Die EU-Kommission hat die Drohung gegen die Regierung in Rom wahrgemacht und ein Defizitstrafverfahren gegen Italien eingeleitet. Nicht überraschend. Ende vergangenen Jahres hatte Währungskommissar Pierre Moscovici substanzielle Nachbesserungen des vorgelegten Haushaltsentwurfs verlangt. Die Populistenregierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung beteuerte auf dem Papier Besserung, ließ es aber an Taten und Kurswechsel mangeln.
Im Frühjahr hieß es dann in Brüssel, die Kommission könnte noch vor Ostern gegen das höchstverschuldete Land in der EU – ohne Wirtschaftswachstum – vorgehen. Davon sah man in Hinblick auf die Europawahlen ab. Nach geschlagener Wahl, bei der die Lega unter Matteo Salvini einen gewaltigen Erfolg erzielte, ist es nun so weit.
Letzte Versuche von "Marionettenpremier" Giuseppe Conte in Rom, die beiden ihn steuernden Regierungsparteien per Rücktrittsdrohung zum Einlenken zu bringen, waren vergeblich. Die Frage ist, was das Verfahren wert ist.
Salvini bleibt uneinsichtig. Er sucht die Konfrontation "mit Brüssel", verspricht den Massen weiter Steuersenkungen, wie EU-skeptische Populisten das so tun. Er zielt auf Neuwahlen im Herbst ab, kalkuliert ein, dass dann er selbst Regierungschef im Kreis des Europäischen Rates ist.
Neue Krisenrunde
Für Moscovici ist der Schritt eine Genugtuung. Er demonstriert, dass die Kommission sich bei den Euroregeln nicht an der Nase herumführen lassen darf. Wenn er das ausgerechnet an dem Tag verkündet, an dem Spanien aus einem Defizitverfahren entlassen wird, unterstreicht das das politische Signal: Die Eurokrise seit 2010 mit mehr als zwei Dutzend Verfahren gegen fast alle EU-Staaten ist zu Ende. Italien eröffnet eine neue Krisenrunde. Frankreich könnte folgen.
Der Haken dabei: Es handelt sich um eine Kommission, die nach der Sommerpause abtritt. Sie ist politisch eine Lame Duck, eine "lahme Ente", und übergibt den Problemfall Italien an die EU-Finanzminister im Rat und die Nachfolgekommissare. Ob die im Stabilitätspakt vorgesehene Milliardenstrafe je schlagend wird? Das ist völlig offen.
Dabei sprechen nicht nur Zahlen, es ist eine politische Entscheidung, die letztlich die Regierungen der Eurozone treffen werden. Im Fall Spanien und Portugal haben sie 2016 trotz Kommissionsempfehlung von einer Strafe abgesehen. Aber: Die Italiener sind gewarnt. Wer vorsätzlich die Eurostabilität gefährdet, macht sich keine Freunde – und wird zuerst von den Finanzmärkten hart bestraft. (Thomas Mayer, 5.6.2019)