Sascha Mamczak: "Die Zukunft. Eine Einführung"
Klappenbroschur, 112 Seiten, € 9,30, Heyne 2014
Der Heyne-Verlag hat diesen Frühling das 50-jährige Bestehen seiner Science-Fiction-Schiene gefeiert. Ich juble mit Vorbehalt ... aber auch wieder mit deutlich mehr Hoffnung als noch vor einem Jahr.
Vom Massen- zum Nischenmarkt
Geschichte: Der Münchner Verlag - seit über einem Jahrzehnt nur noch ein Label, das zur Random-House-Gruppe gehört - hat sich in diesem halben Jahrhundert einen Status erarbeitet, der "Heyne" praktisch zum Synonym für "Science Fiction auf Deutsch" werden ließ. Wenn ich daheim so an den Regalen mit den SF-Taschenbüchern aus den 60ern bis 80ern entlangsehe, prangt mir von den meisten Buchrücken das Heyne-Logo entgegen. Daneben sieht der gesammelte Output der Konkurrenz - Goldmann, Suhrkamp, Knaur, Fischer, Bastei Lübbe und wie sie alle heißen - blass aus. Nur Moewig konnte eine Zeitlang mithalten, aber das ist auch schon lange her.
... wie es auch schon länger her ist, dass SF ein boomendes Genre war, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht. Oder vielleicht liegt es auch nur am Begriff "Science Fiction": Der war offenbar einst so zugkräftig, dass er auch auf Bücher gepappt wurde, die nicht mal annähernd dem Genre zuzuordnen sind. Heute ist es eben umgekehrt: Da stehen auf Büchern, die glasklar Science Fiction sind, Bezeichnungen wie "Umweltthriller" und was nicht alles. Oder gleich nur "Roman". Bei einem Verlag, dessen Name mir zum Glück entfallen ist, hat man sich bezüglich der Deklarierung sogar zu der Aussage verstiegen, dass SF schließlich nur eine Teilkategorie der Fantasy sei. Arrrgh. Allerdings zieht das Wort "Fantasy" mittlerweile auch nicht mehr so sehr wie noch vor einigen Jahren - egal, es wird sich was Neues finden.
Liest man SF-bezogene Sekundärliteratur aus den 70ern und frühen 80ern, könnte man angesichts des darin allenthalben durchschimmernden Optimismus richtig nostalgisch werden. Anscheinend dachten damals die meisten, dass der Boom immer weiter und weiter gehen würde. Stattdessen hat sich die Science Fiction in den folgenden 30 Jahren sukzessive zu einem Nischenmarkt entwickelt. (Interessanterweise parallel zu dem Trend, dass die Bücher größer, aufwändiger und teurer wurden ... dabei zeigt die Evolution doch, dass die Kleinen viel bessere Chancen haben, sich massenhaft auszubreiten. Riesenwuchs ist immer der Endpunkt einer Entwicklung.)
Das "Gesundschrumpfen"
Natürlich mussten sich die Verlage dieser Entwicklung beugen und verkleinerten ihren Output entsprechend - auch Heyne. Was doppelt betrüblich ist, denn wie Galadriel schon zu Heyne sagte: Wenn du dieses Buch nicht herausbringst, dann tut es niemand. In den letzten ein, zwei Jahren ist der Schrumpfungsprozess dann für meinen Geschmack allmählich auf eine kritische Marke zugesteuert. Die gewohnten Premium-SF-Titel gab es weiterhin, aber ihre Zahl war gering. AutorInnen, die lange Zeit eine Dauerkarte für Übersetzungen innehatten - nehmen wir etwa Lois McMaster Bujold oder Alastair Reynolds -, veröffentlichten inzwischen zwar munter weiter, die Übersetzungen aber rissen ab. Und ein qualitativer Griff ins Klo wie Evan Currie wiegt natürlich schwerer, wenn er nicht wie einst durch dutzende bessere Veröffentlichungen überdeckt wird.
Wiederveröffentlichungen
Dazu kommt noch, dass im fraglichen Zeitraum die Quote von Wiederveröffentlichungen am Gesamtoutput ein für mich unverhältnismäßiges Ausmaß erreichte: Nämlich nicht nur auf Sonderschienen wie "Meisterwerke der Science Fiction" beschränkt, sondern auch außerhalb (etwa die Werke von David Brin). Was auch der Grund ist, warum ich auf die an und für sich sehr gute Idee, anlässlich des 50-jährigen Jubiläums ein wichtiges Werk aus jedem Jahrzehnt neu herauszugeben, nicht recht angesprungen bin. Ich habe mir nur das älteste dieser Bücher herausgepickt (Ursula K. Le Guins "Die linke Hand der Dunkelheit" als Vertreter der 60er Jahre, siehe die nächste Seite). Erwähnt werden sollten die anderen aber auch:
+ 70er: Joe Haldeman, "Der ewige Krieg". Hatten wir in der Rundschau vor kurzem erst, wenn auch leider in einer missglückten Übersetzung (hier die Nachlese). Die Jubiläumsausgabe dürfte mit ziemlicher Sicherheit besser sein, aber wie gesagt: Wir hatten's schon.
+ 80er: William Gibson, "Neuromancer". Logisch, da kommt man nicht dran vorbei. Aber ist der Cyperpunk-Klassiker eigentlich seit seiner Erstveröffentlichung irgendwann mal außer Druck gewesen? Ich kann mich an keinen Besuch in einer Buchhandlung mit SF-Regal erinnern, wo nicht ein "Neuromancer" herumgestanden hätte. Ich wollt' es einfach nicht noch mal, sorry.
+ 90er: Iain Banks, "Bedenke Phlebas". Sehr schön. War mir aber noch nicht lange genug her, um es noch einmal zu lesen - viel mehr interessiert mich die Übersetzung des letzten noch ausständigen "Kultur"-Romans "The Hydrogen Sonata". Und - täterätäää! - da hat das Warten nun ein Ende: Im Juli kommt das Werk des vor einem Jahr leider verstorbenen Autors, der uns so viele wundervolle Lesestunden beschert hat, nun auch auf Deutsch heraus.
+ 00er: Dmitry Glukhovsky: "Metro 2033"/"Metro 2034". Come again? Der videospielkompatible U-Bahn-Grusel aus Russland ist ja für ein bis zwei Romane unbestreitbar unterhaltsam. Aber wenn das das Gegenwartsäquivalent zu den zuvor genannten Klassikern sein soll, dann können wir alle einpacken und nach Hause gehen. Was ich aber nicht als Krisensymptom der SF werte - letztlich dürfte einfach ein nachvollziehbares wirtschaftliches Kalkül dahinterstecken: Hochqualitative neuere Werke wie z. B. Ian McDonalds "Cyberabad" oder Paolo Bacigalupis "The Windup Girl/Biokrieg" haben ihr Kernpublikum mit der Erstausgabe gefunden; die würden so kurz danach mit einer Neuauflage nicht plötzlich erweiterte Käuferkreise erschließen. Und wenn man etwas vergleichbar Gutes und bislang nicht Übersetztes zum ersten Mal im Jubiläumsrahmen herausbringt (ich plädiere für Daryl Gregorys "Pandemonium"), könnte sich die Frage stellen, warum man das vorher übergangen hat. Dann doch besser einen Omnibus zu einer laufenden Serie, bei der der Absatz sicherer erscheint.
Die Zukunft ...
Zum Trost für diesen Absacker wird das Jubiläumspaket von einem schmalen Band begleitet, in dem Sascha Mamczak, Lektor und Betreuer der SF-Schiene bei Heyne, zu Wort kommt - hier in der Rundschau als Mitherausgeber des famosen SF-Jahrbuchs von Heyne ein alljährlicher Gast. "Die Zukunft. Eine Einführung" dreht sich aber nicht um die weitere Entwicklung des verlagseigenen SF-Programms oder auch die Science Fiction im Allgemeinen. Es ist ganz dem Titel entsprechend ein Essay über dieses seltsame Ding, das eigentlich nie ist - und das sich der Mensch doch mit allen Mitteln anzueignen versucht.
... zumindest der heutige Mensch, denn auch die Zukunft hat eine Geschichte. Und das Bild, das sich unsere Vorfahren von ihr gemacht haben, war einem mehrfachen Wandel unterworfen, wie Mamczak auf seinem historischen Streifzug vom Neolithikum bis zu Niklas Luhmann darlegt. Er schreibt vom Unterschied zwischen zyklischem und linearem Zeitverständnis, vom Spannungsfeld zwischen Zukunftsforschung und Zukunftsliteratur und auch von aus der Mode gekommenen Zukünften wie der Angst vor einem Atomkrieg.
Krampf- und zwanglos
In lockerem Ton lädt Mamczak zum Nachdenken ein - Widerspruch ist dabei keineswegs ausgeschlossen. Ich zum Beispiel habe mich bei der Stelle eingehakt, in der er Stimmen aus Wirtschaft und Politik etwas abgewinnen kann, denenzufolge unser übermäßiger Ressourcenverbrauch unseren Nachkommen zwar gravierende Probleme einhandelt - sie aber auch mit mehr Mitteln ausstattet, um mit diesen fertigzuwerden. Hm. Weniger zynisch als rein mathematisch gesehen riskant, scheint mir. Wer mag kalkulieren, dass ihre Mittel im gleichen Ausmaß wachsen werden wie ihre Probleme? Da scheint mir nachhaltiges Wirtschaften doch der bessere Weg - damit garantiert man künftigen Generationen wenigstens die gleichen Chancen, die wir haben.
Aber darum geht es in "Die Zukunft" ja wie gesagt: zum Nachdenken anregen. Und das ganz zwanglos. Der Text ist gesprenkelt mit erfrischenden Formulierungen - etwa wenn Mamczak von der jahrtausendealten theologischen Brutkammer des Nahen Ostens spricht oder das derzeit in aller Munde liegende Schlagwort "Big Data" als neuen Modenamen des Laplaceschen Dämons bezeichnet. Vergnügt geschrieben, vergnüglich zu lesen.
Wir geben Zwischengas
Und wenn es in dem Band auch nicht um die Zukunft der Science Fiction geht, dann schlage ich jetzt den Bogen zum Anfang dieses Textes zurück und begründe noch schnell, warum ich wieder zuversichtlicher gestimmt bin als noch vor einem Jahr. Ganz einfach deshalb, weil bei Heyne für die kommenden Monate mehr interessante Neuübersetzungen angekündigt sind als in der gut einjährigen Durststrecke davor. Iain Banks habe ich ja schon bejubelt - dazu kommen der hier bereits abgefeierte Andy Weir mit "Der Marsianer", Stephen Baxters "Proxima", die aktuelle Nebula-Gewinnerin Ann Leckie mit "Die Maschinen" und - Tanze Samba mit mir! - China Miévilles "Das Gleismeer". Na also, geht doch!