Lehrerinnen und Lehrer verfügen häufig nicht über die notwendigen sexualpädagogischen Kompetenzen und Lehrmethoden.

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Im Gastkommentar befürchtet Bildungssoziologin Barbara Rothmüller, dass das geplante Verbot der externen Sexualpädagogik einer De-facto-Abschaffung sexueller Bildung für Kinder und Jugendliche gleichkommt.

Mit Sexualität in der Schule lässt sich offenbar Politik machen. Das Thema emotionalisiert. In der österreichischen Gesellschaft wirkt das Sprechen über Sexualität immer noch ein wenig wie ein Tabubruch. Weniger Aufregung gäbe es, würde man grundlegende Forschungsergebnisse zur Kenntnis nehmen.

Studien belegen, dass aufgeklärte Jugendliche später sexuell aktiv werden als Jugendliche, denen zur Prävention der Wert der Enthaltsamkeit vermittelt wurde. Ganzheitliche Sexualpädagogik reduziert die Anzahl der ungewollten Teenagerschwangerschaften und von sexuell übertragbaren Infektionen.

Offener Umgang

Aufgrund der geringen Effektivität haben sich die international führenden sexualpädagogischen Organisationen in den letzten Jahren von Programmen zur Wertevermittlung distanziert. Sexualpädagogik positioniert sich gegen Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Mitmachen ist freiwillig. Es herrscht ein respektvoller, offener Umgang mit unterschiedlichen sexuellen Werthaltungen. Diese Offenheit gilt als ein Qualitätskriterium. In professionellen sexualpädagogischen Angeboten werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene also nicht indoktriniert.

Als Reaktion auf die fragwürdigen Praktiken des Vereins Teenstar hatte sich der damalige Bundesminister Heinz Faßmann im Frühjahr jedoch gedrängt gesehen, einen qualitätssichernden Akkreditierungsrat einzurichten. Völlig überraschend wurde nun kurz vor dem Sommer mit Stimmen von ÖVP und FPÖ ein Entschließungsantrag eingebracht, der vorsieht, dass in Zukunft keine außerschulischen Fachexpertinnen und -experten an Schulen mehr tätig sein werden. Lehrerinnen und Lehrer werden allein zuständig für die Begleitung der psychosexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sein. Dieses Vorgehen ist fachlich kaum nachvollziehbar und wirft einige Probleme in der schulischen Praxis auf.

Gemiedenes Thema

Seit 1970 ist ein Erlass in Kraft, der vorsieht, dass alle Pädagoginnen und Pädagogen in allen Unterrichtsfächern altersadäquat mit Kindern (auch) über Sexualität sprechen sollen. Die Forschung zeigt jedoch, dass dieses Thema in der Praxis häufig nicht behandelt wird. Wenn überhaupt, dann deutlich eingeschränkter, als es der staatliche Auftrag vorsieht.

Vor diesem Problem steht nicht nur Österreich. Auch anderswo lässt sich beobachten, dass das Lehrpersonal sexualpädagogische Aufgaben häufig vermeidet. Die internationale Forschung bietet dafür zwei Erklärungen an: Erstens haben viele Lehrpersonen selbst keine sexualpädagogische Ausbildung und fühlen sich mit dem Thema überfordert. Zweitens bestehen oft Ängste und Bedenken, ob Kinder, Eltern oder Kolleginnen und Kollegen Kritik an der sexualpädagogischen Aufbereitung üben könnten. Und als benotende Autorität sind sie auch keine guten Ansprechpartner bei unangenehmen oder tabuisierten Problemen und Fragen.

Mangelnde Ausbildung

Faktenwissen ist für Entscheidungen der Jugendlichen ohnehin nur teilweise ausschlaggebend, zeigt die Forschung. Im Gegenteil lassen sich sexuelle Risiken nur sinnvoll reduzieren, wenn offen auch über Lust, Begehren, Ängste und Scham gesprochen wird. Aus diesem Grund wird an vielen Standardaufklärungsprojekten häufig kritisiert, dass diese für Jugendliche noch immer zu selten, zu spät und zu biologisch ansetzen. Darüber hinaus werden emotionale und soziale Probleme der Jugendlichen mit Sexualität zu wenig adressiert.

Lehrerinnen und Lehrer können sicherlich gut Wissen vermitteln. Allerdings verfügen sie häufig nicht über die notwendigen sexualpädagogischen Kompetenzen und Lehrmethoden, um an die Lebenswelt der Jugendlichen anzuschließen. Selbst wenn Fortbildungen absolviert wurden, zeigen Evaluierungsstudien, dass spezialisierte Fachkräfte beim Thema Sexualität einfach besser geeignet sind als Lehrerinnen und Lehrer.

De-facto-Abschaffung sexueller Bildung

Ein Verbot der externen Sexualpädagogik kommt daher einer De-facto-Abschaffung sexueller Bildung für Kinder und Jugendliche gleich – selbst wenn man die Bemühungen einzelner engagierter Biologielehrerinnen und -lehrer in Rechnung stellt. Nachdem es in Österreich einen Mangel an sexualpädagogischen Inhalten in der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer gibt, steht zu befürchten, dass künftig niemand Verantwortung für sexualitätsbezogene Probleme und Fragen von Kindern und Jugendlichen übernehmen wird. Dann wird es in wenigen Jahren kaum noch Praxiserfahrung in dem Bereich in Österreich geben.

Um eine adäquate sexuelle Bildung zu gewährleisten, braucht es die Vielfalt sexualpädagogischer Expertise und Kompetenzen in den unterschiedlichen Schwerpunktorganisationen. Erst auf dieser professionellen Basis kann sie ein wichtiger Schritt zu Gewaltprävention und sexueller Gesundheit sein. Eine Dramatisierung und Moralisierung von sexuellem Verhalten führt nicht zu mehr Selbstbestimmung, sondern nur zum Verschweigen von Problemen. Das Schweigen isoliert die Jugendlichen und lässt sie mit ihren Problemen allein: Erfahrungen mit Sexting, Grooming, Ängste und Unsicherheiten müssen sie dann ohne Unterstützung bewältigen – oder mithilfe von Freundinnen, Freunden und problematischen Onlineinformationen.

Statt einer Rückkehr des Schweigens daher der Appell: Red' ma drüber! (Barbara Rothmüller, 24.6.2019)