Wenn Iwona Laub über die Pflanzen in ihrer Wohnung redet, untertreibt sie gerne. Sie sagt dann Sätze wie "Mir kommt es eigentlich gar nicht so viel vor". In Wahrheit tummeln sich etwa 150 Pflanzen jeder Größe in der Wohnung der 33-jährigen PR-Managerin in der Nähe des Wiener AKH. Auf dem Fensterbrett die kleinen, in Töpfen im Schlafzimmer oder der Wohnküche die opulenteren Exemplare.

Auf einem großen Regal in der Küche stehen die Schätze der Sammlung: Ganz unten die Stecklinge, je größer die Pflanzen werden, desto weiter wandern sie nach oben. Zwei Katzen streunen herum und zeigen sich von den floralen Mitbewohnern unbeeindruckt. "Mittlerweile kommen mir Wohnungen ohne Pflanzen total nackt vor", sagt Laub. Damit ist sie nicht allein. Die Zimmerpflanze ist im Trend, im realen wie virtuellen Leben. Auf der Social-Media-Plattform Instagram tummeln sich die "Plantfluencer": Menschen wie Iwona Laub, die viel Zeit und Energie in ihre Zimmerpflanzen stecken und die Fotos ihrer Lieblinge mit einer wachsenden Community teilen.

Privat ist PR-Managerin Iwona Laub "Plantfluencerin". Bedeutet: Sie zeigt ihre 150 Zimmerpflanzen unter Hashtags wie #Urbanjungle auf Instagram – und berät andere Pflanzenliebhaber.
Foto: Heribert Corn

Die Hashtags, unter denen die Fotos mit dem grünen Daumen organisiert werden, reichen von #UrbanJungle über leider kaum übersetzbare Wortspiele wie #PlantParenthood bis hin zu #MonsteraMonday, den Besitzer der auch Fensterblatt genannten Monstera nutzen, um ihre Lieblinge zu präsentieren. "Die Community ist extrem freundlich und positiv", sagt Laub – durchaus keine Selbstverständlichkeit im Internet. Man tausche Tipps aus oder verschenke überzählige Stecklinge. Es gehe dabei auch keineswegs nur um die perfekte Selbstdarstellung. "Manche posten auch Fotos von ihren welken oder kranken Pflanzen und fragen in die Runde, was das Problem sein könnte."

Foto: Heribert Corn

Verantwortung im Kleinen

Die Plantfluencer-Community ist eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft. Aber auch über diese spezielle Zielgruppe hinaus scheinen gerade Millennials die Zimmerpflanze für sich entdeckt zu haben – als Einrichtungsgegenstand, Hobby und Statussymbol. Wie so oft bei Trends ist es nicht einfach, abzugrenzen, wo ein Phänomen wirklich zahlenmäßig zunimmt, wo seine Sichtbarkeit zunimmt und wo sich beides überschneidet. Laut einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2016 sind Millennials aber zumindest an Zimmerpflanzen tatsächlich interessierter als die Generation ihrer Eltern davor. Die Erklärungsmuster sind vielfältig.

Erstens wird Millennials – oder zumindest einigen Milieus dieser Alterskohorte – in vielen Studien die Tendenz zum Neo-Biedermeier und dem Rückzug ins private Idyll attestiert. Schöne, beeindruckende Pflanzen werden als selbstverständlicher Teil der Inneneinrichtung behandelt. Eine große Monstera verbessert nicht nur die Luft im Raum, sondern macht Wohnungen stilvoller und hebt sie von der Studenten-WG ab, in die ab einem bestimmten Alter wirklich niemand zurückwill.Zweitens sind Pflanzen eine Quelle von Lob. Im realen Leben, wenn der Besuch die üppige Kaffeepflanze bewundert, die in der Küche steht. Aber natürlich auch auf Instagram.

Dafür muss man nicht Plantfluencer sein: Mit einem guten Foto von der Zimmerpalme können sich auch Hobbybotaniker ordentlich Likes abholen. Und drittens spielt die Lebenssituation, in der sich viele Menschen zwischen Mitte 20 und Mitte 30 befinden, eine Rolle. Sie leben seltener im Eigenheim mit Garten als ihre Eltern, sind kinderlos, leben ohne oder schwache Bindungen und sind damit auch nicht grundsätzlich unglücklich. Und doch wollen auch urban lebende Millennials ihr Leben gerne mit jemandem teilen – oder zumindest etwas. Anders als Kinder oder Haustiere bedürfen Zimmerpflanzen zwar Verantwortung, aber mit Handbremse. Um Pflanzen muss man sich kümmern, das gibt dem Leben eine gewisse Stabilität. "Erwachsen ist man, wenn die Pflanze überlebt", drückte es "Die Zeit" unlängst aus. Aber Pflanzen sind eben auch tolerant. Wenn man mal ungeplant eine Nacht nicht nach Hause kommt, verzeihen sie es einem im Normalfall. Und wenn sie sterben, muss man sich nicht allzu schlecht fühlen.

Ohne meine Pflanzen, meint Iwona Laub, wäre ihre Wohnung "nackt". Maximal 150 Euro gibt sie für eine Topfpflanze aus, 40 stehen aktuell auf der Wunschliste.
Foto: Heribert Corn

Schwieriger Markt

"Es ist immer noch besser, die Menschen verlieren das Interessen an einer Pflanze, als an einem Haustier", sagt Andrea Mühlwisch. Die pragmatische Frau steht mit der Gießkanne auf einer Leiter unterm Dach der Flower Company, eines Pflanzengeschäfts in der Wiener Pilgramgasse. Mühlwischs Geschäft ist ein Paradies für Zimmerpflanzen, bis unter die Decke stapeln sie sich in Töpfen verschiedener Größe. Die Flower Company gilt als Geheimtipp, um an eher schwer zu beschaffende Pflanzen zu kommen. Der Markt wird immer noch von großen Ketten wie Baumärkten oder Ikea dominiert, die klassische Ware in riesigen Mengen einkaufen. Wer Ausgefallenes möchte, muss auf Spezialgeschäfte oder Onlineshops zurückgreifen. "Pflanzenfreaks hat es immer gegeben", sagt Mühlwisch. Sie selbst gehöre ja auch seit 30 Jahren dazu, seit 2013 hat sie ihren eigenen Laden. "Über Instagram sind die natürlich jetzt viel sichtbarer, und da merke ich schon das steigende Interesse von jungen Leuten."

Das führe öfter zu netten Szenen, wenn Menschen auch offline in ihrem Laden stehen und einander Tipps geben. Mühlwisch zeigt auf die unterste Etage eines Regals. Dort steht, fein säuberlich aufgereiht, eine Reihe von Pilea Peperomioides – eine relativ pflegeleichte Pflanze mit dicken, runden Blättern, die viele Namen hat: Dollarpflanze, Glückstaler oder Ufopflanze. "Mit der hat es ein bisschen angefangen", sagt Mühlwisch. "Das war die erste Pflanze, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie überall auf Instagram ist." Der Trend war aber längst weitergezogen. Denn natürlich gibt es auch unter den Plantfluencern Trends und Wellen. Die meisten haben eine Liste von Pflanzen, die sie gerne noch hätten.

Auf Laubs Liste stehen aktuell etwa 40. Begehrt machen eine Pflanze – wie oft unter Sammlern – Schönheit, Fotogenität, aber vor allem die Seltenheit. Um manche Pflanzen entsteht dann ein Hype, der aber auch wieder abflaut, wenn viele Sammler sie einmal abgelichtet haben. "Auf Ebay gehen manche Pflanzen für bis zu 1000 Euro weg, das wäre mir aber viel zu viel", sagt Laub.

150 Euro sei das Maximum gewesen, das sie bislang ausgegeben habe. In ihr Hobby fließe schon eine Menge Geld, aber vor allem Zeit. Ein paar Stunden in der Woche brauche es schon für die Pflege und Recherche. Plantfluencer, denen etwas an ihren Pflanzen liegt, holen sich nicht nur einmal Likes ab, sondern fotografieren sie immer wieder, um zu zeigen, wie sie sich entwickelt. Viele Exemplare zeigen erst im Alter ihre volle Pracht. Außerdem beweist nur die fortlaufende Entwicklung erst die Fähigkeit und die Liebe, die Menschen in ihre Pflanzen stecken. Denn das braucht es, den Umgang mit Pflanzen muss man lernen. Sie merke sofort, wenn jemand in ihr Geschäfte komme und nicht bereit sei, sich auf die Pflanzen und ihre Bedürfnisse einzulassen, sagt Andrea Mühlwisch.

Foto: Heribert Corn

Das passiere aber zum Glück sehr selten. Und grundsätzlich sei jedes neue Mitglied in der Pflanzencommunity willkommen. Wie einsteigen?Die vielen schönen Fotos, die man unter den Hashtags findet, machen es einfach, sich in bestimmte Pflanzen zu verlieben. Neueinsteigern raten die Experten aber trotzdem, die Richtung umzudrehen. Die Primärfrage sollte also nicht sein: Was finde ich schön? Sondern: Was kann ich der Pflanze bieten? "Viele sagen sich am Anfang ‚Ich hätte gerne eine fleischfressende Pflanze‘, bedenken aber nicht, wie hoch deren Ansprüche an Standort und Pflege sind", sagt Laub.

Am Anfang sollte eine Bestandsaufnahme stehen. Wie viel Licht hat meine Wohnung? Wie viel Sonne kommt an den gewünschten Platz (gerade Pflanzen mit schönen Mustern auf den Blättern vertragen nicht mehrere Stunden Sonne)? Und nicht zuletzt: Wie verlässlich bin ich? Wenn ich mir zutraue, auch mal vier Tage auf das Gießen zu vergessen, sollte ich zu robusten "Büroklassikern" wie den Sukkulenten greifen. Die halten das aus. Wer diese Tipps beherrscht und sich informiert, kann durchaus auf eine Zukunft mit seinen Zimmerpflanzen hoffen – sowie auf eine Bindung zu ihnen und darauf, das Hobby aufzubauen.

Iwona Laub ist mittlerweile so tief in der Sache drin, dass es durchaus Einfluss auf die Wahl der Umgebung hat. Sie und ihre Familie wollen demnächst in ein Haus ziehen, bei der Auswahl werden Lichtverhältnisse und genug Platz für die Pflanzen eine Rolle spielen. Wie viele Pflanzen sollen es denn einmal werden? Wann ist es genug? "Das hat mich mein Sohn letztens auch schon gefragt", grinst Laub. "Ich habe gesagt: Solange ich nicht mit der Machete aufs Klo muss, geht es weiter." (Jonas Vogt, 16.6.2019)

Beginners-Guide: Vier Pflanzen für den Plantfluencer-Einstieg

Korbmarante
Die südamerikanische Pflanze mit dekorativem Blattmuster ist ein Klassiker. Leider ist sie etwas anspruchsvoll: Sie braucht halbschattige Plätze mit hoher Luftfeuchtigkeit ohne direkte Sonneneinstrahlung.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Dewin ' Indew
Peperomien
Niedrig wachsende Pflanzen mit schönen, dicken Blättern, die unterschiedliche Formen annehmen können: von rund bis herzförmig. Sie brauchen einen hellen Standort, sind aber ansonsten pflegeleicht.
Foto: Getty Images/iStockphoto/ hanhanpeggy
Sukkulenten
Sukkulenten beschreiben verschiedene, nicht eng miteinander verwandte Pflanzen, von Kakteen über den Elefantenfuß bis zu Gasterien. Gemeinsam haben sie, dass sie Flüssigkeit speichern können.
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Monstera
Die Blätter einer ausgewachsenen Monstera deliciosa können bis zu einen Meter lang werden. Sie schaut nicht nur beeindruckend aus, sondern ist verhältnismäßig pflegeleicht und verzeiht auch mal einen Fehler.
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