Patienten wüssten oft nicht, dass es die Kurzimplantat-Methode gibt, sagt Kieferchirurg Rolf Ewers. Außerdem pushe die Industrie die etablierten Methoden stark.

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Herkömmliche (zweites und viertes von links) und Kurzimplantate (erstes und drittes von links) im Vergleich.

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Bei herkömmlichen Implantaten müssen die Löcher dreimal so tief sein.

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STANDARD: Für wen eignen sich Kurzimplantate?

Ewers: Für alle Patienten, die ein Implantat benötigen. Doch vorrangig für jene, bei denen kaum noch Kieferknochen vorhanden ist. Es gibt Fälle, da ist der Knochen dünn wie Pergament. Viele dieser Patienten waren bei ihrem Zahnarzt, und der hat ihnen gesagt: "Für Sie können wir nichts mehr tun. In diesen dünnen Knochen können wir keine Implantate mehr setzen." Die Patienten bleiben in dem Glauben, dass sie mit einer klassischen Totalprothese, die mit Haftcreme fixiert wird, weiterleben müssen.

STANDARD: Wieso haben diese Patienten so wenig Knochen?

Ewers: Die meisten leben schon seit 20, 30 Jahren oder noch länger zahnlos und mit schlecht sitzenden Prothesen. Diese reiben den Knochen ab. Da gibt es unglaubliche Geschichten. Eine meiner Patientinnen hatte mit 18 Jahren ständig Zahnschmerzen. Dadurch fiel sie regelmäßig als Arbeitskraft in der Greißlerei ihrer Tante aus. Diese hat sie daraufhin zum Zahnarzt geschickt und vorher mit ihm vereinbart, dass er ihrer Nichte alle Zähne ziehen soll. Als sie aus der Narkose aufwachte, war sie komplett zahnlos und trägt seither Prothesen. Einer anderen Patientin wurden ebenfalls schon in jungen Jahren alle Zähne gezogen, und zwar vor ihrer Hochzeit, sodass der künftige Ehemann nicht für Zahnarztkosten aufkommen muss. Die Patientin ist aus dem Waldviertel, dort waren solche Praktiken früher verbreitet. In den meisten Fällen sind es aber Patienten mit Lückengebiss und vielen wackeligen Zähnen, die lange erhalten wurden. Auch dadurch baut der Knochen ab.

STANDARD: Wie funktionieren herkömmliche Zahnimplantate?

Ewers: Das Implantat, das im Knochen sitzt, und die Zahnkrone sind mit einer Schraube verbunden. Doch um Schrauben zu befestigen beziehungsweise zu lösen, braucht es einen Spielraum, es entsteht also ein Spalt. Genau hier liegt das Problem. Denn in diesem Spalt bilden sich Bakterien, ein sogenannter Biofilm, dadurch kommt es zu Knochenabbau und Periimplantitis, also einer Entzündung des Implantatbetts. Damit die Implantate trotzdem lange im Kiefer verbleiben können, wurden sie besonders lang gemacht und sind somit keine Option für Patienten mit wenig Knochen.

STANDARD: Aber es gibt doch auch die Möglichkeit des Knochenaufbaus?

Ewers: Ja, dabei wird ein Stück Beckenknochen als Kieferersatz eingesetzt. Doch das ist eine große OP in Vollnarkose, die schmerzhaft sein kann. Durch die OP an der Hüfte humpeln die Patienten oftmals ein halbes Jahr danach. Bis alles erledigt ist, dauert es sehr lange. Hier haben Kurzimplantate einen Vorteil. Sie können auch eingesetzt werden, wenn nur wenig Knochen vorhanden ist.

STANDARD: Wie funktionieren sie genau?

Ewers: Wie bei Flugzeugpropellern und Schiffsschrauben werden das Implantat und die Krone mit einem konischen Zwischenstück verbunden, dadurch entsteht kein Biofilm, und kurze Implantate reichen aus. Ich habe selbst lange nicht geglaubt, dass es funktioniert. Bis ich auf Röntgenbildern gesehen habe, dass es keinen Knochenabbau gibt. Unter Experten wird immer noch gestritten, welches System besser ist.

STANDARD: Wie werden die Kurzimplantate eingesetzt?

Ewers: In Lokalanästhesie wird die Schleimhaut aufgemacht und ein kleines Loch gebohrt – bei klassischen Implantaten ist es übrigens dreimal so tief. Dann wird das Implantat reingedrückt und die Wunde wieder zugenäht. Dann müssen die Implantate heilen, im Unterkiefer drei und im Oberkiefer sechs Monate. Nach dieser Zeit wird ein kleiner Schnitt gemacht, die Schleimhaut aufgeklappt und ein prothetischer Abdruck für die Zahnkronen gemacht, zehn Tage später werden sie aufgesetzt. Fehlen einem Patienten etwa drei Zähne, werden meist nur zwei Implantate gesetzt und eine Drei-Zahn-Brücke angefertigt.

STANDARD: Und das hält?

Ewers: Ja, weil das konische Verbindungsstück gut hineingeklopft wird und der Patient mehrmals täglich darauf beißt.

STANDARD: Ist das auch für zahnlose Patienten eine Option?

Ewers: Sie bekommen eine implantatgestützte Prothese, die wie ein Stecksystem funktioniert. Es werden also drei oder vier Implantate in einem Kiefer eingesetzt, und darauf wird die Prothese befestigt. Ich habe auch Patienten, die haben so wenig Knochen, dass die Prothese nur mit einem Implantat in der Mitte befestigt werden kann – das ist die minimalste Lösung. Aber selbst das ist besser als eine wackelige Totalprothese.

STANDARD: Und wie geht es Patienten mit so einer implantatgestützten Prothese im Alltag?

Ewers: Der Gaumen ist frei, so können sie die guten Dinge des Lebens schmecken, etwa Schokolade oder Kaffee. Natürlich darf man nicht abbeißen, etwa vom grünen Blend-a-med-Apfel oder von einer Karotte. Aber klein geschnitten kann man alles essen. Patienten, die nur eine einzelnes Implantat mit Zahnkrone haben, erzählen mir immer wieder, dass sie gar keine Rücksicht darauf nehmen müssen, was und wie sie essen.

STANDARD: Was ist die Vorgeschichte dieser Patienten?

Ewers: Sie sind meist jünger, hatten einen Unfall oder haben durch Tumoren Zähne verloren.

STANDARD: Warum kennen so wenige diese Methode?

Ewers: Weil Patienten oft nicht wissen, dass es sie gibt. Außerdem pusht die Industrie die etablierten Methoden stark.

STANDARD: Liegt es auch an den Kosten?

Ewers: Nein, die Kosten von herkömmlichen und Kurzimplantaten sind gleich. Oft sogar etwas geringer, weil die aufwendige Operation wegfällt, bei der ein Stück Beckenknochen entnommen werden muss.

STANDARD: Wie viel kostet ein Implantat?

Ewers: In Wien zwischen 1.300 und 1.500 Euro und noch einmal so viel für die Krone. Nehmen Patienten aber an einer Studie teil, ersparen sie sich zwei Drittel der Kosten, müssen dafür aber fünf Jahre lang regelmäßig zur Kontrolle kommen.

STANDARD: Und was kostet ein neues Gebiss?

Ewers: Pro zahnlosem Kiefer muss man mit den Kosten eines Kleinwagens rechnen, zwischen 10.000 und 13.000 Euro – egal ob herkömmliche oder Kurzimplantate. (Bernadette Redl, 5.6.2019)