Etwa jedes zehnte Volksschulkind in Österreich ist Bettnässer. Aus Scham sprechen betroffene Familien so gut wie nie über dieses heikle Thema. Pünktlich zum Schulbeginn startet die Gesellschaft der Schulärztinnen und Schulärzte Österreichs (GSÖ) daher ein Aufklärungsprojekt zu diesem Tabuthema. Ein Elternratgeber soll die Irrtümer und Missverständnisse in Bezug auf das Bettnässen ausräumen und Eltern dazu ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

"Weil viele Eltern denken, sie wären verantwortlich, reden sie nicht darüber", ist Judith Glazer, Präsidentin der GSÖ überzeugt. "Diese Scham hat aber fatale Folgen. Nur jedes fünfte betroffene Kind bekommt hierzulande die Therapie, die es bräuchte." Und späte bzw. falsche Therapie der Enuresis hat häufig schlimme Auswirkungen auf Selbstbewusstsein und Lebensqualität.

Der Elternratgeber wurde gemeinsam mit dem Experten Josef Oswald ausgearbeitet und ist ab sofort für alle Volksschulen kostenlos bei der GSÖ zu bestellen.

Ein Mal, kein Mal, immer wieder

Von Bettnässen bzw. Enuresis spricht man, wenn ein Kind nach dem 5. Geburtstag mindestens 2 Mal pro Monat nachts einnässt, obwohl es tagsüber bereits trocken ist und keine organische Störung und kein Harnwegsinfekt vorliegen.

Bei etwa 4 von 5 betroffenen Kindern ist ein körperliches Problem für das Einnässen verantwortlich, wobei die Ursachen hierfür sehr vielfältig sein können. "Kinder machen nicht absichtlich ins Bett und können es auch nicht verhindern, egal wie sehr sie sich bemühen", erklärt Josef Oswald, Vorstand der Abteilung für Kinderurologie sowie Leiter des Arbeitskreises Kinderurologie der Österreichischen Gesellschaft für Urologie (ÖGU). "Bettnässen ist ein ernst zu nehmendes Problem, das wir mittlerweile aber sehr gut behandeln können!"

Handeln statt Abwarten

Der erste und wichtigste Schritt für betroffene Eltern: ein Termin bei einer Kinderfachärztin/einem Kinderfacharzt oder einer Fachärztin/einem Facharzt für (Kinder)urologie, um die Ursache des Bettnässens zu ergründen.

"Meist ist eine Kombinationstherapie aus Verhaltensveränderungen, allgemeinen Maßnahmen und Medikamenten notwendig, um das Bettnässen langfristig einzustellen", weiß Oswald aus langjähriger Erfahrung.

"Bei nur 15 Prozent der Kinder löst sich das Problem pro Jahr alleine. Alle anderen benötigen eine individuelle Behandlung, die derzeit aber nur jedes fünfte betroffene Kind auch bekommt." In den Elternratgeber integriert ist mit Bennis Blasentagebuch ein Miktionsprotokoll. Dieses sollten betroffene Eltern gemeinsam mit dem Kind über zumindest 48 Stunden durchführen und zum ersten Gesprächstermin bei der Fachärztin/dem Facharzt mitbringen. "Abwarten erhöht den Leidensdruck für die betroffenen Kinder und deren Eltern nur unnötig", ist auch Glazer überzeugt.

Die wichtigsten Expertentipps für betroffene Eltern:

  • Sorgen Sie für eine Diagnose und die geeignete Therapie
    Erst wenn die Ursache des Bettnässens bei Ihrem Kind feststeht, können Sie sich gemeinsam mit einem Spezialisten für die geeignete Therapie entscheiden. Sorgen Sie daher, so schnell wie möglich, für eine umfassende Diagnose bei einer Fachärztin/einem Facharzt! Die Untersuchung ist für Ihr Kind absolut schmerzfrei und besteht meist aus mehreren Teilen, wie einem Elterngespräch, dem Führen eines Blasentagebuches, einer Urindiagnostik, einer körperlichen Untersuchung und einem Ultraschall.
  • Gehen Sie offen mit dem Thema um
    Häufig macht "Totschweigen" das Problem für das betroffene Kind noch schlimmer! Sprechen Sie mit Ihrem Kind, erklären Sie ihm, warum es nachts ins Bett macht und dass es nichts dafür kann. Sagen Sie Ihrem Kind, dass es sich dafür nicht zu schämen braucht und dass es bestimmt eine Lösung für das Problem gibt.
  • Nehmen Sie die Sorgen Ihres Kindes ernst
    Wenn Ihr Kind nicht an der Schullandwoche teilnehmen oder bei einem Freund übernachten möchte, weil ihm das Bettnässen peinlich ist, sollten Sie unbedingt Verständnis dafür aufbringen. Zwingen Sie es keinesfalls zu solchen Aktivitäten, wenn es sich damit nicht wohl fühlt. Verschieben Sie das Auswärtsschlafen einfach auf den Zeitpunkt, an dem das Bettnässen überwunden ist.
  • Holen Sie sich Unterstützung
    Speziell beim Thema Bettnässen müssen Betroffene immer noch mit Spott von gleichaltrigen Kindern rechnen. Holen Sie sich professionelle Hilfe, wenn Ihr Kind zu sehr darunter leidet. Neben KinderpsychologInnen und SchulpsychologInnen stehen Eltern auch KindertherapeutInnen, Kinder- und SchulärztInnen sowie BeratungslehrerInnen zur Seite, um Ihr Kind zu unterstützen. (red, derStandard.at, 24.9.2014)