Chuck Berry, 81, nimmt's längst leicht. Sehr leicht.

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Wien – Nach ungefähr 30 Sekunden im zweiten Song des Abends, "Memphis, Tennessee", einem der bekanntesten aus seiner Feder, brach er ab. "I need a stagehand", urgierte der hagere Mann mit der Kapitänsmütze und dem bestenfalls noch in den Hinterhöfen von Las Vegas als modern geltenden swimmingpoolblauen Glitzerhemd. Grund für den Abbruch und das Verlangen nach Bühnenpersonal waren einige Fans, die sich fotografierend an den Bühnenrand gedrängt hatten – was dem Meister zu viel der menschlichen Nähe war. Das trübte ein wenig die Freude, aber wie heißt es im Film "The Big Lebowski" so schön: "Hey! Hier gibt es Regeln, das ist nicht Vietnam!"

Doch auch damit war noch lange nicht alles gut. Gut im Sinne von toll, beeindruckend oder gar mitreißend sollte die kommende Stunde nicht werden. Im Gegenteil. Chuck Berry, mit seinen rüstigen 81 Jahren im besten Alter, um zu den alten Kubanern zu konvertieren, verplempert seine Zeit nämlich längst nicht mehr mit Gitarrestimmen:

"Sometimes she's ugly to me", quittierte er Zwischenrufe bezüglich seiner verstimmten Axt – und holzte sich weiter ungestimmt durch Fragmente von "Roll Over Beethoven", "Everyday I Have The Blues", "Rock And Roll Music", "Maybellene" oder das durch den Blockbuster "Pulp Fiction" wieder bekannt gewordene "You Never Can Tell" – die Szene, in der ein stattlicher John Travolta in exzentrischen Socken mit Uma Thurman gottvoll den Twist gibt.

Gottvoll war an diesem Mittwochabend im Wiener Gasometer jedoch kein Thema. Berry, genauer Charles Edward Anderson Berry, geboren am 18. Oktober 1926 in St. Louis, im US-Bundesstaat Missouri, und als solcher einer der Erfinder des Rock 'n' Roll, den er als einer der ersten textlich gehalt- und humorvoll ausschmückte, ist längst ein Unberührbarer. Hey Kinder, ich hab den Scheiß erfunden! So.

Mit dieser Haltung ist auch seine Band konfrontiert, die wacker versuchte, den Sprüngen ihres Arbeitgebers zu folgen – was nur fast gelang. Und wenn: auch umsonst. Denn Berrys Gitarre dröhnte, als würde er ohne dem Wissen der anderen eigentlich ein Punkrock-Konzert geben. Unfreiwillig. Wurscht.

So war das. Immerhin erbarmte sich nach 40 Minuten Berrys die zweite Gitarre spielender Sohn, überreichte Papi sein Instrument und verschwand mit dem ungestimmten – um es einige Minuten später "in tune" zu überreichen.

"With your permission we will open the show now. We've already blown 45 minutes. Can you believe that?", vermeldete Berry daraufhin und fragte, ob er "Johnny B. Goode" schon gespielt habe. Dem Mann ist alles längst egal. Noch kurz für die Fotografen posiert, ein paar streberhaft rockende, rollende und twistende Damen aus dem Publikum auf die Bühne geholt, ein kleines Bad in der Menge – und tschüss. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.3.2008)