – "den habe ich von meiner Großmutter geerbt". Sie zeigt auf ihren Lieblingsplatz in Glasgow: die Teestube am Botanischen Garten, eine stille Oase in der Großstadt. Folgt man von hier aus dem Clyde River, gelangt man zur großen Konzerthalle mit Platz für 14.000 Gäste. Am Abend sieht das Gebäude mit dem wenig charmanten Namen SSE Hydro aus wie ein beleuchteter Kuchen. Vor dem Eröffnungskonzert 2013 ließ Rod Stewart die Akustik mit Dudelsacktönen testen.

Für ein gutes Glas Whisky geht man in eines der vielen familiengeführten Pubs wie das Bon Accord, nur ein paar Minuten Fußweg vom Konzertgebäude entfernt. Das Lokal trug bereits den Titel der "besten Whisky-Bar im Vereinigten Königreich", was vermutlich an dem gigantischen Sortiment von 400 Whiskysorten mit echten Raritäten liegt. Doch selbst Biertrinker kommen hier auf ihre Kosten: Allein 800 Sorten Ale werden in diesem Pub ausgeschenkt.

Instrument beherrschen

Robyn trinkt nur selten Alkohol, "eigentlich unüblich für Musiker, aber ich könnte dann nicht mehr spielen", sagt sie und gibt sich auch sonst recht ernsthaft: Sie möchte während ihres Studiums ins Ausland gehen, vor allem in Länder, wo der Dudelsack ebenfalls Tradition hat. Dort will sie die Situation von Frauen untersuchen, die das Instrument beherrschen. Bislang ist das ein ausgesprochen männliches Metier.

Ob sie eines Tages die Dudelsack-WM auf dem Glasgow Green gewinnen wird, kümmert sie derzeit am allerwenigsten. Zuletzt konnte man Robyn McKay vor dem Rathaus von Glasgow stehen sehen, wo sie der Sackpfeife traurige Töne entlockte und dazu anmerkte: "Ich habe für den Verbleib in der EU gestimmt, weil es mir wichtig erscheint, als Musikerin und als Studentin." (Monika Hippe, 2.6.2019)