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In Zeiten wie Krisen kommt es einem, nicht immer, aber immer öfter, vor, als wäre man ins finsterste Mittelalter zurückversetzt – nur die Wahl der Waffen hat sich verändert. Anstelle von Hellebarden, Lanzen mit Krönig, Streitkolben, Spießen, Schwertern, Harnischen und Co wirken heute ganz andere Mittel, um Schmach und Schande bis zum (persönlichen und politischen) Tod zu erwirken. Ob die weltweite Faszination von "Game of Thrones" und "House of Cards", diversen Ritter-, Römer-, Sklaven- und Sandalenepen von archaischer Kraft oder den mit ihnen einhergehenden Mythen und Sagen herrührt, weiß wohl nur der Himmel – oder wie man in der Heimat Sigmund Freuds sagt: der Therapeut Ihres Vertrauens.

Mummerei, Maskerade und Intrigen

Wurde man früher auf dem Marktplatz an den Pranger gestellt, hat sich das Denunzieren und Schlechtmachen coram publico heute an virtuelle Orte verlagert. Und anstelle ehrlicher Duelle mit offenem Visier lassen sich heute im Schutz der Anonymität Shitstorms auslösen und Existenzen auslöschen. Mummerei, Maskerade und Intrigen erlebten (obzwar gänzlich ohne Oligarchenvideo) auch im Mittelalter schon eine Hochblüte – und nicht jeder "edle Ritter" trat nur mit lauteren Mitteln zum Zweikampf an.

Dass die Macht der Bilder den Herrschern damals schon bewusst war, beweist das nun als prachtvolles Faksimile reproduzierte "Turnierbuch Kaiser Maximilians I". Der im Wiener KHM situierte "Freydal", des Spätmittelalters größtes Turnierbuch, gehört zum Unesco-Weltdokumentenerbe und erscheint zum 500. Todestag als kommentierte Mega-Ausgabe.

Alter Ego "Freydal"

Auf Wunsch des "letzten Ritters" entstand ein geniales, umfangreiches, detail- und kunstvoll illustriertes Buch über 64 Wettkämpfe. Die 255 preziös gold- und silbergehöhten Miniaturen waren aber mehr als nur eine Sammlung von Turnierszenen und festlichen Audienzen am Hofe der Habsburger – vielmehr ein sinnbildliches Epos. In Gestalt seines literarischen Alter Ego "Freydal" kämpfte der Kaiser, um einer Dame edlen Geblüts seine Minne zu beweisen. Die Geschichte endet mit der Zustimmung, ihn zu heiraten – es war Maria von Burgund, die Maximilian 1477 in Gent ehelichte.

Als einer der wichtigsten Herrscher der Neuzeit prägte er, versiert in hoher Diplomatie und der Wirkungskraft einer positiven öffentlichen Darstellung schon früh bewusst, die politische Landkarte des Kontinents bis weit ins 20. Jahrhundert. PS: Hieß es früher, Intrige sei das Spiel der Könige, muss man konstatieren, dass Parlamentarier das schon außergewöhnlich absorbiert haben. (Gregor Auenhammer, 7.6.2019)