In einem kurzen Zeitraum hat er sich einen Namen als Darsteller von besonders fragilen Figuren gemacht: Caleb Landry Jones.

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Im Alter von 16 Jahren entdeckte Caleb Landry Jones in einen Secondhand-Laden in Texas eine DVD von Jim Jarmuschs Film Broken Flowers. 14 Dollar lautete der Preis – zu viel für den Jugendlichen, also klebte er kurzerhand ein anderes Preisschild darüber: vier Dollars, das muss genügen. "Ich fühlte mich schuldig. Und deswegen wollte ich zumindest etwas bezahlen." Jones’ kleines Geständnis erfolgt auf der Terrasse eines Wiener Hipsterhotels, das Gespräch mit dem Schauspieler macht an dieser Stelle gerade bei der Frage nach Regisseuren Station, die einen geprägt haben. "Ich weiß noch, dass ich den Film dann nicht so richtig erfasste, er verwirrte mich."

In Jarmuschs jüngster Komödie The Dead Don‘t Die wirkt der viel beschäftigte, nunmehr 29-jährige Darsteller nun selbst mit. Ironischerweise ist er ein junger Horrorgeek, der durch Filme gelernt hat, wie man sich erfolgreich gegen Zombies wehrt. Doch Jones, eines der markantesten neuen Gesichter im US-Independent-Kino der letzten Jahre, ist in Wien, um einen anderen Film zu promoten, Peter Brunners To the Night.

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In der ersten internationalen Produktion des Wiener Regisseurs hat er die zentrale Rolle inne: Norman, einen Künstler, der von inneren Dämonen geplagt wird. Als Kind hat er beide Eltern bei einem verheerenden Brand verloren, noch immer steht das daraus resultierende Trauma jeder harmonischen Beziehung entgegen. To the Night erzählt von seinen wiederholten Versuchen, mit Penelope (Eléonore Hendricks) und seinem Babysohn zur Ruhe zu kommen. Das scheitert an seiner Unrast, seinem Wiederholungszwang. Statt sich um das Kind zu kümmern, besorgt er sich lieber Ketamin von einem Dealer mit kleinen Hörnern am Schädel.

Norman ist eine fordernde Rolle, die Jones praktisch in jeder Szene in einem Zustand höchster Anspannung absolviert. Damit fügt sie sich gut in das Rollenprofil des rotblonden, sommersprossigen Darstellers, dessen Figuren nie sonderlich solide, sondern zerbrechlich, gerne auch ungesund und zwielichtig erscheinen.

Hollywoods Spinner

In Jordan Peeles Horrorkomödie Get Out spielte Jones den unheimlichen Sohn der rassistischen Weißbrotfamilie, in Three Billboards Outside Ebbing, Missouri einen zwänglerischen Verkäufer, der von Sam Rockwell eigenhändig aus dem Fenster geworden wird. Auch in David Lynchs Fortsetzung von Twin Peaks durfte Jones, den der Guardian einmal als Hollywoods "go-to oddball" ("verlässlicher Spinner") bezeichnet hat, nicht fehlen.

Doch der Texaner, der mit diesem schwungvollen Südstaatenakzent spricht, macht daraus keinen Spleen. Jones vermag auch mit naturalistischer Note zu betören, wie als selbstzerstörerischer Junkie in einem seiner besten Filme, Heaven Knows What von Ben & Josh Safdie. "Ich liebe das Sonderbare, das Seltsame, das Anstreifen am Tabuisierten", sagt er. "Mir gefällt es, wenn Dinge passieren, die wir nicht so leicht in Bilder oder in Worte übersetzen können. Peter hat diese Diskrepanzen in To the Night wirklich besonders gut hingekriegt."

Film Trailer Zone

Um ihn auf die Hürden der Rolle vorzubereiten, hat ihn Brunner mit Eléanore Hendricks auf einen Retreat mitgenommen und Übungen durchgeführt. Es hat ihm enorm geholfen, Norman besser zu verstehen: "Mit der Zeit ergibt das so einen Schneeballeffekt: Man häuft die widersprüchlichen Teile einer Person an und findet allmählich heraus, wie man sie zusammensetzen kann. Während Penelope alles versucht, damit sie ein Paar sein können, kennt er nur absurde, gefährliche Wege."

Filme wie To the Night oder Heaven Knows What versinnbildlichen für Jones die Essenz des oft vagen Begriffs von Independent-Kino. Manchmal würde dieser nur noch bemüht, um kleine Budgets von den teuren Studioproduktionen zu unterscheiden. "Ich habe mir darunter immer ein Kino vorgestellt, das Themen aufgreift, das die anderen meiden. Für mich ging es dabei um unabhängiges Denken: etwa in den Filmen, die George Harrison mit seiner Produktionsfirma Handmade-Films in den 1980ern realisiert hat. Die sind nicht alle gut, aber sie sind unabhängig – und natürlich John Cassavetes!"

Jones wuchs in Richardson auf, einer texanischen Stadt, die zum Speckgürtel von Dallas gehört. Ursprünglich hatte er gar keine schauspielerischen Ambitionen, sondern wollte Musiker werden, danach Regisseur. Nach ersten kleineren Auftritten, etwa in No Country for Old Men der Coen-Brüder, entschied er sich mit 19 dazu, in Los Angeles sein Glück zu versuchen. Woher nahm er den Glauben, dass gerade er es schaffen würde? "Ich erinnere mich, was Bob Dylan einmal in einem Interview über It’s alright, Ma (I’m only bleeding) gesagt hat. Er sprach davon, dass man manchmal einfach intuitiv weiß, was zu tun ist. Es ging darum, dass man fest darauf vertraut, wer man sei und wie man es angeht. Hatte ich die Hoffnung, dass es so ausgeht, wie es ausgegangen ist? Ich weiß es nicht. Aber ich wusste, ich muss es so gut machen, wie ich es nur konnte."

Musik des Spielens

Im Prinzip sei es ihm beim Schauspielen wie beim Musikmachen ergangen, erzählt Jones. Er habe entdeckt, wie viel sich von einer Szene zur nächsten variieren und verändern ließ. "Man konnte das eine da und das andere dort sein. Und wenn man es wiederholen kann, entsteht da dieses aufregende Gefühl." Wenn man Jones so zuhört, gewinnt man das Gefühl, dass es dieses tastende, neugierige Ausprobieren ist, das auch sein Spiel so glaubwürdig macht.

"Jeder Film braucht ein bisschen etwas anderes", so Jones. "Manchmal tue ich Dinge, die ich noch nie getan habe. Irgendwie ist es immer wie das erste Mal." Natürlich, auch die Selbstsicherheit nimmt zu. "Ständig so ausgelassen auftreten – das muss ich jetzt nicht mehr." (Dominik Kamalzadeh, 15.6.2019)