Feministinnen haben viel gegen sexualisierte Gewalt getan. Doch die derzeit diskutierten Konzepte zu Konsens folgen in gewisser Weise auch einer neoliberalen Logik, schreibt Rona Torenz.

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Rona Torenz, "Ja heißt Ja? Feministische Debatten um einvernehmlichen Sex", 14 Euro / 168 Seiten, Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2019

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Heute gehe es bei "Selbstbestimmung" oft nur darum, die individuellen Wünsche zu kennen und umzusetzen, sagt Rona Torenz.

Unter dem Slogan "Nein heißt Nein" kämpften Feministinnen in den 1970er-Jahren gegen sexualisierte Gewalt. Später wurde daraus "Ja heißt Ja". Mit dieser Umformulierung wollte man darauf hinweisen, dass die Abwesenheit eines "Nein" angesichts der herrschenden Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen oft noch keine Zustimmung bedeutet. Konsens ist inzwischen zum wichtigsten Wert im liberalen Diskurs um Sexualität geworden, schreibt die Sexualwissenschafterin und Feministin Rona Torenz in ihrem Buch "Ja heißt Ja? Feministische Debatten um einvernehmlichen Sex". Sie sieht in den aktuellen Diskursen allerdings zu hohe Anforderungen für die Einzelnen, denn durch den Anspruch einer möglichst autonomen Sexualität müssten wir immer ganz genau wissen, was wir wollen – und wie wir es kommunizieren.

STANDARD: Sie behandeln in Ihrem Buch feministische Konzepte gegen sexuelle Gewalt. Aus dem "Nein heißt Nein" der 1970er-Jahre wurde später "Ja heißt Ja". Warum hielt man das für nötig?

Torenz: Bevor "Ja heißt Ja" entwickelt wurde, wurde Einvernehmen vor allem negativ bestimmt. Das heißt, Einvernehmen lag immer dann vor, wenn kein Widerstand geleistet wurde und kein Nein geäußert wurde. Das ist im deutschen Sexualstrafrecht ja noch immer so. An dieser negativen Formulierung gab es feministische Kritik, weil den Frauen dadurch allein die Verantwortung dafür gegeben wird, Grenzverletzungen zu verhindern. Stattdessen wurde klar, dass es nicht allen immer gleich möglich ist, Nein zu sagen – etwa weil die Betroffenen in Schockstarre verfallen oder in einem Abhängigkeitsverhältnis stecken. Deshalb wollte man ausgehend von einem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu einer positiven Formulierung kommen. Demnach wird so lange ein Nein vorausgesetzt, bis es ausdrückliche Zustimmung gibt – sei es nonverbal oder verbal.

STANDARD: Zumindest in der Theorie ist man sich einig, dass Sex Konsens voraussetzt, trotzdem ist das alles andere als Realität. Warum gibt es noch immer diese riesige Diskrepanz?

Torenz: Ja, es ist eine widersprüchliche Realität. In den offiziellen Debatten heißt es, alles, was einvernehmlich zwischen Erwachsenen passiert, ist in Ordnung. Wir haben keine moralischen Vorstellungen mehr, dass bestimmte Praktiken per se nicht gehen. Doch gleichzeitig ist es Realität, dass sexualisierte Gewalt noch immer Alltag ist. Wenn man sich konkrete Fälle wie den Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink (Das deutsche Model beschuldigte zwei Männer der Vergewaltigung, in einem vorhandenen Video sagt Lohfink deutlich "Hör auf" – die Männer wurden freigesprochen, Lohfink wegen Falschaussage verurteilt, Anm.) ansieht, in denen es um sexualisierte Gewalt geht und wo die Frau in der Situation klar Nein sagt, wird es trotzdem relativiert. Dann gibt es doch eine Diskussion darüber, was Einvernehmen ist und wann es vorliegt. Es ist also weiterhin umstritten, was genau Konsens ist.

STANDARD: Trotzdem kritisieren Sie feministische Konzepte gegen sexualisierte Gewalt, Sowohl "Nein heißt Nein" als auch "Ja heißt Ja". Warum?

Torenz: Beide Konzepte haben Vor-, aber eben auch Nachteile. "Nein heißt Nein" sagt erst einmal nichts darüber, wie Sex abzulaufen hat. Es sagt zwar, solange kein Nein fällt, kann alles passieren – doch es gibt auch keine neuen sexuellen Normen vor, wie Menschen in der Sexualität kommunizieren sollten. Demgegenüber heißt "Ja heißt Ja" aber, so und so sollt ihr in der Sexualität kommunizieren. Eindeutig kommunizieren, vor jeder Handlung fragen, Zustimmung einholen – das alles setzt sehr starke Normen, wie Menschen ihre Sexualität leben sollen. Das halte ich für ein starkes Eingreifen. Der Vorteil von "Ja heißt Ja" ist wiederum, dass in Fällen von Schockstarre, also wenn man sich in Gewaltsituationen nicht mehr bewegen kann, dass das trotzdem als Übergriff und als Gewalt fassbar wird – obwohl man nicht Nein gesagt hat.

STANDARD: Sie kritisieren, dass sich die aktuellen feministischen Debatten gut mit neoliberalen Leistungsanforderungen verknüpfen lassen. Inwiefern?

Torenz: Die Frage "Wie können wir Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt verhindern?" wird komplett individualisiert. Die Beteiligten hätten demnach die Verantwortung, Einvernehmen herzustellen. Doch so werden Machtverhältnisse, in die die Beteiligten verstrickt sind, unsichtbar. Es wird so getan, als würden sich in sexuellen Situationen immer Gleiche begegnen – doch das ist noch immer nicht so. Diese Perspektive blendet auch aus, wie sehr wir schon von Kind an von Geschlechterbildern geprägt sind, wie Männer oder Frauen begehren würden und wie wir mit bestimmten Vorstellungen aufgewachsen sind, was sozial erwünscht ist und wie man seine Rolle als Mann oder Frau ausfüllt. Diese verinnerlichten Rollen werden auch in sexuellen Interaktionen ausgelebt – im Konzept von "Ja heißt Ja", das so viel über "den richtigen" Sex sagen will, bleibt diese Ebene aber völlig ausgeblendet. Stattdessen werden traditionelle Bilder von passiver weiblicher und aktiver männlicher Sexualität auch noch verstärkt: Denn wer nach Zustimmung fragen und wer sie geben soll, ist klar geschlechtlich gedacht.

STANDARD: Aber wie kann man sich sonst aktiv gegen sexualisierte Gewalt wenden, ohne nur das persönliche Handeln zu adressieren?

Torenz: In der Sexualpädagogik mit Jugendlichen halte ich es etwa für wichtig, nicht immer nur davon zu reden: Ihr müsst klar eure Grenzen benennen. Man müsste vielmehr darüber reden: Was habt ihr schon ausprobiert, was würdet ihr gerne ausprobieren, warum – und wie sollte man sich auf bestimmte sexuelle Praktiken vorbereiten? Wir müssen auch darüber reden, wann eine Grenze überschritten wird – und wie kann man damit umgehen, ohne in ein Ohnmachtsgefühl zu verfallen. Grenzüberschreitungen müssten mehr als Teil der Sexualität gedacht werden. Aber nicht in dem Sinne, dass beabsichtigte Grenzverletzungen ausgehalten werden sollten – das meine ich nicht! Doch Menschen müssen ermutigt werden, neue sexuelle Erfahrungen zu machen und sich auch darauf vorbereiten, dass die auch einmal schlecht sein können. Ich würde mir wünschen, dass wir Feministinnen eine fehlerfreundlichere Sexualkultur propagieren. Wenn der Fokus nicht so stark darauf gerichtet ist, dass eine sexuelle Begegnung schon potenzielle Gewalt ist, könnte das im Umgang miteinander viel bewirken.

STANDARD: Aber Sexualität birgt für Frauen ja tatsächlich weit häufiger eine Gefahr als für heterosexuelle Männer.

Torenz: Ich selbst bin viel in feministischen Kreisen aktiv und begreife das Buch als Beitrag zum innerfeministischen Diskurs. Ich will das auf keinen Fall auf "Diese feministischen Konzepte gegen sexualisierte Gewalt sind alle Quatsch" verkürzt sehen. Was ich aber in Berlin und auch in Deutschland generell wahrnehme, ist, dass es innerhalb aktivistischer Kreise sehr viel um die Prävention von sexualisierter Gewalt, um Einvernehmen, um "Ja heißt Ja" geht. Das ist einerseits ein Präventionskonzept, doch es gibt auch viele Vorgaben darüber, wie wir unsere Sexualität leben sollen. Wie wir beispielsweise flirten können und dabei immer Einvernehmen absichern. Ich will gar nicht sagen, das soll es nicht geben. Ich fände es nur gut, wenn es nebenbei noch andere Ideen davon gäbe, wie man Sexualität leben kann. Zustimmungskonzepte sind in gewisser Hinsicht auch heikel. Sie tun so, als ob man ganz klar und direkt kommunizieren müsste, damit Einvernehmen verstanden wird. Ich halte das auch für gefährlich, weil es ein Entschuldigungsnarrativ von Tätern bedient, die bei einer Grenzverletzung ja oft sagen: Oh, das hab ich missverstanden. Stattdessen zeigen Studien, dass Menschen indirekte und nonverbale Ablehnungen in sexuellen Situationen sehr wohl verstehen können. Es geht nicht um klarere Kommunikation, sondern darum, dass Täter oft kein Nein hören wollen. Wir müssen Menschen vielmehr ermutigen, auch auf nonverbale Signale zu hören und darauf zu vertrauen, dass wir uns auch indirekt verstehen – so wie wir uns bei vielen anderen Dingen des Alltags schon verstehen.

STANDARD: Die derzeit dominanten Konzepte gegen sexualisierte Gewalt erfordern sehr reflektierte Personen, die verbal versiert und im Selbstmanagement perfekt sind?

Torenz: "Ja heißt Ja" setzt autonome, rational handelnde, planende Subjekte voraus. Das ist ja gleichzeitig eine Vorstellung, die Feministinnen als männliche Vorstellung von Autonomie kritisiert haben. Dem setzten Feministinnen eine Vorstellung von Solidarität entgegen, eine Vorstellung davon, dass wir verletzlich sind und in Abhängigkeiten leben. Die Anforderungen nach klarer Kommunikation, nach Aushandlung leisten aber wieder der Vorstellung vom völlig autonomen Subjekt Vorschub, das seine Absichten kennt, diese artikulieren kann und will und problemlos eine Zurückweisung einstecken kann.

STANDARD: Apropos Autonomie. Sie schreiben, in den 1970er-Jahren hätte es noch ein anderes Verständnis von Selbstermächtigung gegeben als heute. Inwiefern hat sich das gewandelt?

Torenz: So wie ich die Texte der sogenannten zweiten Frauenbewegung aus den 1970er-Jahren verstehe, war Selbstbestimmung vor allem ein politischer Begriff, bei dem es darum ging, sich gemeinsam als Frauen zu emanzipieren, gemeinsam gegen die Macht der Männer zu kämpfen. Heute ist der Selbstbestimmungsbegriff näher an einer individualisierten Vorstellung von Emanzipation im Sinne von: Ich bin selbstbestimmt und mache individuell, worauf ich Lust haben. Es geht oft um Selbstoptimierung und "Ich finde für mich raus, was ich will". Das entpolitisiert den Kampf gegen sexualisierte Gewalt leider ein Stück weit. (Beate Hausbichler, 28.5.2019)