Al Ewing: "El Sombra" + "Gods of Manhattan"
Broschiert, 352 bzw. 320 Seiten, Abaddon Books 2007 bzw. 2011
Das Buch, das mir in dieser Monatsausgabe am meisten Spaß gemacht hat, heißt "Gods of Manhattan". Aber bevor ich dazu komme, muss ich erst noch ein wenig weiter ausholen. Und zwar betreten wir damit die Welt der Shared Universes, also fiktiver Welten, zu denen jeweils mehrere AutorInnen beitragen. Der britische Verlag Abaddon Books hat hier gleich mehrere Projekte am Laufen, eines davon heißt "Pax Britannia" und huldigt den literarischen Ahnen der Science Fiction, von Verne und Wells bis zu den Pulps des frühen 20. Jahrhunderts. Die Erde unserer Tage steht hier ganz unter Steampunk-Vorzeichen; die ungebremste industrielle Kultur des 19. Jahrhunderts hat sogar zu einem noch größeren Treibhauseffekt geführt, aber das sei nur am Rande erwähnt. Auf der politischen Seite stehen sich zwei Machtblöcke gegenüber: Das Ultimate Reich und Magna Britannia, ersteres immer noch unter der Fuchtel von Adolf Hitler, der zwar nicht als Kopf im Gurkenglas, aber dafür als Gehirn in einer zyklopischen Dampfmaschine die Jahrzehnte überdauert hat. Und doch spielt er nur die zweite Geige, denn jenseits des Ärmelkanals steht ihm eine noch ältere und noch imposantere Kontrahentin gegenüber: Niemand Geringeres als Queen Victoria, die dank britannischer Wissenschaft ihr 160. Thronjubiläum feiert; eine knalligere Konstellation lässt sich wohl kaum denken. Die USA haben übrigens nach einem missglückten Coup von Fascho-Senator McCarthy ein "S" dazugewonnen und sind jetzt die United Socialist States of America. Und es ist auch Platz für jede Menge bekannte Namen von Punk-Designerin Vivienne Westwood bis zu Andy Warhol, der seine allseits belächelte Vision von einer global vernetzten Informationsgesellschaft als Dreampunk vermarktet ...
Der Platzhirsch im "Pax Britannia"-Kosmos war bislang der "Warhammer"-erfahrene Jonathan Green. Seine Schreibe ist eher durchschnittlich, da verwundert es nicht, dass er vor allem auf großräumiges Durchschreiten der fiktiven Welt in all ihren Möglichkeiten setzt. Auf den Spuren Jules Vernes ist er schon zur Mondkolonie geflogen, 20.000 Meilen unter dem Meer geschwommen ... und egal ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft, überall begegnen wir Monstern. "El Sombra" hat der Verlag als Kostprobe die Kurzgeschichte "Fruiting Bodies" beigefügt, einen typischen Green, der in diesem Fall einen ganzen botanischen Garten voller gefährlicher Pilze, Pflanzen, Triffids und Körperfresser auf die LeserInnen loslässt. Und natürlich auf seinen ständigen Protagonisten, den stets souveränen Teilzeit-Agenten der Krone und Dandy-Detektiv Ulysses Quicksilver.
Viel interessanter sind aber HeldInnen mit einem psychischen Knacks, und hier liefert Al Ewing das Marvel zu Greens DC - zudem ist er der klar bessere Autor. Bislang steuerte Ewing zu "Pax Britannia" erst zwei Romane bei, aber die haben's in sich. "El Sombra" beginnt mit der Bildhaftigkeit eines Italo-Westerns: Ein Mann taumelt traumatisiert durch die sengende Wüstenhitze Mexikos, in der Hand den blutigen Fetzen einer Hochzeitsschärpe. In Rückblenden erfahren wir, dass sein Dorf durch ein Nazi-Kommando aus dem fernen Reich überfallen und in ein KZ umgewandelt wurde. Wer nicht dem Massaker zum Opfer fiel, dämmert nun einem noch schlimmeren Schicksal entgegen, geht es doch in Projekt Uhrwerk um die Zucht einer neuen Sklavenrasse. - Wäre da nicht obiger Mann in der Wüste, Djego mit Namen: einst ein unverstandener und von keinem sonderlich gemochter Poet, ein echter Loser. Doch das Trauma hat ihn verändert, und neun Jahre später kehrt er als El Sombra, der rächende Schatten, zurück: This was a man who would never stop fighting until ten minutes after he was dead - and even then, beware!
Äußerlich nimmt der Roman in der Folge die Form des fröhlichen Deutschenschlachtens an, wie man es aus Film, Funk und Fernsehen halt so kennt. Kurioserweise wird dabei noch der niederrangigste Gegner El Sombras mit Name und Kurzbiografie vorgestellt, unmittelbar bevor ihn das Schwert des Rächers ereilt. Liest sich wie Grabinschriften. Unter den so Vorgestellten sind übrigens Psychopathen ebenso wie brave Familienväter. Noch etwas deutlicher wird dieses Element der Relativierung in der Begegnung El Sombras mit dem Chef-Folterer "Master Minus": Der philosophiert erst augenzwinkernd, dass er in jeder Pulp-Novelle wohl als Inbegriff des Bösen gelten würde - um dann in einem genialen Schwenk die Serie "24" und ähnliche Unsäglichkeiten (ohne sie explizit nennen zu müssen) an den Pranger zu stellen: "But let us now assume that this is a different kind of novelette altogether. It is about agents of the government dealing with terrorists determined to undermine their very way of life. Now the reader is with me. He respects my integrity, my courage, my unwillingness to play by rules written by liberals and politicians." Die giftgasgeschwängerte Folterkammer, in der dieses zentrale Gespräch stattfindet, trägt den Namen Palace of Beautiful Thoughts ... das wäre dann wohl die zynischste Bezeichnung seit Joy Division für das KZ-Bordell in der legendären Novelle "The House of Dolls" von Ka-tzetnik. Zum Abrunden werfen wir noch mörderische Steampunk-Maschinen wie den Zinnsoldaten (links oben auf dem Cover zu sehen) und das Drehkreuz in den Hut; und nicht zu vergessen einen ultrasadistischen Lustmörder, unseres Helden schlimmste Nemesis. "El Sombra" ist intelligent, grimmig und witzig zugleich. "Zorro" in Zeiten von "Inglourious Basterds".
Der heuer erschienene Nachfolger "Gods of Manhattan" kommt zwar auch nicht ohne Leichen aus, ist insgesamt aber deutlich leichter im Ton gehalten. Darin verschlägt es El Sombra nach New York, die multikulturelle City of Tomorrow, wo Punks mit Iro, Breakdancer und japanische Nekos (das sind die mit den niedlichen Katzenohren) die Straßen bevölkern, viktorianische TouristInnen ob all dieser Vulgarität indigniert die Nase rümpfen und Agenten des deutschen Sabotage-Netzwerks Untergang ihre Pläne schmieden. El Sombra ist hier nicht mehr die zentrale Figur, denn kostümierte HeldInnen mit erstaunlichen Fähigkeiten laufen in New York schon genug herum. Allen voran Doc Thunder, America's Greatest Hero. Ewing lässt damit Doc Savage, einen berühmten Pulp-Helden der 30er und 40er Jahre, wieder aufleben, stattet ihn aber auch mit einigen Kräften des frühen Superman aus - ganz zu Beginn, als dieser noch kugelsicher war und über Dächer sprang, aber noch nicht die aberwitzigen Science-Fiction-Fähigkeiten späterer Zeiten hatte. Doc Thunders Sidekicks auf der Verbrecherjagd und bei Fesselspielen im Bett sind der Affenmensch Monk und Maya Zor-Tura, eine waschechte unsterbliche Göttin aus irgendeinem Dschungelreich, die mit ebenso unsterblichen Sätzen vorgestellt wird: For Maya Zor-Tura, time was something that happened to other people. Oder: On Maya, nudity seemed as elegant and refined as the evening clothes of British royalty. Zu guter Letzt mischt im urbanen War on Crime auch noch der Blood-Spider mit, der zwar auch dem Verbrechen den Kampf angesagt hat, aber als moralisch weniger sattelfeste Version von Spider Man auch vor Mord und Kollateralschäden nicht zurückschreckt.
Aufgrund all der Doppelidentitäten und verwickelten Origin-Stories entwickelt sich "Gods of Manhattan" zur Komödie der Irrungen, angereichert um geheime Organisationen, die unter Akronymen wie S.T.E.A.M., N.I.G.H.T.M.A.R.E. oder deren Gegenpol E.R.A.M.T.H.G.I.N. firmieren; in letzterer erkennt man übrigens erstaunt die Art-Punk-Band Devo wieder. (Meinen persönlichen All-Time-Favourite in der Beziehung hat allerdings Mark Gatiss, Autor der genialen neuen "Sherlock Holmes"-Serie, geschaffen: In seinen "Lucifer Box"-Romanen ließ er den gleichnamigen Agenten unter anderem gegen die Anarcho-Criminal Retinue of Nihilists, Incendiarists and Murderers antreten, abgekürzt A.C.R.O.N.I.M.) Da wird Gift von der Freiheitsstatue versprüht, da werden Gebäude im Faustkampf in Schutt und Asche gelegt, es schwingen verbrecherische Genies im Augenblick des vermeintlichen Triumphs un-glaub-liche Reden und längst tot geglaubte Superschurken dürfen wieder und wieder auferstehen. Kurz: "Gods of Manhattan" ist eine saukomische und überaus liebevolle Huldigung an die Comics- und Pulp-Kultur. Ein Cliffhanger-Satz an einem Kapitelende lautet: "It's time for the Omega Machine." Muss ich noch mehr sagen?