Bei einem genaueren Blick auf die Rahmenbedingungen für das Edelmetall Gold zeigen sich für manche Experten bereits zahlreiche Risikofaktoren für die Weltkonjunktur.

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Der starke Einbruch der Aktienmärkte zu Ende des Vorjahres samt begleitenden Rezessionsängsten könnte nur die Ouvertüre für größeres Ungemach gewesen sein. Mit wenig Zuversicht interpretieren die Experten des Vermögensverwalters Incrementum die wirtschaftliche Gemengelage, in der sie eine Krise des Vertrauens in Politik und Gesellschaft ausmachen. Das Vertrauen in Währungen, Notenbanken und in den US-Dollar sei noch hoch, sagt Ronald Stöferle. "Aber dieses Vertrauen wird zu bröckeln beginnen, denn die Rezessionsgefahren sind deutlich höher als vom Markt diskontiert."

Als Achillesferse für den Aufschwung sieht er das stetig steigende US-Haushaltsdefizit, das trotz "vermeintlicher Hochkonjunktur" – angefacht nicht zuletzt durch die auf Pump finanzierte US-Steuerreform – bereits auf fast vier Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen sei. "Was passiert in einer Rezession mit den Defiziten?", fragt Stöferle anlässlich der Präsentation der 13. Auflage des jährlich erscheinenden Reports "In Gold We Trust". Seine Erwartung: Sie würden um bis zu fünf Prozentpunkte ansteigen.

Noch mehr Stimulus

Sobald das Rezessionsgespenst wieder auf den Plan tritt, werden nicht nur die Notenbanken ihre Geldschleusen weit öffnen – Stöferle erwartet Negativzinsen und weitere Runden der als "quantitative easing" bezeichneten Wertpapierkäufe, sondern auch eine Ergänzung durch die Fiskalpolitik gemäß der in Mode gekommenen Modern Monetary Theory. Diesem Gedankenkonstrukt zufolge finanzieren Staaten ihre Ausgaben nicht mit Steuern, sondern ermöglichen Steuerzahlungen erst mit die Ausgabe von Geld. Dadurch würde die Trennung von Staat und Notenbank stark aufgeweicht. Sprich, der Stimulus durch Notenbanken und Staat werde in der nächsten Rezession stärker als in der Finanzkrise ausfallen.

Anzeichen für eine nahende Rezession sieht Stöferle anhand einiger Kennzahlen wie der "bedenklich" flachen US-Zinskurve: Sind die kurzfristigen Zinsen höher als die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen, folgte darauf zuletzt stets ein negatives Wirtschaftswachstum. Auch der Indikator der US-Notenbank Fed sei zuletzt steil angestiegen und taxiert die Rezessionswahrscheinlichkeit im April 2020 bereits mit fast 30 Prozent. "Die vergangenen zwölf Monate haben gezeigt, dass der unverwundbar erscheinende US-Aufschwung tiefe Risse erhalten hat", folgert der Incrementum-Experte.

Unter der Oberfläche manifestierte sich auch beim US-Dollar bereits eine Vertrauenserosion. Dies zeige sich etwa durch Bestrebungen etlicher Länder, den Dollar als Verrechnungswährung zu umgehen, sowie bei manchen Notenbanken der Schwellenländer: Russland hat seine Goldreserven seit 2009 mehr als vervierfacht, China verdreifacht und Indien fast verdoppelt, insgesamt erwarben die Zentralbanken die größte Menge Gold seit 1971 – für Stöferle ein klares Misstrauensvotum gegen das dollarbasierte Geldsystem.

Ende des "Durchwurstelns"

Unterm Strich sieht der Fondsmanager die Wirtschaft in einer "Phase des Durchwurstelns" mit mäßigen Wachstums- und Inflationsraten, in der den Zentralbanken die Normalisierung ihrer expansiven Geldpolitik in den USA nicht ganz und in Europa oder Japan erst gar nicht gelingt. Die von ihm beschriebene Entwicklung würde wieder zu einer Umkehr führen, also zu einer neuerlichen Geldschwemme – mit positiven Auswirkungen für Gold. Dazu müsste der Preis allerdings zunächst die Marke von 1380 Dollar knacken, woran das Edelmetall in den vergangenen Jahren mehrfach gescheitert ist. Gelingt dies, könne es schnell auf 1500 oder mehr Dollar gehen. "Es ist sehr viel Geld an der Seitenlinie", sagt Stöferle, "es möchten viele in Gold hinein."

Der diesjährige Goldreport wurde von Incementum von einem 15-köpfigen Team rund um Stöferle und seinem Kollegen Mark Valek auf 330 Seiten erstellt, der heuer erstmals auch für China in Mandarin erscheinen wird. Im Vorjahr wurde er 1,8 Millionen Mal heruntergeladen, mit einem ähnlich pessimistischen Grundton. Aber Stöferle räumt auch ein, dass die von ihm beschriebenen Ungleichgewichte mitunter lange anhalten können.(Alexander Hahn, 29.5.2019)