Frauen trauen sich eher, alleine zu verreisen, als Männer. Letztere nehmen eher einen Kumpel mit, sagt Roman Braun.

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Roman Braun ist Führungskräfte-Coach sowie Lebens- und Sozialberater und Geschäftsführer von Trinergy International, Doktor der Psychologie und Bestsellerautor. Sein jüngstes Buch: "Macht der Rhetorik".

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STANDARD: Warum ist "Solo Travel" gerade ein so großes Thema?

Braun: Das liegt daran, dass der Anteil an Singles vor allem im urbanen Raum ständig steigt. Singles stehen dann oftmals vor der Frage: Was mache ich mit meiner kostbaren Urlaubszeit? Die Folgefrage ist: Bin ich diesbezüglich als Single nicht besonders benachteiligt?

STANDARD: Warum ist das so ein großes Problem?

Braun: Vor allem für diejenigen, die sich nicht bewusst dafür entschieden haben, alleine zu leben, also deren Bindungsfähigkeit zum Beispiel nicht voll entwickelt ist, ist die Urlaubsplanung eine zusätzliche Herausforderung. Denn Urlaub wirkt immer wie ein Vergrößerungsglas – egal ob Single oder Paar ...

STANDARD: ... weil sich gerade Letztere im gemeinsam Urlaub gerne zanken?

Braun: Genau. Nicht umsonst steigt die Scheidungsrate nach der Urlaubssaison an.

STANDARD: Woher kommt das?

Braun: Im Urlaub wird man nicht durch das Hamsterrad abgelenkt, in dem man sich im Alltag bewegt. Im Urlaub sieht man, was wirklich mit einem los ist, wie man wirklich lebt. Aber gerade für Singles kann Urlaub eine Chance sein.

STANDARD: In welcher Hinsicht?

Braun: Etwa um Selbstvertrauen zu tanken, um zu erkennen, dass man auch außerhalb seines Hamsterrads fähig ist, sein Leben zu steuern. Dieses gesteigerte Selbstbewusstsein kann man wiederum in den Alltag mitnehmen, auch um seine sozialen Kontakte zu vertiefen – selbst wenn das nicht zwangsläufig zu einer Partnerschaft führt.

STANDARD: Gibt es Singles, die bewusst alleine Reisen, um einen Partner kennenzulernen?

Braun: Prinzipiell ist Bedürftigkeit keine gute Grundlage, aber natürlich kann man im Urlaub leichter Leute kennenlernen als zu Hause, weil man dort Menschen trifft, die eine ähnliche Motivation haben. Die Wahrscheinlichkeit, im Urlaub jemanden kennenzulernen, ist jedenfalls größer als in der Wiener U-Bahn.

STANDARD: Wie kann man sich zum Alleinreisen motivieren?

Braun: Alleine zu reisen kann im Vorhinein durchaus abschreckend sein. Man kann sich die schlimmsten Horrorszenarien ausmalen – Angst vor Einsamkeit, es ist unter Umständen gefährlich et cetera. Es braucht den Mut zu Aktion. Es reicht zum Beispiel nicht, ein schönes Reiseziel vor Augen zu haben. Das weiß man aus der Psychologie: Vision plus Aktion ergibt dann erst die Motivation. Das ist bei allen Dingen so. Nach der Überwindung kommt die Motivation.

STANDARD: Was raten Sie konkret?

Braun: Urlaub ist meistens mit schönen Erinnerungen verbunden. Daher ist es das Einfachste, sich auf diese wunderbaren Erfahrungen vergangener Reisen zu besinnen: die Maturareise oder romantische Erlebnisse im Italien-Urlaub. Das hilft einem, Mut zu fassen.

STANDARD: Dennoch verlässt man in gewisser Weise seine Komfortzone.

Braun: Deshalb braucht es einen positiven Kick.

STANDARD: Gibt es im Zusammenhang mit Solo Travel Unterschiede bei den Geschlechtern?

Braun: Es gibt dazu erstaunliche Erkenntnisse. Denn anders als man vielleicht vermuten würde, trauen sich Frauen eher, alleine zu verreisen, als Männer. Letztere verreisen, auch wenn sie Single sind, viel seltener allein. Sie nehmen eher einen Kumpel mit.

STANDARD: Womit hat das zu tun?

Braun: Frauen haben im Schnitt eine höhere soziale Kompetenz und kommen auf Reisen schneller mit anderen ins Gespräch. Männer hingegen sind zurückhaltender, weil es noch immer als "unmännlich" gilt, sozial zu sein.

STANDARD: Der einsame Wolf auch im Urlaub?

Braun: Das oder eben im Rudel. Das geben Männer nicht gerne zu, aber Frauen tun sich da leichter.

STANDARD: Es gibt aber eine zunehmende Zahl an Angeboten für Alleinreisende. Was hat es damit auf sich?

Braun: Alleine zu reisen ist deutlich einfacher geworden. Man spricht vom "Trigger-Effekt": Man braucht nur online zu gehen, drei Klicks, und man hat die Reise gebucht. Außerdem ist das Reisen insgesamt günstiger geworden, was es natürlich auch für Single-Haushalte attraktiver macht als noch vor 20 Jahren.

STANDARD: Welche Rolle spielt Unabhängigkeit dabei?

Braun: Das ist auch ein wichtiger Punkt: Als Paar, als Familie muss man sich beraten. Als Alleinreisender kann man mehr oder weniger tun und lassen, was man will. Die Buchung fällt dem Single daher leichter als dem Familienmenschen.

STANDARD: Welche Tipps können Sie Alleinreisenden geben?

Braun: Der Erlebniswert ist sicher dort höher, wo man nicht in der Touristenmasse mitschwimmt. Es ist im Gegenteil sogar gesünder, sich einer anderen Kultur ohne vorgekautes Programm anzunähern. Egal wohin man reist, es ist gut, den Urlaub dafür zu nützen festzustellen, dass der Kontakt mit anderen Menschen eine der nährendsten Maßnahmen für die Seele ist.

STANDARD: Lässt sich das wissenschaftlich erhärten?

Braun: Tatsächlich gab es vor einiger Zeit in London einen Versuch: Man hat einer Gruppe von Pendlern aufgetragen, bewusst das Gespräch mit einem Fremden in der U-Bahn zu suchen. Am Abend wurden die Teilnehmer dann interviewt. Mit dem Ergebnis, dass ihr Glücksniveau noch immer signifikant erhöht war. In der Kontrollgruppe, ohne Aufgabe, hat sich nichts verändert. Die dritte Gruppe wiederum bekam den Auftrag, das Alleinsein zu genießen und andere zu ignorieren. Mit dem Effekt, dass die Teilnehmer dieser Versuchsgruppe wesentlich unglücklicher waren.

STANDARD: Wie lässt sich das aufs Alleinreisen übertragen?

Braun: Im Urlaub kommt man leichter mit Menschen in Kontakt, das führt zu einem Glücksgefühl, an das man sich auch im Alltag immer wieder erinnern kann – und soll. Kurz: Bleiben Sie auch im Alltag im Urlaub. (Markus Böhm, 30.5.2019)