Jan Peter Pech steckt bis zu den Knöcheln im Matsch. Die knallgelbe Regenmontur beschützt ihn vor dem Regen, der mit dem Wind horizontal daherkommt. Temperaturen wie im März, Arbeit für fünf, weil in der Start-up-Phase: Trotzdem könnte die Laune von Jan besser nicht sein. "Ich habe den besten Job der Welt. Wenn ich abends die Sonne hier am Feld untergehen sehe, nimmt mir das den ganzen Stress", sagt Jan, der "Oberackerheld" von Österreich. In Deutschland hat sich das Konzept der Ackerhelden bereits etabliert: Seit 2012 vermietet das Unternehmen dort Parzellen an nach selbst angebautem Gemüse lechzende Städter – an mittlerweile 20 Standorten von Hamburg bis München.

Eigenverantwortung nach der Aussaat

Jetzt also auch an zwei in Wien, wo der Agrar- und Ernährungsökonom Jan mit der Unternehmensidee auf offene Türen stößt. 140 Parzellen zu je 40 Quadratmetern gibt es am Ackerhelden-Feld in Floridsdorf oder am zweiten Standort bei Maria Lanzendorf zu mieten. Eine Parzelle kostet 229 Euro pro Saison. Dafür pflanzen Jan und sein Team zum Start die Setzlinge für Mangold, Kartoffeln, Kohlrabi, Zucchini, Kürbis oder andere Sorten. Nach der Aussaat kümmert sich jeder Ackermieter selbst um sein Feld, jätet, gießt und erntet bis Ende November sein Gemüse im Wert von rund 600 Euro.

Katharina Häckel-Schinkinger und Jan Peter Pech auf dem Ackerhelden-Feld in Floridsdorf.
Foto: Christian Fischer

Der Zusammenhalt, der zwischen den Stadtgärtnern entsteht, ist ein weiterer Pluspunkt, den das Stadtpflanzen mit sich bringt. Jan: "Oft sprechen sich die Ackerhelden untereinander ab, man freut sich, landwirtschaftliche Tipps und Gemüse auszutauschen." Vom Anzugträger mit Seidenstecktuch bis zur Familie mit Kindern reicht das Ackerheldentum. Am Feld zählt für alle das Gleiche: dass die Tomaten reif werden und das Unkraut nicht überhandnimmt. Das gemeinsame Garteln hat etwas Verbindendes, heißt es von allen, die schon einmal bei so einem Projekt mitgemacht haben. Und gegen saisonal und frisch geerntetes Obst und Gemüse lässt sich freilich auch nur wenig einwenden.

Der Koch als Gärtner

Synergien, die gut zum Restaurant Habibi und Hawara in Wien passen, wie die Gastronomin Katha Häckel-Schinkinger findet. In ihrem österreichisch-orientalischen Lokal sind Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund angestellt, erhalten hier eine Ausbildung und damit die Möglichkeit, sich eine Zukunft zu erarbeiten. Seit kurzem bestellt das Team gemeinsam ein Feld am Floridsdorfer Acker. Häckel-Schinkinger: "Die Gäste verlangen in der Gastronomie nach Transparenz. Sie wollen wissen, wo die Produkte herkommen." Chefkoch Josef hat sich mit Jan abgestimmt, welche alten Gemüsesorten unbedingt auf die Parzelle sollen.

Ehrlicheres Gemüse kann man im Restaurant kaum anbieten, meint die Wirtin – auch wenn natürlich nicht der gesamte Bedarf des Habibi und Hawara mit einer Parzelle der Ackerhelden gedeckt werden kann. "Es geht auch ums Teambuilding, darum, voneinander zu lernen" sagt Häckel-Schinkinger. "Einige aus unserem Team kommen aus Teilen Syriens. Das war früher ein landwirtschaftliches Paradies. Ich freue mich darauf, die Expertise und Ansätze unserer Leute am Acker zu erleben." Sous-Chef Munir bekam zusätzlich einen eigenen Abschnitt für sich und seine Familie zur Verfügung gestellt. Gerade für Kinder bietet das Stadtgarteln einen Mehrwert, findet Ackerhelden-Verpächter Jan Pech: "Sie kommen wieder näher zum Produkt und verstehen, wie das mit dem Gemüse funktioniert."

Garten in the City

Damit spricht er etwas an, was den Erfolg der Urban-Gardening-Konzepte erklärt: Man möchte unmittelbar sehen, was man mit seiner Hände Arbeit bewirken kann. Total analog eben. Weil es das Leben irgendwie freudvoller macht. "Die Leute wollen wieder an der Natur teilhaben. Da ist viel Psychologie mit im Spiel", sagt Wolfgang Palme, im Hauptberuf Leiter der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn. Nebenbei hat er den Verein City Farm Augarten ins Leben gerufen – für all jene Städter, die vielleicht nicht gleich eine ganze Saison lang ein Feld oder einen Garten beackern wollen. In dem 4.000 Quadratmeter großen Erlebnisgarten im zweiten Wiener Bezirk werden Garten-Workshops für Kinder und Erwachsene angeboten, in denen man Umstechen, Säen, die Natur erleben oder etwas über gesunde Ernährung aus eigener Pflanzung lernen kann. "Ohne ein Kisterl unterm Arm verlässt man unsere Farm nie", lächelt Palme. Ganz nach dem Prinzip: Der kleinste Garten ist der Topf. (Nina Wessely, 25.5.2019)

Stimmen von Stadtgärtnerinnen und -gärtnern:

"Wir mieten heuer zum zweiten Mal eine Parzelle vom Biohof Radl in Strebersdorf. Da gartelt der Bobo, der auf Plastiksackerln verzichtet, neben der älteren Dame mit Kopftuch. Alle knien wir und zupfen. Leute aller sozialen Schichten sind dabei. Das ist sehr schön. Meine Kinder sehen, woher Gemüse kommt, und wir essen saisonal, bio und frisch."
Güven Uzman (44) gartelt auf dem Acker vom Biohof Radl in Kooperation mit selbsternte.at.

"Ich bin aus Tirol und seit 2001 in Wien. Ein Garten geht mir hier schon lange ab. Als ich die Aktion vor dem Augarten gesehen habe, habe ich mich gleich beworben und bin total happy, dass ich so ein Feld bekommen habe. Zucchini, Tomaten und Kräuter habe ich schon gepflanzt. Die anderen Beete inspirieren, und auch der Austausch unter Nachbarn macht Freude."
Silvia Haas (37) hat für ein Jahr ein Feld in der Oberen Augartenstraße gewonnen.

"Es steckt mir in den Knochen, einen Garten zu haben. Ich bin aus Polen und habe dort immer einen gehabt. Als ich auf die Ackerhelden gekommen bin, war mir sofort klar: Das mache ich. Auf so etwas habe ich lange gewartet. Auch mein Vater freut sich. Er sitzt im Rollstuhl und kommt so mit mir wieder mehr an die frische Luft."
Slawek Odrzywolek (35) hat bei den Ackerhelden eine Parzelle gemietet.