Wien – Elisabeth S. hat eine Eigenschaft, die sie für Zeugen gut identifizierbar macht: Die 34-jährige Pensionistin ist gehörlos. Vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Petra Poschalko streitet die zweifach einschlägig Vorbestrafte dennoch vehement ab, zwei Männer ausgeraubt zu haben.

"Das stimmt nicht, das ist Fantasie!", übersetzt die Gebärdensprachdolmetscherin beispielsweise die Reaktion von S., als Poschalko ihr vorhält, dass Opfer Nummer zwei ihre Telefonnummer samt Namen im Handy eingespeichert hatte. Der 70-Jährige kann dagegen bei seiner Zeugeneinvernahme durchaus einen Grund nennen: "Ich bin Kunde von ihr." Mehrmals habe er S. am Westbahnhof angesprochen und mit ihr Geschlechtsverkehr vereinbart – für 20 Euro pro Akt.

Auf der Straße wegen Sex angesprochen

Auch das streitet die besachwaltete Angeklagte ab. Der Pensionist habe sie einmal aus heiterem Himmel angesprochen und ihr 200 oder 300 Euro für Sex geboten. "Ich habe Nein gesagt, und wir sind auseinandergegangen."

Stimmt nicht, sagt der Zeuge: Am 19. Jänner sei S. in seiner Wohnung gewesen und habe Geld gefordert. Sie habe auch ein Obstmesser aus einer Küchenlade genommen und damit herumgefuchtelt – er stand da allerdings sechs Meter entfernt. Dennoch habe er sich so erschrocken, dass er mit ihr zum Bankomaten gegangen sei, um ihr zu zeigen, dass sein Konto leer sei. Woraufhin sie seine Bankomatkarte und Handy als Sicherheit nahm; die Bankomatkarte gab sie ihm zurück, bevor sie von seiner Anzeige erfuhr.

Auch im zweiten angeklagten Fall geht es um einen älteren Herrn: Der ist 78 Jahre alt und sagt, er sei im vorigen Juni Opfer von S. geworden. "Eine taubstumme Frau hat mich auf der Straße angesprochen", lässt der Pensionist übersetzen. Verstanden habe er nur: "Bitte, bitte, Mutti, Hilfe." Aus Hilfsbereitschaft habe er die Angeklagte zu ihrer Wohnung begleitet.

Widersprüchliche Aussagen zu Tathergang

Was dann geschah, darüber gibt es drei Versionen des Zeugen. Unmittelbar nach dem Vorfall schrieb der eintreffende Polizist einen Amtsvermerk. Demnach sagte der Zeuge, in der Wohnung sei ein junger Mann gewesen, aber keine Mutter. Er bat, das WC aufsuchen zu dürfen, auf der Straße erkannte er, dass ihm 300 Euro aus der Geldbörse fehlten. Im September sagte er bei einer förmlichen Zeugenvernehmung, sowohl die Angeklagte als auch der Mann hätten ihn nach Betreten der Wohnung gestoßen und sein Geld genommen. Vor Gericht behauptet er, nur die Angeklagte sei die Täterin.

Im Zweifel sieht der Senat in beiden Fällen nicht die angeklagten Raube, sondern Diebstähle. S. wird nicht rechtskräftig zu vier Monaten Haft verurteilt, sechs Monate einer offenen Vorstrafe kommen dazu. (Michael Möseneder, 19.6.2019)