Im Wellenbecken können Kinder von ungewohnten Situationen überrascht werden und alles Gelernte aus dem Schwimmkurs vergessen.

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Juni und Juli sind Hochsaison für Ertrinkungsunfälle. Kinder unter fünf Jahren sind besonders gefährdet, warnt der Verein "Große schützen Kleine". Er appelliert an Eltern und Aufsichtspersonen, Kinder im und am Wasser niemals aus den Augen zu lassen und in deren Schwimmkenntnisse investieren.

Holger Till, Präsident des Vereins und Vorstand der Grazer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie, warnt: "Kinder ertrinken lautlos und innerhalb weniger Minuten. Deshalb sollte man sie, bis sie zehn Jahre alt sind und sehr gut schwimmen können, am und im Wasser nie aus den Augen lassen." Das klinge sehr strikt, so der Mediziner, er sieht aber in dem Punkt absolut keinen Spielraum für Kompromisse.

In einem Fokusreport hat der Verein 200 Ertrinkungsunfälle analysiert. Das Ergebnis: Jeder fünfte Fall endet tödlich. Auf ein tödlich verunglücktes Kind kommt ein weiteres, das sein weiteres Leben mit einer schweren geistigen Behinderung verbringen muss.

Mysterium Totstellreflex

Einer der Gründe für das hohe Ertrinkungsrisiko bei Kleinkindern ist der sogenannte "Totstellreflex", der bei Kindern bis drei Jahre auftritt: Sie können aus ungeklärter Ursache den Kopf nicht aus dem Wasser heben, selbst wenn die Wassertiefe zehn Zentimeter oder weniger beträgt. Gefahrenquellen sind deshalb nicht nur Pools, Biotope oder Teiche, sondern auch Planschbecken und Regentonnen.

61 Prozent der Ertrinkungsunfälle betreffen Null- bis Vierjährige, 50 Prozent passieren sogar bis zum dritten Lebensjahr. Auf fünf- bis neunjährige Kinder entfallen 25 Prozent der Ertrinkungsunfälle, 14 Prozent auf Zehn- bis 14-jährige. Wie bei vielen anderen Kinderunfallarten sind auch bei Ertrinkungsunfällen die Buben mit zwei Drittel der Unfälle einem höheren Risiko ausgesetzt.

Ertrinken ist die häufigste tödliche Unfallursache bei Kindern bis fünf Jahre, die zweithäufigste bei älteren Kindern. "Doch betrachtet man die tödlichen Kinderunfälle seit dem Jahr 1996 in Fünfjahresschritten, so sieht man, dass der Anteil der Ertrinkungsunfälle von 18 Prozent im Zeitraum 1996 bis 2000 auf zehn Prozent im Zeitraum 2011 bis 2015 zurückgegangen ist, sich also beinahe halbiert hat", sagt Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins Große schützen Kleine.

Gefahren daheim

Die Jüngsten verunfallen zumeist zu Hause, die mittlere Altersgruppe im Schwimmbad und die älteren Kinder in See bzw. Fluss, beim legalen aber auch illegalen Baden. Fast die Hälfte aller Ertrinkungsvorfälle passiert in öffentlichen Schwimmbädern oder Seen, rund ein Viertel im eigenen Pool. Danach folgen Flüsse und Teiche/Biotope.

Betrachtet man die tödlich ausgehenden Ertrinkungsunfälle, so finden sich private Pools und Flüsse an erster Stelle. Auf sie entfallen je 30 Prozent der tödlichen Unfälle. 14 Prozent passieren in öffentlichen Schwimmbädern, neun Prozent in Seen.

In öffentlichen Schwimmbädern ist die Überlebensrate nach einem Ertrinkungsunfall relativ hoch, weil das zu ertrinken drohende Kind oftmals rasch bemerkt bzw. aufgefunden wird. Außerdem gibt es hier eine schnelle, gute Rettungskette.

In privaten Pools wird das Kind oft zu spät bemerkt. Auch sind die Erste-Hilfe-Kenntnisse der "Aufsichtsperson" meist mangelhaft. Till rät daher dringend, einen Kindernotfallkurs zu besuchen, um im Ernstfall schnell und richtig reagieren zu können. In Seen erschwert vor allem die schlechte Sicht das rasche Auffinden des untergegangenen Kindes.

Mangelnde Aufsicht

Eine Unterscheidung des Unfallherganges in "bewusstes Schwimmen und untergehen" (41 Prozent), "Hineinstürzen in ein Gewässer" (34 Prozent) und "unbemerkt ins Wasser gelangen" (25 Prozent) zeigt, dass bei den Jüngsten die Aufsicht der Erwachsenen und bei den Mittleren das Überschätzen der Schwimmkenntnisse signifikant zum Unfall beitragen.

"Ab vier Jahren sollten Kinder Schwimmkurse besuchen", raten die Experten. Und dennoch sind Kinder, die gerade erst schwimmen gelernt haben, im Wasser nicht sicher. "Scheine", etwa der Freischwimmerausweis, werden sowohl von Kindern als auch von Eltern überschätzt.

"Vor allem, wenn sie es in einem Schwimmbad gelernt haben, und nun in einem See oder im Meer schwimmen. Werden sie von einer ungewohnten Situation überrascht, können sie alles Gelernte vergessen und schnell und lautlos untergehen", sagt Till. Neben Meer und See passiert das auch immer wieder in Wellenbecken und Strömungskanälen.

Wichtige Sicherheitstipps

  • Pools/Biotope/Teiche mit einem 1,5 m hohen Zaun und selbstschließender Tür sichern
  • Gut überlegen: Muss ein privater Pool wirklich jetzt schon sein oder kann damit gewartet werden, bis die Kinder älter sind und gut schwimmen können
  • Für private Pools gibt es elektronische Sicherheitssysteme, die Alarm schlagen, wenn ein Kind unbeobachtet ins Wasser geht oder zu ertrinken droht
  • Kleinkindern sollte beigebracht werden, nur mit Erwachsenen ans und ins Wasser zu gehen und größeren Kindern, immer nur zu zweit zu schwimmen
  • Nicht auf Schwimmhilfen verlassen, sie bieten keinen zuverlässigen Schutz
  • Wenn kleine Kinder verschwunden sind, immer zuerst dort suchen, wo Wasser ist oder sein könnte (red, 9.6.2019)