STANDARD: Wie viel Bedenkzeit wollten Sie, als Sie gefragt wurden, ob Sie Bildungs- und Wissenschaftsministerin werden wollen?

Rauskala: Als ich eine SMS bekam, dass die Präsidentschaftskanzlei nach meiner Handynummer gefragt hat, habe ich erst geschluckt und gesagt: Wenn es so ist, dann ist es so. Dann braucht es keine Bedenkzeit, dann ist es letztlich Dienst für unsere gemeinsame Sache, bis zu einem gewissen Grad auch Pflicht, dass man zur Verfügung steht.

STANDARD: Ist Ihr Zugang zum Ministeramt auf Zeit also auch dem klassischen Beamtenethos geschuldet, die Staatsdienerin, die sich buchstäblich in den Dienst der Öffentlichkeit stellt?

Rauskala: Absolut. Mich interessiert der öffentliche Sektor aus verschiedenen Perspektiven, ein Interesse für die allgemeine Sache. Das war früher im besten Sinne das Beamtenethos.

STANDARD: Im Moment freuen sich zwar viele über das Beamtenkabinett auf der Regierungsbank, aber so positiv wurde die Beamtenschaft ja nicht immer gesehen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Rauskala: Wenn es oft heißt, Beamte sind Nichtstuer, die gut abgesichert eine ruhige Kugel schieben, dann will ich da wirklich entgegenhalten, dass es genug Menschen gibt, die sich diesen Beruf bewusst ausgesucht haben. Ich habe Wirtschaft studiert. Ich hätte auch etwas ganz anderes machen können. Paragraf eins der Bundesverfassung beschreibt das republikanische Prinzip. Das meint im Wesentlichen auch die Res publica, die gemeinsame Sache der Bürger. Der Staat sind wir. Das ist mein Verständnis. Beamte verwalten nicht irgendetwas Abstraktes.

Iris Rauskala wird als Ministerin in ihrem Haus alles tun, um den Ethikunterricht ab 2020 zu realisieren, aber versprechen kann sie ihn nicht.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Welche inhaltlichen Themen möchten Sie als Ministerin vorantreiben oder abschließen?

Rauskala: An oberster Stelle steht das Bildungsinvestitionsgesetz, das die Nachmittags- oder Ganztagsbetreuung von 170.000 Schülerinnen und Schülern ab Herbst sichert. Ein Paket, das mehr oder weniger ausverhandelt ist und jetzt eben mit Initiativantrag im Parlament hoffentlich in vorgesehener Form über die Bühne geht.

STANDARD: ÖVP und FPÖ haben den angekündigt. Wäre Ihnen eine Regierungsvorlage, die Sie ja auf die Tagesordnung des Ministerrats setzen wollten, lieber gewesen?

Rauskala: Tendenziell ja, weil wir dann gewusst hätten, dass es sicher so kommt, wie es ja auch bis zum Regierungswechsel ausverhandelt war. Aber es war aufgrund der Kurzfristigkeit mit der neuen Regierung nicht möglich, das in dieser Form über die Bühne zu bringen. Uns ist wichtig, dass es überhaupt passiert. Man kann nur an das Parlament appellieren, daraus keinen Spielball zu machen.

STANDARD: Was wird aus dem Ethikunterricht, der ab Herbst 2020 in den AHS und Polytechnischen Schulen für die, die keinen Religionsunterricht besuchen, hätte kommen sollen? Der war im Ministerrat vereinbart, aber es gab noch keinen Gesetzesentwurf dazu. Kommt er oder nicht?

Rauskala: Ob er ab 2020 kommen wird, kann ich nicht versprechen. Wir werden jedenfalls alle notwendigen konzeptiven Schritte setzen. Die Ausbildung der Lehrer passiert, es gibt die Lehrpläne. Wir halten an diesem Ziel fest.

STANDARD: Aus dem Bildungsministerium gab es unter Türkis-Blau ein paar umstrittene Maßnahmen: wieder Sitzenbleiben und Ziffernnoten ab der zweiten Klasse Volksschule, obwohl eigentlich von allen Experten abgelehnt. Auch die Deutschförderklassen stoßen auf Widerstand, viele Schulen hätten gern mehr Autonomie, auch die Lehrergewerkschaft möchte Änderungen. Werden Sie da initiativ?

Rauskala: Nein, an sich nicht. Das Regierungsverständnis ist, dort Initiativen zu setzen oder Gesetze zu verändern, wo Recht und Ordnung oder Sicherheit in Gefahr sind. Das ist bei diesen Maßnahmen nicht der Fall. Sie sind unter Umständen umstritten, aber gerade die Ziffernnoten sind auch ein guter Kompromiss zwischen der ersten und der dritten Klasse. Das ist ein Thema, das draußen in der Praxis nicht so umstritten ist, wie es vielleicht aussieht, weil viele Pädagoginnen und Pädagogen sagen, die ziffernnotenmäßige Einschätzung und die verbale Beschreibung der Leistung der Kinder gehen sowieso Hand in Hand.

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STANDARD: Ihr Vorgänger und damaliger Chef Heinz Faßmann hat im STANDARD recht offen den Spagat geschildert, den der Wissenschafter Faßmann als Politiker machen musste. Am Beispiel der Ziffernnoten sagte er: "Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung." Was sagen Sie dazu?

Rauskala: Auch wenn es vielleicht nicht die eleganteste Antwort ist, denke ich: Man muss pragmatisch bleiben. Gerade in diesem Bereich mit Noten, Schulsystemen oder institutionellen Organisationsformen des Schulwesens gibt es nicht den einen evidenzbasierten Befund. Es gibt länderspezifische Kontexte, die sich in anderen Staaten nicht so ohne weiteres reproduzieren lassen. Darum ist es hier eben besonders wichtig, einen pragmatischen Konsens auszuarbeiten.

STANDARD: Apropos Schulsysteme: Ihr Vater ist aus Finnland. Sie sind in Helsinki geboren. Haben Sie die berühmte gemeinsame Schule besucht bzw. wie stehen Sie dazu mit der familiären Erfahrung?

Rauskala: Leider nicht. (lacht) Ich habe nur bis zum fünften Lebensjahr dort gelebt. Ich glaube aber, dass man die finnischen Erfahrungswerte schwer eins zu eins auf andere Länder übertragen kann. Finnland hat als ressourcenarmes Land, das im Wesentlichen nur Forstwirtschaft zu bieten hat, sehr früh erkannt, dass Bildung das absolut notwendige Asset der Bevölkerung ist. Es wurde also schon in den 60ern mit der Ausbildungs- und Akademisierungswelle begonnen. Es ist eine mehr oder weniger homogene, klassenlose Gesellschaft. Da funktioniert eine Gesamtschule. Genau in dem Kontext. In einem anderen nicht. Das vergisst man oft.

STANDARD: Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat sich in ihrer ersten Rede explizit auch "insbesondere an die jungen Frauen" gewandt und ihr Engagement für ein "starkes, lebenswertes, tolerantes Österreich" als "unersetzlich" bezeichnet. Sehen Sie sich in Ihrer neuen Rolle auch als Vorbild?

Rauskala: Mir ist wichtig, Menschen zu motivieren, ihren eigenen Weg zu gehen und zu ihren Entscheidungen zu stehen. Da spielt der Bildungsbereich eine ganz wichtige Vermittlungsrolle. Und da gibt es von mir schon eine wichtige Botschaft, auch aus der Präsidialsektion heraus mit den Zuständigkeiten für Medienbildung sowie für Gender- und Diversitätsmanagement, wo man sehr eng an jungen Menschen dran ist: Setzt euch ein für das, was euch wichtig ist, und hofft nicht, dass es jemand anderer tut. Macht es selbst!

STANDARD: Es gab zuletzt am Beispiel von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wieder eine Diskussion, dass Frauen in der Politik noch immer anders behandelt werden, dass ihre Entscheidungen eher infrage gestellt werden als die von Männern. Welche Erfahrungen haben Sie mit der gläsernen Decke, genderbedingten Hürden oder Diskriminierungen gemacht?

Rauskala: Bewusst habe ich persönlich wenig Erfahrungswerte damit. Ich hatte im Wirtschaftsministerium in der forschungs- und technologiepolitischen Grundsatzabteilung zum ersten Mal mit dem Thema Gender und Gendermainstreaming zu tun, und erst da habe ich verstanden, dass ich durchaus mit diesen Themen konfrontiert war, etwa an der Universität durch Aussagen von Professoren gegenüber Studentinnen, die genau in dieses Eck gefallen sind. Mir war das deswegen nie bewusst, weil ich sie nie ernst genommen habe. Ich habe immer Möglichkeiten gefunden – sei es aufgrund von Humor oder einer gewissen Schlagfertigkeit -, das nicht an mich heranzulassen bzw. zu kontern. Aber rückblickend gesehen: Ja, es gibt diese Themen natürlich, und darum ist es wichtig, junge Frauen zu motivieren, sich das nicht gefallen zu lassen. Wir müssen uns als Gesellschaft bewusst machen, dass es im 21. Jahrhundert Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter oder was immer nicht mehr geben darf.

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STANDARD: Wie würden Sie sich selbst politisch verorten?

Rauskala: Liberal. Im besten Sinne. Mit einem sehr gesellschaftsliberalen Eck.

STANDARD: Das heißt konkret?

Rauskala: Dass jeder nach seiner Façon glücklich werden soll, solange er damit gegen keine Gesetze verstößt. Ich finde insgesamt eine liberale Gesellschaftsordnung mit hoher Eigenverantwortung und Eigeninitiative eine sehr erstrebenswerte Zielvorstellung.

STANDARD: War Ihnen die Gesellschaftspolitik in den vergangenen Jahren liberal oder modern genug?

Rauskala: Man muss die Dinge auseinanderhalten. Gesetzlich sind wir relativ weit. Wir haben durchaus Gleichstellung von Mann und Frau. Wir haben Genderbudgeting im Verfassungsrang, also Gleichbehandlung im Hinblick auf Ressourcen. Oder: Ich bin seit einem Jahr mit einer Frau verheiratet und ich gehe offen damit um. Das haben viele andere Staaten nicht. Wir sind aber gesellschaftlich noch nicht ganz so weit, die volle Bandbreite dessen zu verstehen. Da sind wir in Mitteleuropa in guter – oder eben weniger guter – Nachbarschaft. Die Dinge werden sich so lange nicht ändern, wie sie sich in den Köpfen nicht ändern.

STANDARD: Was passiert, wenn Sie nach der Wahl gefragt werden sollten, ob Sie vielleicht weitermachen möchten als Politikerin?

Rauskala: Dann gehe ich sehr gerne wieder in meine Präsidialsektion zurück. Ein politisches Amt war nie in meiner Lebensplanung verankert. Darum habe ich auch leichter zugesagt, eben im Wissen, dass es für begrenzte Zeit ist. (Lisa Nimmervoll, 15.6.2019)