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Das Ende der Finanzkontrolle der EU naht. Viel Jubel gibt es trotz der wiedergewonnenen Freiheit nicht.

Foto: Reuters/ALBERT GEA

Die Herren in Schwarz sind Geschichte. Die EU-Kommission empfiehlt "das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit gegen Spanien einzustellen". Damit wird Madrid nach zehn Jahren aus der Defizitkontrolle entlassen. Das Land auf der Iberischen Halbinsel hält wieder die Vorgaben ein. Das Haushaltsdefizit lag 2018 mit 2,5 Prozent deutlich unter der Drei-Prozent-Vorgabe aus Brüssel. Jetzt muss nur noch der Rat der Finanzminister zustimmen. Danach ist Madrid wieder für seinen Haushalt selbst verantwortlich. Wenn der Rat am 14. Juni den entsprechenden Beschluss fasst, wird auch das letzte auf die Krise zurückgehende Defizitverfahren beendet. 2011 unterlagen 24 Mitgliedstaaten der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Grund zum Feiern? Kommt darauf an, für wen. Während die großen Unternehmen und die Banken in Spanien die makroökonomischen Fortschritte loben, verweisen Gewerkschaften und soziale Organisationen auf die Folgen der Sparpolitik. Spanien hat heute größere soziale Probleme als vor der Krise. Es sei "ein verlorenes Jahrzehnt", erklärt der Staatliche Sozialgipfel, dem 120 Organisationen angehören.

Armut gestiegen

Die Statistiken sprechen für sich: Die Armut stieg seit 2008 von 23,8 Prozent der Haushalte auf 26,6 Prozent. 28,3 Prozent der Kinder leben in Armut oder sind armutsgefährdet. Im EU-Schnitt sind es 20,2 Prozent. Umfragen zum Konsumverhalten bringen an den Tag, wie schlecht es vielen Haushalten tatsächlich geht. 2017 gaben 37,3 Prozent der Spanier an, dass sie keine Rücklagen für unerwartet Ausgaben hätten.

Die Spanier haben in den zehn Jahren 7,1 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. War vor der Krise das Wort "mileurista" – jene, die 1000 Euro im Monat verdient – der Begriff für prekäre Arbeitsverhältnisse schlechthin, sind heute 1000 Euro ein guter Lohn. Jeder dritte Spanier kann von seinem Lohn nicht leben. Die soziale Schere geht immer weiter auf. 2006 verfügten zehn Prozent der reichsten Spanier mehr als zehnmal so viel wie die unteren zehn Prozent, 2017 waren es 15-mal so viel.

Arbeitsmarktreformen

Zwei Reformen des Arbeitsmarktes sorgten dafür, dass Entlassungen leichter und billiger geworden sind. Knapp 30 Prozent aller spanischen Arbeitnehmer haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Spanien weist damit die höchste Quote an befristeten Verträgen in der EU auf. 13,9 Prozent sind noch immer ohne Arbeit. Bei den unter 25-Jährigen sind es gar 33,5 Prozent. Die Pensionsanpassung wurde mehrere Jahre ausgesetzt. Die Pensionskasse ist leer.

"Wir brauchen dringend einen Haushalt, der wieder mehr ausgibt", fordert der Generalsekretär der Gewerkschaft UGT, Gonzalo Pino. Die Sozialleistungen wurden ausgerechnet in den Jahren am stärksten gekürzt, in denen sie am nötigsten gewesen wären. 2011 gab der Staat pro 156,8 Arbeitslose eine Million Euro aus. 2015 war es eine Million pro 233 Arbeitslose. Seit 2009 wurden im Gesundheitswesen zwischen 15 und 21 Milliarden Euro eingespart. Heute fließen jährlich zwölf Prozent weniger in die Bildung als vor der Krise.

Weiter sparen

Auch wenn die Defizitkontrolle aufgehoben wird, bedeutet dies nicht das Ende der Sparpolitik. Laut EU leidet Spanien weiter unter einem strukturellen Defizit. Allein im kommenden Haushalt sollen, so die Empfehlung Brüssels, weitere 7,8 bis 8,2 Milliarden gespart werden. Statt zu sparen könnte Spanien sich freilich auch einnahmenseitig verbessern.

Bei Steuern wäre viel Spielraum, wäre das politisch gewollt. Die Steuerlast liegt sieben Prozent unter dem Eurozonen-Schnitt. Außerdem ging die vor einem Jahr abgesetzte konservative Regierung all die Krisenjahre mit Geld großzügig um, zumindest wenn es um Rettung des Finanzsektors ging. Spanien gab 60 Milliarden Euro für Bankenrettung aus. Laut Spanischer Zentralbank wurden 42 Milliarden nie zurückbezahlt. (8.6.2019)