Wie sehr ist Europa nun wirklich ein einheitliches Gebilde und nicht bloß eine supra- oder internationale Organisation, vergleichbar den Vereinten Nationen oder der Welthandelsorganisation?

Illustration: Standard/ Fatih

Sonja Puntscher-Riekmann leitet das Institut für Europäische Integrationsforschung der Öster. Akademie der Wissenschaften.

Foto: Standard/Hendrich

Neben den EU-Gesetzen herrschen viele nationale Rechtsverordnungen. Warum das so ist und wie es sich ändern lässt, wird aus sozial- und rechtswissenschaftlichen Blickwinkeln diskutiert. Demnächst an der Akademie der Wissenschaften.


Wenn die Europäische Union ein Problem hat, sagt die Politologin Sonja Puntscher-Riekmann, dann ist es vor allem eines ihrer nur partiell demokratischen Strukturen. Die Frage ist, wie sich die "Demokratiequalität" verbessern lässt und was unter den gegebenen Machtverhältnissen überhaupt möglich ist. Daran arbeitet das von Puntscher-Riekmann geleitete Institut für Europäische Integrationsforschung EIF an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, mit unterschiedlichen Resultaten.

Beruhigend ("Wenn Sie dieses Wort verwenden wollen") sind für sie die Ergebnisse einer Untersuchung, die die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in Österreich begleitet hat. Da hätten die Schwierigkeiten in den ersten zehn Jahren seit dem Beitritt durchaus abgenommen, die Integration des nationalen in das europäische Recht sei weit fortgeschritten. Weniger zufrieden stellend sei der Prozess der "Europäisierung nationaler Institutionen", etwa der Parteien. Die Wahrnehmung der Euro-Ebene im Nationalrat sei so gering, "dass es kein Wunder ist, wenn die Öffentlichkeit die Union immer noch als etwas Fremdes wahrnimmt". Das allerdings ist in der gesamten EU verbreitet. "Und die Medien insgesamt pflegen eine Berichterstattung, die das noch befördert." Nicht zu kritisch berichteten sie – das gehöre zu einer demokratischen Streitkultur –, sondern zu wenig.

Wie sehr aber ist Europa nun wirklich ein einheitliches Gebilde und nicht bloß eine supra- oder internationale Organisation, vergleichbar den Vereinten Nationen oder der Welthandelsorganisation? Den juristischen Aspekten dieser Frage widmet sich am morgigen Donnerstag eine Diskussion über die "Rechtsvereinheitlichung aus politikwissenschaftlicher, rechtsökonomischer und privatrechtlicher Sicht". Unter dem Generaltitel "Vereintes Europa – Vereinheitlichtes Recht?" referieren neben Puntscher-Riekmann der Rechtsökonom Michael G. Faure vom Maastrichter Institute for Transnational Legal Research (Metro) und Helmut Koziol von der ÖAW-Forschungsstelle für Europäisches Schadensersatzrecht (ETL) in Wien.

Speziell im Privatrechtlichen ortet Koziol viel Nachholbedarf. "Die EU benötigt eine Vereinheitlichung schon alleine deswegen, weil sonst der Wirtschaftsverkehr behindert, der Wettbewerb verzerrt wird und der Verbraucher nur ungenügenden Schutz genießt." Wenn Haftungen national unterschiedlich festgelegt werden, dann führt das zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteilen.

Punktuell hat die EU Abhilfe geschaffen, etwa bei der Produkthaftung oder beim Überweisungsverkehr. Das Problem aber ist laut Koziol, dass hier kleine Gebiete geregelt werden, die nicht harmonisch in die nationalen Regelebenen hineinpassen. Für größere Gebiete verfolge die Union hingegen kein einheitliches Konzept. Neben den Fortschritten im wirtschaftsrechtlichen Bereich stellt Puntscher-Riekmann eine Reaffirmation des Nationalstaates fest. Im Verfassungsrecht beharren Mitglieder auf eigenen Errungenschaften – das momentane Ringen um den Zugang zum Studium in Österreich ist ein Beispiel. "Es gibt auch eine Rückentwicklung, die mit der Unmöglichkeit zu tun hat, bei der ständigen Erweiterung eine Vereinheitlichung sicherzustellen." Die Kommission schaffe es etwa nicht, das Wettbewerbsrecht als überall geltend durchzusetzen.

Werden die Forschungsergebnisse, werden Konferenzen aus Wien in Brüssel zur Kenntnis genommen? Selbstverständlich, sagt Puntscher-Riekmann, immerhin seien die beteiligten Institute Teil eines europäischen Excellence-Netzwerks und würden, als Teil des sechsten Rahmenprogramms, von der EU unterstützt. Koziol gibt zu bedenken, dass die EU immerhin zu prüfen begonnen hat, inwieweit Vereinheitlichungen im Vertragsrecht möglich sind. "Was herauskommt, weiß man nicht. Immerhin könnten es Musterregeln sein. Für ein europaweites Gesetzbuch sind bisher die nationalen Unterschiede zu groß." (Michael Freund/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 31.7. 2007)