Laue Frühlingsnächte hatten wir heuer noch nicht so viele. In Leithaprodersdorf weiß man sie zu feiern.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Reh wird kurz und entschlossen gegrillt und mit im Ofen geschmorten Goldrüben, ganz kurz in Butter ermüdetem Mangold und einem Honigsaftl serviert.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es kann durchaus sein, dass Egon Blümel auch um halb acht Uhr abends noch Kamm und Schere zücken muss. Leithaprodersdorf liegt zwar nur ganz knapp im Burgenland (Deutsch-Brodersdorf, der andere Teil der Gemeinde, ist noch Niederösterreich), dennoch scheinen die Uhren da schon entspannter zu gehen als anderswo.

"Wenn Stammkundschaft kommt, bin ich bereit", sagt der Friseur. Die Schneiderei, direkt bei der mächtigen Dorfkirche gelegen, ist sein Salon. Ein außergewöhnliches Wirtshaus ist sie aber auch.

Und nicht nur, weil da mit Walter Leidenfrost gerade einer der tollsten Köche der Hauptstadt aufgeschlagen hat und bis auf weiteres – "sicher bis in den Sommer" – hinterm Herd steht. Das alte Dorfgasthaus wurde vor ein paar Jahren von Blümel und seiner Frau Tamara renoviert und zum Teil auch neu aufgebaut. Seitdem ist im vorderen Teil der Haarsalon untergebracht.

Hinten, im schönen alten Gastzimmer, gibt es eine prächtige Schank, behäbige Holztische – und seit ein paar Wochen auch etliche große Einmachgläser und Glasballons, in denen der neue Küchenchef allerhand Gemüse und Früchte fermentiert.

Leidenfrost war zuletzt im Wiener "Ludwig Van" für zwei Hauben gut und gilt dennoch als Koch, der tolles Essen eben nicht als Anhäufung hübsch arrangierter Cremes und Pürees mit Deko-Gemüse und bunten Blüten an allzu sanft denaturierten Edelteilen versteht.

Sondern, und das ist selten in Österreich, einen völlig unverschmockten Stil pflegt, der auf Geschmack und sonst nix fokussiert. Den Sommer in Leithaprodersdorf will er nutzen, um den befreundeten Betreibern ein neues Küchenkonzept zu basteln – und um ein bissl Spaß zu haben.

Das merkt man den Speisen an. Sie scheinen noch deutlicher aufs Wesentliche reduziert zu sein als an der früheren Adresse. Salat mit allerhand Blättern, Radieschen und anderem Frühlingsgemüse der Wiener Gärtnerinnen-Legende Eveline Bach ist so ein Fall: Besseren Salat als diese fleischigen, vor Kraft und fein differenziertem Aroma förmlich berstenden Blätter kann man sich kaum vorstellen. Leidenfrost akzentuiert sie mit weißem Spargel, cremigem Schaffrischkäse und ein paar Nüssen – ein großer Teller Glück, exakt abgeschmeckt, oh ja.

Reifes Fleisch

Tartare von der extraalten Kuh (X.O. Beef) ist Fleisch pur – auch hier weiß Leidenfrost die Kraft des Ausnahmelebensmittels exakt zu konturieren: Das zarte Fleisch würfelt er groß und macht es nur mit Öl, Kren, Schnittlauch an. Dazu gibt's chilischarfe Gurke und köstlich poppende, im Ganzen eingemachte Senfkörner. Was soll man sagen: Schon die kleine Portion ist groß, die große dennoch die klügere Wahl.

Frühlingsgemüse im Klachlfond erinnert an Seerosen im dunklen Teich: Die Fußerl-Suppe tief, erdig, feine Zitronenaromen tanzen wie Lichtreflexe darauf, dazu gibt's explosiv aromatischen Fenchel (auch von Evi Bach), süß-bissigen Zwiebel, herrlichen Spargel: ein hochexpressiver Gang, große Küche, wie nebenbei serviert.

Gebackenes Bries gerät wunderbar lebendig, zart unter der buttrigen Panier, dazu gibt's Erdäpfelmayo-Salat, der nicht nur wegen Unmengen ganz jungen Schnittlings unanständig frisch schmeckt.

Reh wird kurz und entschlossen gegrillt und mit im Ofen geschmorten Goldrüben, ganz kurz in Butter ermüdetem Mangold und einem Honigsaftl serviert, das die herbe Kraft des Gemüses auf entspannte Art zähmt.

Und hinterher? Kann man dem alten Grenzfluss Leitha nachspazieren und dem lange vergangenen Österreich und Ungarn nachsinnen. Schließlich will man sich die Laune nicht mit dem, was ist, verderben lassen!(Severin Corti, RONDO, 31.5.2019)

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