Wie man einen über fünf Meter hohen Raum mit Mut zur Extravaganz zum Leuchten bringt, demonstriert Simon Hong Xie in seinem neuen "On Market".

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kühl marinierte, ingwerscharfe Muscheln, oder eine überaus erfrischende Interpretation von Rettich in verschiedenen Einlege-Varianten quer durch Ostasien.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Hafenstädte, so sagt man, zeichnen sich durch besonderes Interesse für neue Einflüsse, entspannten Umgang mit ethnischer Diversität und eine spezielle Fähigkeit aus, daraus Eigenständiges, Neues zu entwickeln. Lauter Disziplinen also, in denen Wien und seine Bewohner keine Nachhilfe brauchen - im Gegenteil: Ein der Toleranz, der Freude und Wertschätzung von Vielfalt und Kreativität mehr zugewandter Menschenschlag als der unsrige lässt sich bekanntlich kaum denken. Und das, obwohl die Donau hier nur ins Entlastungsgerinne mündet!

Der aus der Hafenstadt Wenzhou (Einwohnerzahl: 7,4 Millionen) via Mistelbach hier angeschwemmte Ur-Wiener Simon Hong Xie zeigt das mit seinem neuen, der "Küstenlandküche zwischen Chinesischem und Mittelmeer" gewidmeten Restaurant auf der Linken Wienzeile auf exemplarische Art vor - wieder einmal. Das On Market ist von einer weltstädtischen Pracht, die wir nur allzugern als typisch wienerisch erkennen: Edel, aber ohne Anflug von Dünkel; von ausgesucht individueller Gestaltungskraft, aber ohne ins Modische abzugleiten; mutig und selbstbewusst, dabei aber stets und vor allem dem Gast, seinen Wünschen und Erwartungen zugetan.

Vorurteilsfreie Weltzugewandtheit

Hong Xie hat sich dafür Mitarbeiter gesucht, die, wie er selbst, für die erzwienerische Qualität vorurteilsfreier Weltzugewandtheit stehen: Für die Architektur Birgit Eschenlor, die die vergangenen 13 Jahre in Barcelona zugange war; für die Bar und ihre atemberaubende Auswahl ausgesuchter Mixgetränke den sardischen Wiener Marco Pani, der zuvor die Bar Italia mit seinen Cocktail-Kreationen schmückte; für die Ehrfurcht gebietende Weinkarte die Spezialisten von Pub Klemo, die sich - in Alt-Wiener Manier - natürlich nicht nur mit österreichischen Weinen begnügen, sondern auch sonst das beste Interessante der Welt, vornehmlich aus Frankreich, Deutschland, Italien, in beglückender Jahrgangstiefe bereitgestellt haben; für die Küche schließlich ein Team aus japanischen und chinesischen Wienern, die neben den Kulturen ihrer jeweiligen Ursprungsorte auch ein Verständnis für mediterrane Küchentechniken mitbringen.

Die sorgen vom Frühstück weg (Pflicht: das fantastische Ei im Glas Japan-Style!) für eine Art Essen, wie man es zwar irgendwie zu kennen glaubt - so stimmig zusammengewürfelt aber noch nie gekostet hat. Fast alles wird in multiplen Variationen serviert, auch um der wienerischen Eigenart entgegenzukommen, möglichst alles zu kosten und das Gebotene deshalb mit dem ganzen Tisch teilen zu wollen. So gibt es Variationen von Meeresfrüchten, von Gemüse, Innereien oder Tofu, die je nach Größe des Tisches in beliebiger Vielfalt geordert werden können. Da kommen etwa kühl marinierte, ingwerscharfe Muscheln zu Tisch, oder eine überaus erfrischende Interpretation von Rettich in verschiedenen Einlege-Varianten quer durch Ostasien (Bild links). Oder Seetang, verblüffend in seinen Konsistenzen und Würznuancen. Geflügelleber aus dem glühenden Wok, wie aus dem On bekannt; Tartare von der Forelle mit Kapern, Schalotten und Dill; eine Oktopuscreme mit zitrusfrischer Note, Dim Sum in hauchdünnem Reis- oder flaumigem Germteig oder knusperleichte, vegetarische Frühlingstempura, für die auch allerhand Kräuter durch den Backteig gezogen wurden.

In kleinen Schalen

Alles wirkt zugänglich, gleichzeitig aber vom Willen beseelt, den Verlockungen allzu breiten Massengeschmacks zu widerstehen - wie eine Einladung, den Abenteuerhunger einmal auf köstliche Weise zu stillen. Jenen, die sich gar nichts zutrauen wollen, bleibt immer noch Sushi.

Viele Positionen variieren je nach Marktangebot - so können etwa eine zarte Sulz aus Entenzungen mit Kernöl vorrätig sein, eine saftig leichte Pastete aus geschmorter Rinderbrust oder gebratene und hernach marinierte Kleinfische - wie Sarde in Saor auf chinesisch. Tofu in allerhand wundersamen Konsistenzen und Zubereitungen, die selbst für langjährige Simon-Adepten neu sein dürften, matchen sich mit in Kokosmilch geschmorten Kutteln und einem nach Tiradito-Manier roh marinierten Wolfsbarsch.

All das kommt in kleinen Schalen zu Tisch, sodass man ohne Sorge vor allzu exotischen Geschmacksnuancen oder gar Konsistenzen ordern kann. Die Portiönchen kosten je nach Exklusivität der Zutaten zwischen drei und sechs Euro. Hauptgerichte klettern schnell einmal in luftigere Höhen. Das Werkl rennt nach Turbulenzen während der ersten Tage schon recht rund - die eine oder andere Verzögerung sollte aber eingerechnet werden. Angesichts der sprichwörtlich wienerischen Kooperationsbereitschaft freilich kein Problem - so bleibt Zeit, noch einen Cocktail zu schlürfen. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 26.4.2013)