Wien – Sebastian Kurz ortet eine "neue Dimension" – er meint eine neue Dimension des Anpatzens. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Montag trat er deshalb die Flucht nach vorn an, so stellte der ÖVP-Chef es zumindest dar. Denn ein "österreichisches Medium" habe sich vergangenen Freitag an die Volkspartei gewandt – mit E-Mails, die belegen sollen, dass Kurz sowie auch sein Vertrauter, der Ex-Kanzleramtsminister Gernot Blümel, in die Ibiza-Affäre rund um den früheren FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache verwickelt seien.

DER STANDARD

Ein Montag am Dienstag

Genaue Details wollte der Ex-Kanzler nicht verraten. Nur so viel: Die ÖVP habe übers Wochenende eine interne sowie eine externe Prüfungen veranlasst – und beide hätten ergeben: Die E-Mails, deren genauer Inhalt nicht bekannt ist, seien Fälschungen.

Das beteuerten auch Kurz und ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer, der bei dem Pressetermin ebenfalls anwesend war, und ein paar spärliche Einzelheiten zum Fall preisgab: So wurde eines der angeblichen E-Mails am "Mon, 27 Feb 2018" von gernot.bluemel@wien.oevp.at an sebastian.kurz@wien.oevp.at verschickt. Die auch für IT-Laien auffälligste Ungereimtheit ist das Datum – dabei handelt es sich nämlich tatsächlich um einen Dienstag, nicht um einen Montag.

Außerdem wurde die pazifische Zeitzone der USA verwendet und die zugehörige IP-Adresse (92.51.182.1) ist nicht auf die Wiener ÖVP registriert, sondern auf hosteurope.de. Darüber hinaus könne die betreffende E-Mail-Adresse von Kurz seit 2009 nur noch zum Empfang, nicht aber zum Verschicken von E-Mails genutzt werden, erläuterte Nehammer.

Screenshots und Metadaten

Die ÖVP beauftragte auch die forensische Abteilung des Beratungsunternehmens Deloitte damit, die E-Mails zu prüfen. Oder besser gesagt: die Screenshots und Teile der technischen Daten der Nachrichten – mehr sei der ÖVP von dem Medium nicht zur Verfügung gestellt worden. Wohl auch aufgrund der dünnen Faktenlage gab Deloitte keine abschließende Bewertung ab, in einem der Presse zur Verfügung gestellten Bericht werden aber Ungereimtheiten bestätigt.

Die ÖVP vermutet dennoch, hinreichend Beweise für einen "Fälschungsskandal" beisammen zu haben, und kündigt eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft an. Außerdem bittet Kurz die Bevölkerung, "allen Informationen, insbesondere auf Social Media, kritisch gegenüberzustehen".

Die Ibiza-Affäre rund um Heinz-Christian Strache zieht weitere Kreise: Nun sieht sich Sebastian Kurz in einen Skandal verwickelt, zu dem er aber keine Details nennen will.
Foto: Foto: APA / Süddeutsche Zeitung / Screenshot

Ablenkungsmanöver

Kritiker behaupten nun, Kurz wolle einmal mehr bloß von seinen Problemen ablenken – am Sonntag beteten Christen von teils umstrittenen Vereinigungen für den Ex-Kanzler, Kurz selbst hielt auf der Veranstaltung eine Rede.

"Eine Pressekonferenz abzuhalten, um etwas zu dementieren, das noch niemand gesehen hat, mutet schon etwas seltsam an", erklärt FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker. Bemerkenswert finde er außerdem, dass Kurz und Nehammer kein Wort über den Inhalt der E-Mails verloren hätten. Zudem würden Aussagen aus ÖVP-Kreisen – Wochen vor der Veröffentlichung des "Ibiza-Videos" – an "Brisanz gewinnen", wonach es "den Strache eh nimmer lang geben" werde, so Hafenecker, der lückenlose Aufklärung fordert.

Kurz und Nehammer können nicht beantworten, wer der Urheber der gefälschten E-Mails sein könnte. Jedenfalls handle es sich um eine "aufwendig und gut gemachte Fälschung", versicherte Kurz.

"EU-Infothek" stellte Anfrage

Seitens der ÖVP heißt es, man habe Spekulationen über die kursierenden gefälschten E-Mails verhindern wollen. Dem STANDARD sind diese E-Mails nicht bekannt. Das Medium, das die E-Mails erhalten hatte, wollte die ÖVP zunächst nicht nennen.

Am Montagnachmittag vermeldete dann aber der umstrittene Blog "EU-Infothek", man habe am Freitag wegen entsprechender E-Mails bei der ÖVP eine Anfrage gestellt. Die der Volkspartei zugeschickten Informationen würden allerdings nur "einen sehr geringen Teil der insgesamt vorliegenden neuen Erkenntnisse" betreffen. Auf Nachfrage bei der ÖVP wird dem STANDARD bestätigt, dass die Anfrage des Blogs die türkisen Ermittlungen ausgelöst hatte. (Katharina Mittelstaedt, 17.6.2019)