ÖVP: Kurz lässt sich feiern und sieht sich gestärkt

Sebastian Kurz gratuliert Othmar Karas – oder ist es doch umgekehrt?
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In der ÖVP herrschen Jubelstimmung und Genugtuung: Die Volkspartei ist die einzige Partei, die bei der EU-Wahl am Sonntag tatsächlich Zugewinne erzielen konnte, und das nicht zu knapp. Allen ist klar, dass dies nicht das Verdienst von Spitzenkandidat Othmar Karas oder Staatssekretärin Karoline Edtstadler, die auf Platz zwei kandidierte, ist, sondern auf die besonderen Umstände zurückzuführen ist, die sich vor einer Woche ergeben haben und die in den kommenden Tagen zu einer paradoxen Situation führen könnten: Sebastian Kurz ist mit seiner FPÖ-Koalition gescheitert, ihm ist der Regierungspartner weggebrochen, er hat alle anderen Parteien gegen sich, dürfte als Kanzler abgesetzt werden – und ist der große Sieger in diesem Wahlgang.

Vor der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse ließ sich Kurz am Sonntagabend von seinen Anhängern feiern: "Einfach unglaublich" sei das Ergebnis, "fulminant" und eine "starke Stimme für die Kraft der Mitte". Was auch immer am Montag passieren werde, "wir trotzen allem anderen, was kommen wird". Kurz: "Wir sind gestärkt."

Die Motive der Wähler sind klar, Kurz hat eine entscheidende Rolle gespielt, seine Kommunikation ist aufgegangen: Er stehe für Stabilität, er sei der weltgewandte Staatsmann und schließlich auch das Opfer der Umstände und seiner Gegner.

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer war zwar bemüht, Othmar Karas als Spitzenkandidaten zu würdigen, betonte aber auch das "starke Vertrauensvotum für Sebastian Kurz, der für Stabilität und Handlungsfähigkeit" stehe.

Staatssekretärin Edtstadler, die nach Brüssel wechseln soll, war vom Ergebnis überwältigt, damit habe man nicht rechnen können. Auch sie würdigte das Verdienst von Kurz.

Tatsächlich hat die ÖVP ein Traumergebnis erzielt, mit dem man vor Bekanntwerden des Ibiza-Videos nicht rechnen konnte. Die 35 Prozent sind in Österreich ein Rekordwert bei EU-Wahlen. Das schlägt sich auch bei den Sitzen im EU-Parlament nieder: plus zwei auf sieben Mandate. Dass die SPÖ, die der ÖVP als der Erzfeind gilt, ein Minus vor ihrem Ergebnis hat, versüßte den ÖVP-Funktionären den Wahlabend. (völ)

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SPÖ: Rote zweifeln an sich und ihrer Chefin

Das rote Ergebnis stärkt das Vertrauen in die Parteichefin nicht.
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Die SPÖ stagniert, konnte keine zusätzlichen Stimmen gewinnen. Außerdem habe man die eigenen Wähler nicht ausreichend mobilisieren können, ärgerte sich der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Er sprach bereits am frühen Abend von einer "klaren Wahlniederlage". Entnervt ist man auch in Kärnten. Landeshauptmann Peter Kaiser sah ein "schmerzhaftes und schwer nachvollziehbares Wahlergebnis". Dass er die Frage, ob Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zur Disposition steht, nicht mit einem klaren Nein beantwortet, darf alarmieren. Kaiser erklärte nur, er sei "gegen Hüftschüsse".

Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda tat inzwischen, was ein Parteimanager tun muss, jedenfalls solange er im Amt ist: Er versprühte Optimismus. Seine Rolle und sein Posten werden in der SPÖ bereits infrage gestellt, an seiner Ablöse wird gearbeitet. Er selbst erklärte, er sei mit dem Wahlergebnis "selbstverständlich nicht zufrieden".

Allem Anschein nach könnte es auch am Spitzenkandidaten gelegen sein. In einer Umfrage für das Meinungsforschungsinstitut Sora erklärten nur fünf Prozent der SPÖ-Wähler, wegen Andreas Schieder ihr Kreuz auf dem Wahlzettel gemacht zu haben.

Parteiintern und in den Medien geht bereits die Debatte über eine personelle Neuaufstellung los. Rendi-Wagner wird massiv infrage gestellt, Drozda sowieso. Die Frage ist nur: Entscheidung jetzt – oder eine wochenlange aufreibende Debatte?

Das Wahlendergebnis fiel für die SPÖ trotz Dynamik der letzten Woche – Stichwort Ibiza-Video, Regierungskrise, möglicher Kanzlersturz – eher dramatisch aus. Stand Sonntagabend, noch ohne Auszählung der Wahlkarten: Mehr als 23 Prozent waren für die Roten nicht drin. Das war ein Minus und das schlechteste Bundeswahlergebnis aller Zeiten. Bisheriger Tiefpunkt war die EU-Wahl 2009 mit 23,74 Prozent. Auch der Abstand zur ÖVP war nie größer: Um rund elf Prozentpunkte liegen die Türkisen diesmal vorne. Immerhin, es bleibt bei fünf Mandaten. Julia Herr, Chefin der Jungsozis, hat es nicht ins EU-Parlament geschafft. (riss)

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FPÖ: Verkraftbare Verluste in hausgemachter Krise

Norbert Hofer ist der designierte Parteichef und soll künftig im Duo mit Herbert Kickl auch den Klub führen.
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"Jetzt erst recht." Den Spruch hatten die Freiheitlichen schon vor der Ibiza-Affäre plakatiert. Und die Strategie scheint schlussendlich aufgegangen zu sein: Trotz eines Parteichefs, der kurz vor der Wahl als korruptionsanfällig entlarvt wurde; trotz der Regierungskrise, die von der FPÖ ausgelöst wurde; obwohl Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Klubobmann Johann Gudenus alle Ämter zurücklegen mussten und der blaue Innenminister vom Kanzler entlassen wurde – die FPÖ hat bei der EU-Wahl nicht stark verloren. Am Ende war es ein Mandat, und das ist aus blauer Sicht etwas schmerzhaft, aber doch gut verkraftbar.

Aber woran könnte es liegen, dass die Freiheitlichen vom Wähler nicht härter bestraft wurden? Erstens gibt es für EU-Gegner natürlich keine Alternative zur FPÖ. Alle anderen Parteien geben sich klar proeuropäisch, EU-Skeptiker hätten also nur zu Hause bleiben können, wenn sie die FPÖ nicht mehr wählen wollten. Zweitens hat die FPÖ sofort begonnen, sich selbst als Opfer der Affäre zu inszenieren. Beim Ibiza-Gate handle es sich um eine aus dem Ausland gesteuerte Intrige, die von linken Medien befeuert wurde – so die freiheitliche Erzählung. Vielen FPÖ-Anhängern reichte das offenbar als Erklärung für die Vorkommnisse.

Für EU-Spitzenkandidat und Generalsekretär Harald Vilimsky zeigt das Ergebnis, "wie hoch unser Stammwählerpotenzial ist". Dennoch beginne jetzt bis zur Nationalratswahl "die größte Wählerrückholaktion", erklärte er noch am Wahlabend. Die Ibiza-Affäre habe "Schaden verursacht, keine Frage, aber wir holen uns ungeachtet dessen die Wähler zurück".

Interessant wird nach Auszählung der Wahlkarten dann noch sein, wie viele Vorzugsstimmen Vilimsky und auch Strache bekommen haben. Denn der zurückgetretene Parteichef stand auf Listenplatz 42 – die Identitären hatten mobilisiert, um Strache ins EU-Parlament zu befördern.

Jedenfalls wird der blaue Parlamentsklub neu aufgestellt: Es soll ein Klubobmann-Duo aus Herbert Kickl und Norbert Hofer gebildet werden. Unklar blieb zunächst, wer den geschäftsführenden und formellen Klubchef geben wird. (mika)

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Grüne: Unerwarteter Sieger mit Chefproblematik

Werner Kogler hat mit seiner erdigen Art die Grünen aus der Krise geholt.
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Die vielleicht größten Wahlsieger sind die Grünen – und das, obwohl sie prozentuell leicht verloren haben. Denn für die Partei ging es um nicht weniger als das Überleben. Nachdem die Grünen 2017 aus dem Nationalrat geflogen sind, wäre ein weiterer Misserfolg kaum noch verkraftbar gewesen. Umso mehr können sich Parteichef und EU-Spitzenkandidat Werner Kogler und seine Truppe nun freuen – denn bei der vergangenen EU-Wahl hatten die Grünen mit 14,5 Prozent eigentlich ziemlich vorgelegt. Kaum jemand rechnete vor dem Sonntag damit, dass dieses Ergebnis gehalten werden könnte – und selbst ein deutlich schlechteres Abschneiden wäre als Erfolg gewertet worden.

Dennoch sind nun viele Fragen offen. Denn: Es stehen ja schon die nächsten Wahlen bevor. Im September soll das heimische Parlament neu besetzt werden – die Chance der Grünen, bald auch wieder in den Nationalrat einzuziehen, sind groß. Das zeigen auch nationale Umfragen. Bloß: Grünen-Chef Kogler wurde von den Wählern gerade ins EU-Parlament entsendet. Ob er sein Mandat vielleicht nicht annimmt? Das wollen die Grünen erst entscheiden. Wer käme sonst infrage als Spitzenkandidat für September? Immer wieder werden der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober und die frühere Abgeordnete Sigi Maurer genannt. Allerdings war es Partei-Urgestein Kogler, der die Grünen mit seiner hemdsärmeligen und erdigen Art aus der Krise geholt hat. Kann man hierzulande auf ihn verzichten?

Jedenfalls wird nun wohl die deutsch-österreichische Fernsehköchin und Listenzweite Sarah Wiener nach Brüssel und Straßburg wechseln. Auf Platz drei kandidierte die langjährige grüne EU-Abgeordnete Monika Vana. Bisher hatten die Grünen drei Mandate im EU-Parlament. Nach derzeitigem Stand haben sie zwei. Vana würde aber nicht nur dann nachrücken, sollte Kogler seinen Sitz nicht annehmen – die Grünen könnten auch vom Brexit profitieren. Denn wenn die Briten austreten, werden deren Mandate auf die verbleibenden EU-Mitglieder verteilt. Österreich stünde ein zusätzliches zu – das würde, wie es aussieht, zu den Grünen wandern. (mika)

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Neos: Solides Ergebnis, verhaltene Freude

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist trotzdem "sehr zufrieden".
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Es lief alles wie am Schnürchen, und dennoch konnten die Neos ihre Stimmen nicht ausbauen. Spitzenkandidatin Claudia Gamon ist trotzdem zufrieden, zumindest lässt sie sich keine Enttäuschung anmerken. Allerdings wollten die Pinken gerne ein zweites Mandat erzielen – nun wird Gamon die Partei aber fünf Jahre alleine im EU-Parlament vertreten.

Die 30-jährige Nationalratsabgeordnete war nicht nur die jüngste Kandidatin und einzige Frau, sie eckte auch mit manchen ihrer europäischen Ideen an. So stand sie mit ihrer Forderung nach einer EU-Armee alleine da und ging sogar so weit, die österreichische Neutralität infrage zu stellen. Geschadet hat ihr das nicht, Gamon ist sogar davon überzeugt, dass ihre klare Haltung und ihre Begeisterung für Vereinigte Staaten von Europa ein Wahlmotiv für ihre Wähler waren. Rückhalt erhält sie auch von ihrer Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, die ebenfalls von einem tollen Ergebnis sprach. Immerhin war es auch die erste bundesweite Wahl, die Meinl-Reisinger als Chefin zu verantworten hatte.

Bei der Nationalratswahl 2017 holten die Neos 5,3 Prozent, während am Sonntag acht Prozent für sie stimmten. Ein Wermutstropfen ist aber, dass Angelika Mlinar, die 2014 die Neos ins EU-Parlament führte, trotz einiger Patzer mit 8,1 Prozent ein ähnliches Ergebnis erzielt hatte.

Für die Nationalratswahl im Herbst haben die Neos die Weichen gestellt. Sie wollen als konstruktive Oppositionspartei wirken und tragen den Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz nicht mit. (mte)

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Liste Jetzt: Voggenhubers kurzes Polit-Comeback

Johannes Voggenhuber kam nicht in seine Wahlkampfzentrale.
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Sein Comeback ist gescheitert. Johannes Voggenhuber, von der Liste Jetzt aus der Politpension zurückgeholt, hat mit seiner Initiative 1 Europa den Einzug ins EU-Parlament nicht geschafft. Optimismus war zuletzt nur beim Spitzenkandidaten vorhanden, die Wahlkampfzentrale in der Mariahilfer Straße wurde am Wahltag eigens für Medienvertreter aufgesperrt. Der Andrang an Unterstützern hielt sich in Grenzen.

Für sein Scheitern macht Voggenhuber das Auftauchen des Ibiza-Videos verantwortlich, dadurch sei Innenpolitik in den Fokus gerückt. Dabei hatte er sich seine Rückkehr in die Politik anders vorgestellt. Immerhin hatte er bereits drei Wahlkämpfe für die Grünen als Spitzenkandidat für die EU-Wahlen bestritten, ehe er sich mit der Partei zerstritt.

Die Wahlkampfstrategie des EU-Parlament-Urgesteins war simpel: Voggenhuber wurde nicht müde, seine Erfahrung zu betonen. An dem Anspruch, komplexe europäische Themen für die Wähler herunterzubrechen, scheiterte er jedoch. Zudem konnte Voggenhuber die Unterschiede seines Manifests zum grünen Wahlprogramm nie erklären – und allein die Frage danach stimmte ihn schon grantig. Auf Plakate verzichtete die Initiative aufgrund des schmalen Budgets von 240.000 Euro. Aber auch auf Unterstützung der Liste Jetzt, die ihn ja aufstellte, konnte der bald 69-Jährige nicht bauen.

Hatte die Liste Jetzt – damals noch als Liste Pilz – bei der Nationalratswahl 2017 noch 4,41 Prozent der Stimmen geholt, entschieden sich jetzt weniger als zwei Prozent für 1 Europa. Für die Neuwahlen im September ist das kein gutes Vorzeichen. (mte, 26.5.2019)