Hannes Reichelt wurde am Freitag stundenlang in Innsbruck verhört.

Foto: APA/Groder

Angriff ist die beste Verteidigung, da muss gar kein Video aus Ibiza aufgetaucht sein. Da reicht es, wenn Ermittler des Bundeskriminalamts vor der Tür stehen. Also hat Österreichs Skiverband (ÖSV) die Öffentlichkeit gesucht und via ÖSV-Sponsor "Kronen Zeitung" gefunden, nachdem Hannes Reichelt unter Dopingverdacht geraten war. Kein Langläufer also, kein Biathlet, sondern einer der größeren Stars im Alpinbereich.

Reichelt (38) war Weltmeister (2015) und WM-Zweiter (2011) im Super-G, er hat dreizehn Weltcuprennen gewonnen, darunter auch die Abfahrt in Kitzbühel (2014). Unter den Fahrern genießt der Salzburger insofern besonderes Ansehen, als er sich immer wieder getraut hat, etwa in Sicherheitsfragen den Mund aufzumachen. Die Funktion des Aktivenvertreters im Weltverband (FIS) hat Reichelt allerdings hingeschmissen, weil er meinte, nichts erreichen zu können.

Die Operation Aderlass

Ins Visier der Ermittler ist der Pongauer infolge der bei der Nordischen WM in Seefeld lancierten Operation Aderlass geraten. Wie die Staatsanwaltschaft Innsbruck am Montag mitteilte, wurde bereits am Samstag über einen ehemaligen ÖSV-Langlauftrainer die Untersuchungshaft verhängt. Dabei handelt es sich um Gerald H., einen ehemaligen Cheftrainer, der auch für die des Dopings überführten Langläufer Johannes Dürr und Harald Wurm verantwortlich gewesen, selbst jedoch nie überführt und vom ÖSV lange im Amt belassen worden war. H. habe, lautet der Vorwurf, Sportler aus verschiedenen Disziplinen beim Doping unterstützt.

Auch gegen den ehemaligen Servicemann und Freund von Dürr wird ermittelt, es soll sich um Emanuel M. handeln, der sich zuletzt um den vierfachen Schweizer Olympiasieger Dario Cologna oder jedenfalls um das Cologna-Material gekümmert hat. Im Gegensatz zu H. sagte der Niederösterreicher M. laut Staatsanwaltschaft umfangreich aus, weshalb er nach seiner Befragung am Freitag enthaftet wurde. Welche Sportler von H. und M. unterstützt beziehungsweise vermittelt worden waren, sei noch Gegenstand laufender Ermittlungen, hieß es.

Anfangsverdacht

Gegen Reichelt hat sich laut Staatsanwaltschaft ein Anfangsverdacht ergeben. DER STANDARD erfuhr, dass dieser Verdacht nicht mit Blutdoping zu tun hat wie bei bereits überführten oder geständigen heimischen Langläufern (Dürr, Hauke, Baldauf) und Radsportlern (Preidler, Denifl). Sondern dass es eher um klassische Dopingmittel respektive Medikamente geht. "Gleich in der Früh, um fünf vor sieben, läuteten Ermittler des Bundeskriminalamts an – mich hat fast der Schlag getroffen, als sie mir ihren Ausweis entgegenstreckten", sagte Reichelt in der "Krone".

Der Anfangsverdacht gegen Reichelt beruht nicht etwa darauf, dass er gemeinsam mit H. die Schulbank gedrückt hat. Sondern darauf, dass ihm H., wie Reichelt selbst angibt, seit 2005 Trainingspläne schrieb. Und hier wird die Geschichte tatsächlich dubios. "Ich war nicht glücklich mit dieser Situation", sagt in dem Zusammenhang auch Andreas Puelacher, seit zehn Jahren ÖSV-Herrencheftrainer, dem STANDARD. Schließlich sei H. stets Langlaufexperte gewesen. "Und ich war nicht sicher, ob er weiß, was wir im Alpinsport brauchen."

Kein Geheimnis

Allerdings habe Reichelt aus seiner laut Puelacher "sehr engen Bindung" zu H. nie ein Geheimnis gemacht. "Das hat man gewusst, das war eine offene Geschichte. Und es war ja auch keine separate Schiene, sondern der Hannes hat immer bei uns Kondition trainiert, sein Programm wurde halt manchmal adaptiert."

In Erklärungsnot gerät der ÖSV vor allem deshalb, weil er lange an H. festgehalten hatte, obwohl Kundige genau davor ab Ende 2013 gewarnt hatten. Radim Duda, Trainer der damaligen ÖSV-Langläuferin Katerina Smutna, sah da "mit Dürr ein Problem auf den ÖSV zukommen" und bezeichnete den Cheftrainer H. als "brutal gefährlich für den Verband". Duda setzte auch ÖSV-Obere wie Toni Giger, der demnächst Hans Pum als Sportdirektor ablöst, davon in Kenntnis. Da nichts passierte, passierte der Dopingfall Dürr während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.

Das Beharren des ÖSV

"Was sollen wir machen, wenn keine konkreten Hinweise vorliegen", hat Giger gesagt. Und auch der nordische Direktor Markus Gandler erklärte immer wieder, H. habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Erst 2017 hat H. den ÖSV verlassen, einzelne Sportler beriet er weiterhin, erst im März hat sich Biathlet Dominik Landertinger von H. getrennt.

Mag sein, auch dieses ÖSV-Festhalten an zweifelhafter Betreuung führte nach Seefeld. "Wenn ich solche Leute schalten und walten lasse", sagt ein mit den Ermittlungen Befasster, der lieber anonym bleibt, "kann ich nachher doch nicht immer behaupten, nichts gewusst zu haben."

Reichelts Anwalt Hans Moritz Pott führt den Verdacht gegen seinen Mandanten allein auf eine Aussage von M. zurück. "Und die Glaubwürdigkeit von M. ist wie jene von Johannes Dürr stark anzuzweifeln", sagt Pott dem STANDARD. Ob es von Reichelt klug war, sich von H. Trainingspläne schreiben zu lassen? Darauf will Pott nicht eingehen. "Im Nachhinein ist man immer klüger." Der Jurist will den Dopingvorwurf nicht zuletzt mit Reichelts körperlicher Erscheinung entkräften. "Der Mann hat 84 Kilogramm, da gibt es viele, die wesentlich stärker sind." Jedenfalls hofft Pott, in den nächsten Tagen Akteneinsicht zu bekommen. "Dann werden wir den Verdacht sehr schnell aus der Welt schaffen."

Für Reichelt gilt die Unschuldsvermutung. ÖSV-Cheftrainer Andreas Puelacher vermutet nicht nur, sondern ist überzeugt. "Für mich ist es unvorstellbar, dass der Hannes etwas genommen oder sich auch nur für etwas interessiert hat. Ich kenne den Hannes seit zehn Jahren, wir haben ein sehr enges Verhältnis." (Fritz Neumann, 27.5.2019)