Mit dem Enzym BCAT 1 entdeckten die deutschen Forscher ein Enzym, das zur Aggressivität von Hirntumoren beiträgt. Die neuen Erkenntnisse sollen als Grundlage für die Entwicklung neuer Wirkstoffe dienen.

Foto: B. Radlwimmer, DKFZ

Heidelberg - Tumoren, insbesondere die sehr schnell wachsenden, aggressiven, haben einen erhöhten Bedarf an Energie und an Bausteinen für neue Zellbestandteile. Krebszellen verbrauchen daher viel Zucker (Glukose). Einige Tumoren sind außerdem in der Lage, die Aminosäure Glutamin, einen wichtigen Baustein der Proteine, zu verwerten.

Diagnostisches Kriterium

Eine zentrale Rolle beim Aminosäureabbau spielt das Enzym Isocitrat-Dehydrogenase (IDH). Bei zahlreichen Hirntumoren wurden vor einigen Jahren Mutationen im Gen für die IDH entdeckt. Die sehr bösartigen Hirntumoren – die sogenannten primären Glioblastome – sind mit einem intakten IDH-Gen ausgestattet. Bei den langsamer wachsenden dagegen liegt meist ein Defekt dieses-Gens vor.

"Die Untersuchung des IDH-Gens ist heute ein wichtiges diagnostisches Kriterium, um die Glioblastome von anderen, langsamer wachsenden Hirntumoren zu unterscheiden", sagt Bernhard Radlwimmer vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Mit seinem Team untersuchte er Genaktivitätsprofile von mehreren hundert Hirntumoren. Sie wollten mit der Untersuchung herausfinden, ob sich Tumoren mit verändertem beziehungseise intaktem IDH-Gen durch weitere genetische Auffälligkeiten unterscheiden, die wiederum Rückschlüsse darauf zulassen, welcher Mechanismus die Aggressivität der Erkrankungen beeinflusst.

Einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Gruppen fanden die Forscher in der stark erhöhten Aktivität des Gens für das Enzym BCAT1, das im normalen Hirngewebe für den Abbau so genannter "verzweigtkettiger" Aminosäuren sorgt. Doch nur diejenigen Tumorzellen, deren IDH-Gen nicht mutiert ist, produzieren BCAT1, wie Radlwimmers Team entdeckte. "Das ist nicht überraschend, denn die IDH stellt das Molekül Ketoglutarat zur Verfügung, auf das wiederum BCAT1 angewiesen ist. Das erklärt, warum BCAT1 nur in Tumorzellen mit intakter IDH gebildet wird. Die beiden Enzyme scheinen eine Art funktionelle Einheit beim Aminosäure-Abbau zu bilden", sagt Radlwimmer.

Hohe Glutamat-Ausscheidung

Glioblastome sind besonders deswegen gefürchtet, weil sie sehr aggressiv in umgebendes gesundes Hirngewebe vordringen. Blockierten die Forscher die BCAT1-Wirkung mit einem pharmakologischen Wirkstoff, so verloren die Tumorzellen ihre Invasionsfähigkeit. Darüber hinaus schütteten sie weniger vom Neurotransmitter Glutamat aus. Eine hohe Glutamat-Ausscheidung ist für viele schwere neurologische Symptome wie etwa epileptische Anfälle verantwortlich, die im Zuge der Erkrankung häufig auftreten. Auf Mäuse übertragen, wuchsen Glioblastomzellen, deren BCAT1-Gen blockiert worden war, nicht mehr zu Tumoren aus.

"Insgesamt sehen wir, dass die Überexpression von BCAT1 zur Aggressivität der Glioblastom-Zellen beiträgt", sagt Radlwimmer. Er und seine Kollegen schließen aus den Ergebnissen, dass die beiden Enzyme, BCAT1 und IDH, beim Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren zusammenwirken. Offenbar steigert die Möglichkeit, sich diese Eiweißbausteine als "Nahrungsquelle" zunutze zu machen, die Bösartigkeit der Krebszellen. Verzweigtkettige Aminosäuren spielen auch bei Stoffwechselerkrankungen wie etwa Diabetes eine wichtige Rolle. Dies ist das erste Mal, dass Wissenschaftler die Bedeutung dieser Aminosäuren für das Wachstum von Krebstumoren zeigen konnten.

„Die gute Nachricht daran ist, dass wir mit BCAT1 ein weiteres Angriffsziel für zielgerichtete Therapien gefunden haben", so Radlschwimmer.  Die Suche nach spezifischen Wirkstoffen gegen dieses Enzym ist bereits in Gange. Darüber hinaus wollen die Forscher prüfen, ob die BCAT1-Expression auch als zusätzlicher diagnostischer Marker für die Bösartigkeit eines Hirntumors taugt. (red, derStandard.at, 25.6.2013)