Foto: Lorenz 'eSeL' Seidler

Unter dem Titel "Loch" ist der von ihnen gewonnene "Negative Space" noch bis Ende September im 21er-Haus zu sehen.

Wien - Acht mal acht Meter maß der riesige Styroporblock, der am Anfang der Gelatin-Ausstellung Loch im 21er-Haus stand. Nun sieht er mitgenommen, angefressen und auch ausgesaugt aus. Manche verglichen das Ungetüm auch mit einem Eisberg.

Sechs Tage lange hat sich die vierköpfige Künstlergruppe Gelatin gemeinsam mit befreundeten Performern, Musikern sowie Künstlerinnen und Künstlern dem Skulpturenabbau verschrieben. Dabei ging man im Grunde fast klassisch vor: Mit heißem Draht und anderen Mitteln wurden "Löcher" in den Quader geschnitten und mit Gips ausgegossen. Um sie wieder herausfischen zu können, wurden in diese Negativformen herumliegende Gerätschaften - wie Besen und Stäbe oder aber auch Hocker - gesteckt.

So viel zur Theorie, die sich - der Künstlergruppe und ihrer ausgeprägten Leidenschaft für das Ereignishafte, Enthemmte und alles Körperliche entsprechend - durchaus nach Spaß anhört. Praktisch sah das Ganze aber nicht nur recht beschwerlich, sondern auch schwindelerregend aus: Schließlich lässt sich ein solcher Quader nur von oben nach unten abbauen, weswegen sich das vor Publikum vollzogene Tagwerk großteils in luftigen acht Metern Höhe abgespielt hat.

Vom Balkon aus - im ersten Stock - ließ sich das spektakuläre Treiben sehr schön beobachten: Die Künstler und Künstlerinnen waren mit Seilen gesichert und wechselten sich in sichtlich konzentrierter Zusammenarbeit mit Gipsmischen und Styroporschneiden ab. Mit einem Flaschenzug wurden die oben gewonnenen Unformen nach unten befördert und dort dann - überwiegend von Besen schwingenden "Prinzessinnen" - vom picken gebliebenen Styropor befreit.

Bereits am vierten Tag war das Haus mit einer ganz erklecklichen Anzahl an "Zufallsskulpturen" gefüllt, die während der Live-Performance freilich nicht die Hauptrolle spielten. Schließlich wurde man schon eingangs vor möglichen sexuellen Aktionen oder auch pornografischen Bildern gewarnt. Dass diese bis auf die sexy Klamotten und ein relativ harmloses Reiben am Styropor keineswegs überhandnahmen, dürfte nicht zuletzt an der relativ hohen Beteiligung von Kindern gelegen haben.

Kinderträume werden wahr

Voller Begeisterung widmeten sich diese der nicht ganz unschmutzigen Skulpturenbefreiung, die offenbar nicht nur die Künstler-, sondern auch Kinderträume wahr werden ließ.

Auch das erschienene Publikum langweilte sich nicht, obwohl ein Mann im Prinzessinnenkleid nun mal noch lange keine wirklich gute Performance ergibt. Die Hereinnahme von queeren Aspekten und Glamour zeichnet das Gelatin'sche OEuvre aber nun mal genauso aus wie auch ihre Neigung zum Überdimensionalen oder zum guten Musikgeschmack: Neben einigen schrillen Acts war es im 21er-Haus hauptsächlich Philipp Quehenberger, der mit seinem noisigen Sound das Rädchen vorantrieb und dem kollektiven Idyll damit doch zumindest einen etwas raueren Anstrich verlieh.

Geniale Selbstdarsteller

Insgesamt hat die Künstlergruppe Gelatin jedenfalls einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie ein Händchen für große Inszenierungen hat: Getragen wurden diese von einem etwa 40-köpfigen Team, das in der Tat eine ganze Reihe genialer Selbstdarsteller umfasst. Erst gemeinsam haben sie die White-Cube-Kulisse des Museums in eine Spielwiese verwandelt, die gleichzeitig als Atelier, Bühne und Ausstellungsraum fungierte.

Nach ihrem Abzug wird es dort vermutlich recht einsam werden - auch wenn man mit den unzähligen gewonnenen "Löchern" eine ganze Heerschar an "Eis am Stiel"-Objekten zurückgelassen hat, die es zu betrachten gilt. (Christa Benzer, DER STANDARD, 11.6.2013)