STANDARD zu Posting-Debatte: "Von Anonymität ist keine Rede"
Verpflichtende Klarnamen im Netz, keine Nicknames: Bringen wenig, sagen die STANDARD-Vorstände Alexander Mitteräcker und Wolfgang Bergmann
Ansichtssache
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Harald Fidler
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Ein Interview mit Chronologie der Postingdebatte (unten).
STANDARD: Seit ein paar Wochen befeuern der „Profil“-Herausgeber, ein prominenter PR-Experte, ein Branchenmagazinverleger und mit ihnen eine Reihe von Verlegern, voran „Österreich“, „Heute“ und „Krone“, eine Debatte über „Hasspostings“ und verpflichtende Klarnamen. Just ihr gemeinsames Hauptziel, die STANDARD-Gruppe mit derStandard.at und seiner Online-Community, hielt sich bisher sehr zurück. Warum eigentlich?
Mitteräcker: Wir haben die Debatte über Klarnamen schon vor Christian Rainer und seinen Kollegen intensiv geführt - zuletzt etwa voriges Jahr, als eine STANDARD-Autorin das in unseren Medien thematisierte. Der Nickname-Skeptiker Armin Wolf schrieb anschließend: „Bis vor kurzem dachte ich, dass das vor allem mit der Anonymität der Poster zusammenhängt, unter deren Schutz manche einfach hinausrotzen, was ihnen lustig ist. Ich habe jedoch in Diskussionen der letzten Wochen gelernt, dass Klarnamen das Problem wohl nicht lösen würden.“ Wir hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine eigene Abteilung „User-generated Content“ gestartet und machen dank dieser kontinuierliche Fortschritte hinsichtlich der Qualität. Gerade wegen unserer Moderation werfen uns Posterinnen und Poster häufig übermäßige Zensur vor - da gilt es, die Balance zu halten. Die gegenwärtige Diskussion hat bislang keine neuen Erkenntnisse gebracht.
STANDARD: Warum gibt es noch immer - zumindest - beleidigende und herabwürdigende Postings?
Bergmann: Weil wir in Echtzeit arbeiten. Es ist wie bei einer öffentlichen Veranstaltung: Niemand kann im Voraus garantieren, dass nicht ein Flitzer seine Kleider vom Leib reißt. Deshalb wird man aber nicht Fußballturniere abschaffen.
Mitteräcker: Wir wissen, dass wir hier in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess sind, um unserem eigenen Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Das können wir nur mit Crowdsourcing, intelligenten Algorithmen und einer ordentlichen Portion menschlicher Arbeitskraft erreichen. Wir halten derzeit bei 20.000 Postings pro Tag, und ständig werden es mehr. Zwischen 1000 und 2000 werden täglich gelöscht. Regelmäßig kontaktieren uns internationale Medien, um von unseren Erfahrungen zu lernen, wie diese Mengen zu managen sind. Jeder ist herzlich eingeladen, konstruktive Vorschläge abzugeben, wie wir hier als Medium unterstützend eingreifen können, um den Diskurs zu fördern und die Qualität der Debatte zu erhöhen.
Bergmann: Wahrscheinlich stehen wir im Zentrum der Diskussion, weil wir das größte Forum haben. Auf der großen Autobahn gibt es mehr Unfälle als in der kleinen Nebenstraße. Das Problem haben wir ja alle. Die Frage ist: Wie können wir eine öffentliche Diskussion in Echtzeit führen und dafür sorgen, dass nicht Einzelne das Niveau hinunterziehen.
STANDARD: Aber was spricht dagegen, dass sich Poster mit ihrem echten Namen deklarieren müssen?
Mitteräcker: Klarnamen sind gegenwärtig nicht garantierbar, im Gegenteil, sie bieten ein weiteres Feld für Manipulation, welches wir als durchaus gefährlich einschätzen. Man darf nicht vergessen, dass die geringe Menge an Personen, die uns in den Foren tatsächlich Probleme bereiten, über einiges an Kreativität, Geschick und eine gehörige Portion destruktiver Energie verfügen. Die werden auch durch eine Klarnamenpflicht nicht eingebremst, eher herausgefordert.
Bergmann: Es gilt auch, ein wichtiges Element nicht kaputt zu machen: Viele Missstände und Skandale werden nur publik, weil die Informanten geschützt sind. Pseudonyme verhelfen Menschen dazu, ihre Meinungen und Erlebnisse zu artikulieren, ohne dass sie Konsequenzen durch ihren Arbeitgeber, die Politik oder ihnen auflauernde Mitbürger befürchten müssen. Wir müssen auch so realistisch sein zu sehen, dass man, selbst wenn in den USA als Musterland der freien Welt lebt, um politisches Asyl in Moskau ansuchen muss, wenn man mit eigenem Namen einen wirklichen Skandal aufdeckt.
STANDARD: Der Gedanke hinter der Klarnamendebatte ist offenkundig: Unter dem eigenen Namen würde man sich Verbalinjurien lieber zweimal überlegen.
Bergmann: Twitter und Facebook beweisen, dass das nicht stimmt. Tatsächlich finden Shitstorms wie jener gegen Elke Lichtenegger oder Mario Plachutta, Anfeindungen, wie sie nun Conchita Wurst erleben musste, oder regelmäßiges Mobbing zwischen Schülern auch und vor allem auf Facebook mit vollem Namen statt. Man kann jetzt lange darüber diskutieren, ob das Internet die Verrohung unserer Umgangsformen verursacht hat, die Anonymität war es jedenfalls nicht. Tatsächlich ist bei unsren Postern von Anonymität ohnehin keine Rede , da eine Registrierung samt E-Mail-Validierung zwingend erforderlich ist. Die Leute treten unter Pseudonymen in Erscheinung und können, beispielsweise auf richterliche Anordnung, durchaus ausgeforscht werden.
STANDARD: Branchenverleger Christian Mucha nutzte nun seine jährliche Würdigung von Marketingleitern im „Extradienst“, um viele hundert Marketingverantwortliche von Unternehmen in Österreich anzuschreiben und aufzufordern, nicht mehr bei Unternehmen zu inserieren, „die gar anonyme Poster unter den Schutz des Redaktionsgeheimnisses stellen“. Gab es schon Stornos?
Mitteräcker: Nein, warum auch? Mucha fordert ja auf, Plattformen zu boykottieren, die anonyme Hasspostings fördern. Wir wollen keine, weder anonym noch mit Klarnamen. Es wird viel Aufwand betrieben, diese so gut wie möglich herauszufiltern. Das scheinen die von Herrn Mucha angeschriebenen Marketingleiter schon sehr klar unterscheiden zu können, besser als er selbst.
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