Liebeskummer, Mobbing, Einsamkeit: Wer als junger Mensch Sorgen hat, bespricht diese manchmal lieber mit Gleichaltrigen. Das Rote Kreuz bietet eine Hotline – und sucht immer wieder Berater.

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Ihre ersten Gespräche mit besorgten Jugendlichen wird Roxana Gol nie vergessen. "Ich war extrem nervös." Das war im Herbst 2016. Wenn bei Roxana alle zwei Wochen das Telefon klingelte, dann waren am anderen Ende Jugendliche mit Problemen. "Liebeskummer, Stress und Streit mit den Eltern oder mit den Freunden waren meistens die Gründe für einen Anruf", sagt die 20-Jährige. Ihre Nervosität kann Gol damals schnell ablegen. "Ich habe rasch gemerkt, dass mein Gegenüber noch aufgeregter ist als ich."

Gol ist ehemalige Beraterin bei Time 4 Friends, einem Projekt des Roten Kreuzes. Die Idee dahinter: Ein offenes Ohr für Jugendliche zu bieten, die aktuell mit Problemen zu kämpfen haben – von Schule bis Familie. Die Umsetzung: eine kostenlose Hotline. Das Besondere dabei: Es heben nicht Erwachsene, sondern Gleichaltrige ab.

Anregungen aus Skandinavien

Anregungen dafür habe man sich vor allem aus dem skandinavischen Raum geholt, sagt Renate Hauser, Leiterin des Jugendrotkreuzes. Warum aber sollen Junge bessere Ansprechpartner sein? "Es gibt Dinge, die Jugendliche ungern mit Erwachsenen besprechen. Genau dafür ist das Angebot da. Speziell ausgebildete Peers hören zu und helfen."

Vor 15 Jahren ging es los mit der Peer-Hotline – und zwar, und das ist auch heute noch so, abends: "Da wussten wir, dass die meisten daheim sind, manche sich vielleicht allein oder einsam fühlen." Zwischen 18 und 22 Uhr werden Anrufe entgegengenommen. Mittlerweile spiele aber auch Whatsapp eine große Rolle. 14.400 Nachrichten seien 2018 eingegangen. Das sei durchaus mit der Anzahl an Telefongesprächen vergleichbar, sagt Hauser. 37 Beraterinnen und Berater führten im letzten Jahr fast 2000 Gespräche.

Die Kommunikationsgewohnheiten haben sich verändert, die Themen seien aber über die Jahre die gleichen geblieben. Einsamkeit zum Beispiel. Die ehemalige Peer-Beraterin Gol weiß das aus erster Hand: "Viele, die anrufen, haben sonst niemanden zum Reden." Und warum gerade Gleichaltrige anrufen? "Freunden erzählt man ja auch mehr als den Eltern. Jugendliche haben, glaube ich, oft das Gefühl, dass Erwachsene sehr schnell urteilen."

Mehr Mädchen als Jungen

Meist hätten junge Mädchen angerufen, die Probleme in der Klasse oder mit den Eltern hatten, sagt Gol. In der Regel würden Gespräche etwa zehn Minuten dauern. "Ich habe aber auch schon eine Stunde lang mit Leuten geredet." Das Interesse sei bei Gol durch einen schon langgehegten Berufswunsch entstanden. "Ich wollte immer Therapeutin werden. Als ich im Psychologieunterricht von dem Projekt hörte, war ich also begeistert. Ich hatte die Hoffnung, dass ich durch die Hotline wertvolle Erfahrung sammeln kann. Und so war es dann auch." Heute studiert Gol Deutsch, Psychologie und Philosophie auf Lehramt.

"Dass die Jugendlichen nicht unvorbereitet in diese Sache hineingehen, ist ganz wichtig", sagt Hauser. Einerseits würden die Freiwilligen in Kommunikation geschult, andererseits in "Fachthemen": Sie sollen Bescheid wissen, für welche Problemlagen es welche andere Organisationen, an die man sich wenden kann, gibt. Denn wenn die Peer-Berater nicht weiterwissen oder sich überfordert fühlen, sollen sie die Person am anderen Ende der Leitung weitervermitteln. "Wir bieten außerdem laufend Supervision für unsere Jugendlichen. Denn natürlich bleibt immer ein bisschen was hängen von den Problemen, die sie zu hören bekommen. Das muss besprochen werden.

"Überfordert habe sie sich nie gefühlt, sagt Gol. "Sehr emotionale Anrufe haben mich anfangs abgeschreckt, aber mit der Zeit kann man das passieren lassen." Schwierig sei es manchmal auch, dass der Kontakt mit dem Auflegen vorbei ist und man nicht weiß, wie die Geschichten weitergehen. Gol ist zwar keine Beraterin mehr, dem Projekt aber treu geblieben, und sie schult nun neue Leute ein. Sie findet es schade, dass ehrenamtliche Arbeit vielen Jungen "zu mühsam" sei. "Es geht nicht so viel Zeit drauf, wie oft geglaubt wird, und in der Zeit lernt man unheimlich viel." (Lara Hagen, 24.5.2019)