"Wir sind ja so banal", meint Martin Gruber über das eigene Dasein. Und doch schöpft das Aktionstheater Ensemble erfolgreich aus sich selbst.

Apollonia T. Bitzan

Martin Gruber hat das Aktionstheater Ensemble 1989 gegründet.

Heribert Corn

Die Aktualität holte sein Stück ein: Mitten in die Endproben von Wie geht es weiter – die gelähmte Zivilgesellschaft platzte der Skandal um das Ibiza-Video. Aber der Regisseur Martin Gruber habe deshalb nicht viel uminszenieren müssen. "Am politischen Machismo arbeite ich mich seit dreißig Jahren ab", sagt er. Im neuen Stück konzentriert sich der 52-Jährige auf die WählerInnen – und er spricht das Binnen-I mit aus. Er und sein Ensemble gehen der Frage nach, wie sich die politischen Zustände auf die Gesellschaft auswirken und umgekehrt.

Vor 30 Jahren hat Martin Gruber das Aktionstheater Ensemble in Dornbirn gegründet. Mehr als 60 Inszenierungen später ist sein Ensemble in Vorarlberg wie auch in Wien beheimatet. Die West-Ost-Achse hat der freien Gruppe österreichweit Bekanntheit verschafft. Seine Inszenierungen sind anerkannt und heimsen Preise ein; Theaterhäuser holen ihn für Koproduktionen.

Politische Einigreiftruppe

Martin Gruber hat mit seinem Aktionstheater Ensemble eine ganz eigene Arbeitsform entwickelt. Als "schnelle politische Eingreiftruppe" bezeichnet, entwickeln Gruber und sein Team Stücke zu jeweils ganz aktuellen Themen: etwa zum Kampf um Aufmerksamkeit in virtuellen Zeiten (Immersion. Wir verschwinden, 2016) oder zum Rechtsruck in der Politik (Swing: Dance to the Right, 2017). Das Besondere: Die Schauspielerinnen und Schauspieler oszillieren zwischen vermeintlich authentischen Erlebnissen und großen Zeitfragen, lassen Vulgäres auf Politisches krachen wie in Pension Europa (2014), wo eine Schauspielerin von ihrer Warze an der Schamlippe spricht, um dann Texte über Beschneidung dagegenzusetzen.

Martin Gruber grinst, als er die Warzen-Episode erzählt. In seinen Stücken gelingt ihm durch diese scharfen Brüche eine Dringlichkeit, ein eigener Zugriff mit Witz und Ironie. In Die gelähmte Zivilgesellschaft, so der Untertitel seiner Jubiläumsproduktion, die heute, Mittwoch, Wien-Premiere im Werk X feiert, entlarvt Gruber, warum immer wieder so viele stimmberechtigte Bürger Rechtspopulisten wählen: Die Rechtspopulisten halten die Geflüchteten fern, dafür erhalten sie den Freibrief für ihre Politik. "Das ist zynisch, und das ist eine Tragödie", sagt er.

Degenerierte Egoisten

Gruber stellt eine trostlose, aberwitzige Gesellschaft auf die Bühne. Seine Figuren: degenerierte Egoisten, die nach Schokolade greinen. Sie sprechen zwar von den großen Problemen, "Umweltschutz ist ein Riesenthema bei uns", kreisen dann aber nur um sich selbst. Sie tragen Autoreifen wie in einem Pas de deux herum, ein poetisches Bild für die Sinnlosigkeit ihres Tuns.

Anfangs inszenierte Gruber Stücke der klassischen Dramenliteratur, besetzte sie mit Frauen, um mehr Abstand und Ironie hineinzubekommen. Doch den Theaterkanon ließ er vor zehn Jahren links liegen: "Mich interessieren die Geschichten der Zuschauer: Was müssen wir auf der Bühne machen, um bei ihnen etwas auszulösen?" Die Arbeit des Aktionstheaters beginnt also immer bei sich selbst. Die Ensemblemitglieder befragen ihre eigenen Existenzen, suchen nach eigenen Abgründen. Diese werden dann hochgeschraubt. Im dokumentarischen Stückentwicklungsansatz ist das Aktionstheater mit Gruppen wie She She Pop oder Rimini Protokoll vergleichbar.

Das Ensemble ist die Zukunft

Gruber bohrt nach, befragt in Interviews sein Ensemble, stößt Improvisationen an. Und über Nacht bringt er das – ähnlich wie Simon Stone seine Überschreibungen – in eine Textform. Das daraus destillierte Szenenmaterial montiert er neu zusammen, stellt ihm andere Texte, Musik, Choreografien gegenüber. Darum geht es ihm: durch die Unverhältnismäßigkeit der Textmontage Irritation, Überraschung, Absurdität herzustellen. Geprobt wird jeweils drei Monate lang, ein Luxus im Vergleich zu den engen Intervallen am Stadttheater.

Martin Grubers Ensemble besteht im großen Kreis aus rund 30 Leuten, die er abwechselnd besetzt. Die freie Produktionsweise ermöglicht es ihm, weiter zu gehen als an institutionalisierten Häusern, an denen er auch schon gearbeitet hat (Volkstheater Wien, Volksoper Wien). Vor allem kann sein Ensemble schneller reagieren. "Ich glaube an das Ensemble. Das ist die Zukunft!" Einen definierten Traum habe er nicht. Wer konkrete Pläne mache, fahre immer in die Scheißgasse, sagt Martin Gruber, aus dem aktuellen Stück zitierend. Und in die Scheißgasse, da will er nun wirklich nicht hin. (Julia Nehmiz, 11.6.2019)