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Stuben am Arlberg ist das kleinste der Arlberg-Dörfer. Es hat 110 Einwohner, 700 Gästebetten und ein feines, nicht überlaufenes Skigebiet. Direkte Skiverbindungen führen nach St. Christoph und von dort nach St. Anton, Skibusse pendeln nach Lech und Zürs. Der Heimatort des Skipioniers Hannes Schneider ist ein Paradies für Firnfans und Freerider. Den noblen Nachbarorten hat Stuben eines voraus: Es ist schneesicher bis in den Mai. Der nächste Bahnhof, Langen am Arlberg, ist drei Kilometer entfernt. Per Zug und Bus erreicht man die Flughäfen Zürich, Altenrhein, Friedrichshafen, Innsbruck in ca. 2,5 Stunden.

Foto: APA/Antony Gormley und Kunsthaus Bregenz,Fotos: Markus Tretter

"Horizon Field", die Installation des Künstlers Antony Gormley, ist das erste Land-Art-Projekt dieser Dimension in Österreich. Der Brite ließ 100 Figuren aus Gusseisen, Abgüsse seines Körpers, über ein Gebiet von 150 Quadratmetern zwischen Bregenzerwald und Arlbergpass verteilen. Die Eisenmänner stehen auf exakt 2039 Metern Seehöhe. Über der Baumgrenze, aber noch nicht im "Reich der Kletterer oder Götter" (Gormley). Filme und Literatur zu Gormleys Werk und zum Thema Land Art sind in den Bibliotheken des Hotels Krone in Lech und des Hotels Krone in Au öffentlich zugänglich.

Foto: Hotel Krone Lech

Wander-Hotline des Kunsthaus Bregenz: 05574/485 94-415. Hier oder auf der Website erfährt man Details zur nächsten geführten (Schnee-)Wanderung. Individuelle Touren in Stuben bucht man am besten im Alpin- und Freeridecenter Arlberg Alpin. In Lech bietet Toni Grissemann (www.fsg-lech.at) täglich gemütliche Schneeschuhwanderungen zu den Eisenmännern auf der Kriegeralpe. Sehr anspruchsvoll sind die Touren auf die Kanisfluh, Widderstein und Höferspitze (Bregenzerwald). Regionale Guides findet man auf www.bergfuehrer.at/vorarlberg

Foto: Österreich Werbung/Fankhauser

Hätte man nicht ein großes Ziel vor sich, den Besuch bei einem der Eisenmänner in den Nordhängen der Albona, würde man sich schön genieren. Mit diesen komischen Dingern an den Füßen in einer Reihe mit 20 Menschen über die Skipiste watschelnd. Über einem Gelächter aus dem Sessellift. "Eh freundlich, nicht hämisch", redet man sich ein. Würde man nicht gerade berufsbedingt Yeti spielen, säße man ja auch da oben, um dann auf zwei Brettln runterzuflitzen wie nix. Köstlich amüsieren würde man sich über die Touris, die da auf Schneeschuhen am Pistenrand hinuntersteigen, nur mühsam die Balance haltend.

Zum ersten Mal Schneeschuhe an den Füßen und dann gleich ein Abstieg ... "Schön breitbeinig, damit ihr euch nicht selbst auf die Schneeschuhe steigt. Gewicht nach hinten verlagern, wie beim Skifahren in der Hocke", rät Roland Haas, der Co-Führer. "Hintern owi, dann geht's leichter", tönt es von ganz vorne, wo beherzten Schrittes Hannes Meyer, Tiroler Urgestein unter den Stubener Bergführern, die Spur zieht.

Die Schneeschuh-Krallen ausfahrend, findet man endlich Halt im Steilhang und würde den harschen Hannes ja schon gerne fragen (wär er nicht so weit weg), warum man denn, verdammt, zuerst mit dem Lift hinauffährt, um dann ein (gefühlt) ewig langes Stück hinunterzugehen. Man möchte doch ganz hinauf: Aufi! Auf 2039 Meter, knapp unter den Albonagrat, wo Antony Gormleys Eisenmänner stehen. Unten, beim Hannes angekommen, beginnt man zu verstehen: Abzweigung. Anscheinend verläuft hier irgendwo unter dem Schnee, wo, weiß nur der Hannes, der Weg zum Stubiger See und zur ersten Figur. Skipiste und Lift verschwinden aus dem Blickfeld. Um uns nur noch Schnee, der Berg, der blaue Himmel. Und irgendwo, noch ganz weit weg, steht ein Eisenmann.

Aufi, zur Kunst

"Zur Art wollt's, gell. Dann gemma!" Wir schlängeln uns durch niedrige Erlen, "Arlen sagt man auch dazu, drum heißt's hier Arlberg", erklärt der Hannes. Dann: "Stopp!" Oberste Schicht ausziehen, bevor man zu schwitzen beginnt, ordnet der Bergführer an. Trinken, eincremen und schauen: "Des da, des da sind Schneegangeln. Schneegangeln." Der Bergführer zeigt auf die Strukturen, die der Wind in den Schnee gepresst hat. Land Art, von der Natur geschaffen.

Mit jedem Schritt wird das Gehen einfacher. Man gewöhnt sich ans ungewohnte Schuhwerk. Und das ist gut so. Denn jetzt geht's aufi. Ohne die Schneeschuhe würde man hoffnungslos im Tiefschnee einsinken. Bergführer Hannes findet mühelos das ideale Tempo für die Gruppe. Die Kunst des langsamen Gehens beherrsche man in diesem Job, feixt er. 300 Höhenmeter schaffe ein durchschnittlicher Alpinist in einer Stunde bergauf, hinunter 500, in der Ebene fünf Kilometer, erfahren wir.

Knapp drei Stunden sind wir unterwegs, immer bergauf. Der Eisenmann, zuerst nur ein winziger Punkt im Steilhang, wird größer und größer. Wir wähnen uns schon am Ziel. "100 Höhenmeter haben wir noch vor uns", bremst unser Guide, "das sind noch 20 Minuten." Wir unterbieten.

"Es ist ein gutes Gefühl, erwartet zu werden", sagt eine der Gruppenteilnehmerinnen beim Anblick des Eisenmanns. Da steht er nun, der Wächter, der Beschützer. Oder einfach nur das Abbild eines Menschen, der interessiert in die Natur schaut? Eine Flasche vom guten Roten macht die Runde: "Auf den Antony!"

Ohne den britischen Künstler Antony Gormley würden wir nicht hier heroben am Geisleger stehen, auf 2039 Metern Seehöhe. Über uns der Albonagrat, die Flexengalerie gegenüber und direkt vor uns der Eisenmann, eine der 100 Figuren, die Gormley zum Land-Art-Projekt Horizon Field arrangiert hat. Die Zahl 2039 habe nichts Mystisches, erklärt uns Tourorganisatorin Kirsten Helfrich, Kunstvermittlerin im Kunsthaus Bregenz. Gormley habe sich eine gut erreichbare Höhe über der Baumgrenze ausgesucht, noch bei den Menschen, aber dem Reich der Götter nahe. Gormley beschäftige sich seit 25 Jahren mit dem Körper des Menschen, mit Raum und Natur. Der eigene Körper ist für ihn Subjekt, Material und Werkzeug. Unser Eisenmann ist ein Abguss von Gormleys Körper. "Bescheiden im Maßstab 1:1", stellt Roland Haas, der selbst mehrere Land-Art-Projekt realisiert hat, bewundernd fest. Gormley lasse der Natur ihr Vorrecht. Die sei ja, wirft Bergführer Hannes ein, immer noch der größte Künstler. Gormley bringe seine Kunst zu den Menschen, weil er sie nicht im Museum einsperren wolle, erzählen uns die Kunstvermittler. "Kunst im Museum anzuschauen sei wie einen Patienten im Krankenhaus zu besuchen", wird Gormley zitiert. "Der Antony hätte sicher seine Freude daran, wie wir an seine Arbeit herangehen, im wahrsten Sinne des Wortes", sagt Haas.

Ein Beziehungsfeld

Gormleys Horizon Field erstreckt sich über 150 Quadratkilometer vom Bregenzerwald über das Kleinwalsertal, den Hochtannberg bis ins Arlberggebiet. Nutzbar gemacht haben "diese Landschaften, die keiner wollte" (Gormley) die Walser. Die Menschen der Hochtäler in ihrer "ungezähmten Unabhängigkeit" haben es Gormley angetan. Sie sind nun, wie die Wanderer und Skifahrer Teil von Gormleys "Beziehungsfeld zwischen Körper und Geist, in dem einige Körper Surrogate sind, andere real". Unsere sind eindeutig die realen, sie beginnen, unbequem im Steilhang sitzend, zu frieren. Hannes führt uns souverän den Steilhang hinunter, das letzte Stück dürfen wir zur Belohnung am Hosenboden hinunterrutschen.

Wieder in Stuben, im Hotel Arlberg angelangt, wird räsoniert. Über Gormleys Alpen-Projekt als Indikator für einen Paradigmenwechsel in der Kunst: Kultur wird nicht mehr in ihrem Unterschied zur Natur gesehen, sondern als ihr integraler Bestandteil, meint der Brite. Stimmt: Die Eisenmänner scheinen mit dem Berg verwachsen, sind Teil der Natur geworden. Warum holt sie dann im April 2012 wieder der Hubschrauber? Es müsste eine Initiative geben, die ihr Verbleiben einfordert und jemand, der die Mittel dafür bereitstellt, sagt Kirsten Helfrich. Roland Haas winkt ab. Das Temporäre mache die Bedeutung von Land Art aus. (Jutta Berger/DER STANDARD/Printausgabe/12.03.2011)