Kinderjausenatmosphäre und jagdlicher Neorustikalkitsch in der Hermesvilla.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Küche von Martin Kammlander ist fast zu gut für die Exjausenstation.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Hermesvilla ist an der Frontseite wegen Einsturzgefahr mit Bauzaun gesichert und von zahllosen unförmigen Tannen, Eiben und trostlosen Thujen zugewuchert, dass man depressiv werden könnte. Sie ist nichtsdestoweniger ein Juwel. Einerseits weil der schwere, sahnetortige Kitsch der Prunkgemächer von Kaiserin Elisabeth einen treffenden Ausdruck für die todkranke Ära darstellt, in der die Villa entstanden ist, und anderseits weil der Lainzer Tiergarten, der ihr die Fassung gibt, in wundervoll wildem, weitläufigem und offenem Kontrast dazu steht.

Bislang beherbergte sie neben einer Dependance des Wien-Museums ein Café-Restaurant, in dem Spaziergeher sich nach erfolgter Durchlüftung an Schnitzel, Kuchen und anderem Backwerk laben konnten. Dann übernahm Multigastronom Markus Artner, servierte über Monate nur Kaffee und Kuchen und bastelte an einem Konzept, das ihm Denkmalamt und Stadt Wien durchgehen lassen würden.

Ambient-Bässe

Nun wummern aus den Lautsprechern Ambient-Bässe, die Möblierung übt sich mit schicken Gervasoni-Stühlen, bunten Plastikhirschen und massiven, auf Kaffeehaustischfüße montierten Holzplanken in neorustikalem und "augenzwinkerndem" Jägerkitsch. Wer da an München oder Passau denkt, liegt nicht falsch.

Adrett aufgebrezelte Hietzinger und Speisinger Jungfamilien haben den Wechsel am schnellsten mitgekriegt und den Platz für sich erobert. Es kann nicht mehr lange dauern, bis der eine oder andere Tisch für eine Spielecke geopfert wird - dafür sollte der schiere Druck des Gästeprofils automatisch sorgen. Mittags geht speziell an Wochenenden ohne Reservierung gar nichts.

Häferlkaffee samt Kuchen

Das hat sich noch nicht unter allen Parkbesuchern herumgesprochen. Bewehrt mit Fellhaube und Hut (oder aber in zünftigem Bergsteigeroutfit), stiefeln viele zwischen dem Jungvolk umher: Irgendwo muss doch ein Tisch sein, wo sich Häferlkaffee samt Kuchen unaufgeregt wie zuvor konsumieren ließen!

Kuchen gibt es auch, das Augenmerk liegt jetzt aber eindeutig auf echtem Essen. Küchenchef Martin Kammlander serviert sehr ansprechende, für artnersche Verhältnisse extrem günstige Speisen, deren Grundprodukte und Inspiration aus dem Wald vor der Haustür stammen. Dass die Vorspeisen auf schwarzen Schieferplatten angerichtet sind, wirkt angesichts der Kinderjausen-Atmo doppelt lächerlich, an der meist sehr überzeugenden Qualität der Speisen ändert das aber nichts. Besonders fein: Spanferkelpresskopf mariniert und gebacken mit Linsen (im Bild), Hirschcarpaccio mit Sellerie und ein herrlich saftiger, nuanciert abgeschmeckter Rehpfeffer mit Mohnspätzle und Pfefferbirne. Wochenends gibt es am Nachmittag Milchrahmstrudel oder kompromisslos butterige Preiselbeerbuchteln. Sperrstund' ist, wie im ganzen Park, bereits am späten Nachmittag. (Severin Corti/Der Standard/rondo/21/10/2011)