Im Gastkommentar fragt die Juristin Miriam Gassner-Olechowski, ob es zulässig ist, "um eine Demokratie vor ihren 'Feinden' zu schützen, auch zu problematischen Mitteln" zu greifen. In ihrer Antwort stützt sie sich auf Hans Kelsen. Eine andere Position nimmt die Filmemacherin Ruth Beckermann ein.

Illustration: Felix Grütsch

Das ganze Land blickt voller Entsetzen auf Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, die im Sommer 2017 in eine Falle getappt und vor laufender Kamera ihre Pläne zur Eindämmung der Demokratie in Österreich offengelegt haben. Dies ist abscheulich und zutiefst abzulehnen. Andererseits ist es aber auch beunruhigend, dass die Aussagen Straches zu einer eventuell illegalen Parteienfinanzierung und zur Übernahme der "Kronen Zeitung" - von denen man im Moment nicht einmal noch gesichert weiß, ob sie strafrechtlich relevant sind – eine ganze Regierung zu Fall bringen können, während frühere, offen zur Schau gestellte ideologische Haltungen einer ganzen Partei (Stichwort: Rattengedicht oder die Nähe zu den Identitären) ohne Konsequenzen geblieben sind.

Überraschende Inhalte, zulässige Mittel?

Dass die bisher öffentlich bekannten Teile des Videos und die darin gemachten Äußerungen nicht zu rechtfertigen und abstoßend sind, sei außer Zweifel gestellt. Auch dass Strache und Gudenus zurückzutreten hatten. Aber seien wir einmal ehrlich: Waren die Inhalte im Video wirklich so überraschend?

Dass Strache und Co keine Anhänger einer freien Presse sind, ist spätestens seit der Unterteilung der österreichischen Medienlandschaft in "gute" und "schlechte" Medien, die in unterschiedlichem Ausmaß mit Informationen zu versorgen sind, klar. Dass die FPÖ mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sympathisiert und ihn zum Vorbild hat, ist ebenso bekannt. Und dass man alles in seiner Macht Stehende tut, um die "Krone" unter seine Kontrolle zu bringen, ergibt sich, wenn man eins und eins zusammenzählt.

Damit sollen die im Video gemachten Aussagen in keinster Weise verharmlost und Strache und Gudenus in keinster Weise verteidigt werden. Trotz allem muss es in einem demokratischen und Rechtsstaat aber zulässig sein, zu fragen: Welche Mittel und Wege sind zur "Verteidigung einer Demokratie" zulässig, oder anders gesagt: Ist es zulässig, um eine Demokratie vor ihren "Feinden" zu schützen, auch zu so problematischen Mitteln, wie im konkreten Fall dem Einsetzen eines Lockvogels und der Verwendung von versteckten Kameras, zu greifen?

Kelsens Sicht

Hans Kelsen, der Architekt der österreichischen Bundesverfassung, hat 1932, als die Nationalsozialisten sich anschickten, mit demokratischen Mitteln die Macht in Deutschland zu erlangen, einen Aufsatz mit dem Titel "Verteidigung der Demokratie" verfasst und darin erklärt, dass, "wer für die Demokratie ist, (...) sich nicht in den verhängnisvollen Widerspruch verstricken lassen und zur Diktatur greifen [darf], um die Demokratie zu retten".

Kelsen schließt seinen Aufsatz mit den dramatischen Worten: "Man muss seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt; und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mitnehmen, dass das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und dass es, je tiefer es gesunken, umso leidenschaftlicher wieder aufleben wird."

Grenze überschritten

In diesem Sinne ist wohl auch der Einsatz von Lockvögeln und versteckten Kameras zu beurteilen: Auch wenn es sich dabei im konkreten Fall um Maßnahmen zur Verteidigung der Demokratie gehandelt haben könnte, so wurde damit doch eine gefährliche Grenze überschritten. Denn werden solche Methoden erst einmal salonfähig, so werden sich bald sämtliche politische Gruppierungen solcher bedienen und für ihre Zwecke missbrauchen.

Dass Strache und Co zurücktreten mussten und eine Gruppierung, die deren Gesinnung und Demokratieverständnis teilt, nichts in der Regierung eines demokratischen Landes zu suchen hat, steht außer Zweifel. Zu denken sollte uns aber geben, dass es solcher gefährlicher Maßnahmen bedurfte, um so viele Menschen auf den Ballhausplatz zu bringen, während die "braunen Flecken der FPÖ" und die unmenschliche Flüchtlingspolitik der Regierung von großen Teilen der Bevölkerung ungeahndet blieben. (Miriam Gassner-Olechowski, 26.5.2019)