Ich habe mir ja vorgenommen, in meinem Nachhilfeblog über meine Erlebnisse und Erfahrungen aus vielen Jahren Nachhilfeunterricht zu schreiben. Gerade Eltern haben dadurch die Möglichkeit, ein bisschen hinter die Kulissen zu blicken, wenn es um die mathematischen "Aktivitäten" im Unterricht ihrer Kinder geht.
 
Der Übungszettel im Mathematikunterricht ist grundsätzlich eher nicht der Rede wert. Es müsse ihn ja überhaupt nicht geben: Es gibt ja ein Schulbuch und da stehen eh genug Beispiele drin. Oder doch nicht?
Er dient vielerorts als praktisches Utensil, wenn zum Beispiel ein neues Kapitel dadurch besser vermittelt und für die Schüler und Schülerinnen verständlich(er) aufgebaut werden kann. Ein Übungszettel soll vor allem die Schüler zum Tun bewegen. Das Ziel ist ja selbständiges Üben und Arbeiten. Und das klassische Schulbuch – so bunt und hübsch diese heutzutage auch sind – ist immer nur ein Kompromiss. Kurzum: So ein Zettel ist vom Lehrer gut gemeint und für die Schüler eine Chance und Möglichkeit zum Üben. Zumindest sollte es so sein.

Da ich ja auf der anderen Seite des Schulsystems tätig bin, sehe ich immer wieder die Herausforderungen desselbigen. Natürlich sehe ich auch viele gute Übungszettel in den Unterlagen meiner Schüler, aber ich möchte hier drei bestimmte Typen herausgreifen, quasi die Klassiker negativer Beispiele.

Übungszettel aus der Hölle
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1. Übungszettel: Vor Weihnachten

Es ist kurz vor Weihnachten und die nächste Mathe-Schularbeit ist gleich in der ersten Schulwoche im Jänner. Eine Mutter erklärt mir, dass die Frau Professor einen Übungszettel ausgegeben habe, da bereits viele Mathestunden zuvor ausgefallen seien und auch gleich im Jänner die Schularbeit warte. Das Problem sei nun, dass ihr 14-jähriger Sohn voll anstehe, obwohl es nicht an der Einstellung oder am Bemühen fehlen würde. Die meisten seiner Freunde hätten das Blatt noch gar nicht angeschaut, daher fehle der Vergleich. Schnell wurde daher ein strategischer Vor-den-Weihnachtsferien-Termin vereinbart, um dem jungen Mann unter die Arme zu greifen. Das Übungsblatt war so, wie man sich das erwarten konnte: Es lud weder zum Üben ein, noch half es einen Millimeter weiter.

Zum einen schwingt bei der elterlichen Aussagen "Die Frau Professor hat einen Übungszettel ausgeteilt!" ein gewisse Dankbarkeit mit, dieses Blatt überhaupt bekommen zu haben. Meiner Meinung nach ist so etwas durchaus Teil ihres Jobs und damit keine dankenswerte Ausnahmeerscheinung. Zum anderen sind Zettel dieser Art oft bloß ein Haufen Beispiele ohne Struktur, Orientierungshilfe und darüber hinaus auch oft ohne Lösungen.

Solche Zettel wurden irgendwann einmal von irgendeinem Lehrer zusammengestellt (besser: zusammenkopiert), damit möglichst vieles darauf Platz hat und daher unterschiedlichste Kontexte angerissen werden können. Gerade in der vierten Klasse Unterstufe gibt es das Kapitel "Gleichungen", wo es seitenweise Textaufgaben in den Schulbüchern gibt, wobei aber der Kontext jedes Mal ein anderer ist. Von Bewegungsaufgaben über Zahlenspielereien zu geometrischen Zusammenhängen, und dann über Mischungsaufgaben bis hin zum Befüllen von Schwimmbecken mit unterschiedlichen Wasserleitungen. Schülern und Schülerinnen hilft so ein Übungszettel oft keinen Millimeter weiter. Und Eltern suchen nach externer Unterstützung, vor allem vor und nach Weihnachten.

2. Übungszettel: Vor der Schularbeit

Die zweite Art von Überzetteln sind jene, die direkt vor der Schularbeit zum Üben ausgegeben werden, aber eigentlich zu wenig mit dem kommunizierten Schularbeitenstoff zu tun haben. Klingt paradox! Besagter Stoffzettel für eine Schularbeit in der 4. Klasse Unterstufe beinhaltet die Rotationskörper Zylinder und Kegel und führt als Lernziele das Volumen, den Mantel und die Oberfläche an. Gleichzeitig dazu wurde ein dreiseitiges Übungskonvolut ausgeteilt, wo sich zwei Drittel der Beispiele um die Themen Masse und Dichte drehen. Was kommt jetzt tatsächlich zur Schularbeit? Natürlich – werden die meisten jetzt denken – kann man ja den Lehrer fragen. Aber warum ist es für einen Lehrer (als praxiserfahrener Dienstleister) nicht möglich, auf allen Kanälen klar zu kommunizieren?

3. Übungszettel: Lieblos aus der Google-Suche

Die dritte und letzte Variante solcher Zettel kommen direkt aus der wenig ambitionierten Google-Suche. Ohne Denken und Abwägen wird einfach das erstbeste ausgedruckt beziehungsweise den Schülern auf der Moodle-Plattform zugänglich gemacht. Das letzte Negativ-Highlight, das mir unter die Augen kam, bestand aus mehreren Seiten Potenzrechnungen für die 6. Klasse Gymnasium. (Un-)Lustigerweise wurde es für eine 3. Klasse Unterstufe verwendet, für die nur ein Bruchteil der Beispiele adäquat war. Also wurden vorab den Schülern alle Nummern "angesagt", die nicht gemacht werden müssen. Schlussendlich gab es viel Papier und viel Chaos, sodass ich selbst keine Lust mehr hatte, mich mit diesem lieblosen Müll auseinanderzusetzen. Ist es denn zu viel verlangt, dass sich eine Lehrerin hinsetzt und bei fehlenden Textverarbeitungskenntnissen wenigstens mit der Schere die unpassenden Nummern herausschneidet?

Es gehört meiner Meinung nach zum Job jedes Lehrenden, seinen Schülern und Schülerinnen eine gute Orientierung zu ermöglichen und ihnen den Zugang zu Lernmaterial zu erleichtern. Das beginnt beim klar umrissenen Schularbeitenstoff und mündet dann in qualitativ guten und vor allem durchdachten Übungszetteln. Als Lehrer sehe ich ja auf den ersten Blick, ob drei Beispiele zum selben Thema nach Schema-F gehen oder ob jedes immer wieder anders "anzupacken" ist. Und nein: Die Klasse ist nicht voll von Kindern, die alles von selbst auf die Reihe kriegen. Irgendjemand muss sie dorthin führen.

Positivbeispiel: Gute Orientierung und Engagement

Als Beispiel guter Praxis möchte ich über Arbeitsblätter einer alternativen Grazer Schule berichten, die wirklich großen Wert auf selbständiges Arbeiten legt. Alle Übungszettel sind liebevoll kommentiert und die Beispiele sind quasi in drei "Levels" eingeteilt. Da haben die Schüler eine gute Orientierung und erkennen leicht, wo beim Üben der erste Einstieg gelingen kann. Damit fällt auch der Umstieg auf die höheren Beispiele leichter. Natürlich hat es dafür ein persönliches Engagement der Lehrkräfte gebraucht, um damit den Schülern und Schülerinnen ihre individuellen Lernprozesse zu ermöglichen.

Summa summarum: Dafür, dass irgendwelche Beispiele aus irgendwelchen Büchern schnell und unreflektiert zusammenkopiert werden, braucht es keine Lehrer. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Schülern gute Übungsmaterialien zugänglich gemacht werden, die sie möglichst dort abholen, wo sie gerade stehen. Einfachere wie auch herausfordernde Beispiele können als solche auch gekennzeichnet werden und kleine Anleitungen helfen schnell weiter. Im Umkehrschluss entsteht dadurch für niemanden ein Schaden. Ganz im Gegenteil: Es kann den Zugang zum Üben nur erleichtern. So wie es die Montessori-Pädagogik ausdrückt: "Hilf mir, es selbst zu tun." Und üben müssen schlussendlich die Schüler und Schülerinnen selber. Das ist dann deren Job! (Rainer Saurugg, 7.6.2019)

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