Ginge es nach Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, könnte man das Inseratenvolumen der Stadt Wien um die Hälfte kürzen.

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Wien – Gemeinsam mit dem Koalitionspartner holten die Grünen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Wien. Würde die SPÖ mit der ÖVP regieren, anstatt mit den Grünen, würden solche Initiativen blockiert, sagt Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im STANDARD-Interview. Ein klares Nein gibt es von den Grünen zum Bau des Lobautunnels. Ein Tunnel durch den Nationalpark sei für sie ökologisch nicht vertretbar.

STANDARD: Sie haben zu Regierungsantritt 2010 gesagt, dass die Wahl 2015 mit einem faireren Wahlrecht stattfinden wird. Warum haben die Grünen dieses Wahlversprechen gebrochen?

Vassilakou: Die Grünen haben für ein neues Wahlrecht alles gegeben. Es scheiterte daran, dass die SPÖ nicht davor scheute, einen Mandatar abzuwerben und damit alles zu blockieren. So gesehen ist die Frage der SPÖ zu stellen. Sie hat das Regierungsübereinkommen gebrochen.

STANDARD: Würde es die Reform bei Rot-Grün II geben?

Vassilakou: Klar ist, dass die Grünen weiter alles daran setzen werden. Ich gehe davon aus, dass die SPÖ, spät aber doch, gewisse Einsichten gewinnen wird. Diese Wahl wird mit einem Wahlrecht geschlagen, das nun der FPÖ zugutekommen wird.

STANDARD: Ist das Bedingung für eine Regierungsbeteiligung?

Vassilakou: Bedingungen wird es etliche geben. Ich werde sie zu gegebener Zeit benennen. Die Wahlrechtsreform ist dabei.

STANDARD: Bei der Wahl 2005 haben Sie 14,6 Prozent erreicht. 2010 waren es 12,6. An welchem Wahlergebnis orientieren Sie sich?

Vassilakou: Ich möchte, dass die Grünen so stark wachsen, dass sich Rot-Grün ausgeht und dass nach der Wahl keine Verhandlungen vorbei an den Grünen geführt werden können. Wir wollen einen zweiten grünen Stadtrat im Regierungsteam, der die Bildungsagenden übernimmt.

STANDARD: Von welchem Zuwachs sprechen Sie?

Vassilakou: Mein Ziel ist das beste Wahlergebnis aller Zeiten in Wien. Ich will mindestens die 100.000er-Marke durchbrechen, 2005 waren wir knapp dran. Wir haben viel erreicht: 365-Euro-Jahreskarte, Ausbau der Öffis, Mariahilfer Straße, die Bürgersolarkraftwerke. Stolz bin ich darauf, dass Wien mit einer Selbstverständlichkeit Flüchtlingsfamilien nach Wien holt und unterbringt, dass wir alle Kinder aus Traiskirchen geholt haben. Gibt es Grün nicht mehr, ist dieser Weg zu Ende.

STANDARD: Die Flüchtlingsinitiative wurde schon von Häupl getragen.

Vassilakou: In der Asylfrage braucht es uns beide. Die SPÖ mit dem Vorstoß, Kinder aus Traiskirchen zu holen, die Grünen, die Tag und Nacht an den Bahnhöfen Flüchtlinge betreuen. Und das alles als Selbstverständlichkeit. Auch das ist Ergebnis gemeinsamer Regierungsarbeit. Würden die Grünen nicht mehr regieren und an ihrer Stelle die ÖVP, dann hätte Häupl eine Mikl-Leitner in Wien, die alles blockiert.

STANDARD: Sie werben für Rot-Grün, prangern aber rote Missstände an. Wird das hohe Inseratenvolumen mit den Grünen gekürzt?

Vassilakou: Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich damit unglücklich bin. Die Publizistikförderung und Inseratenschaltungen müssen streng auseinandergehalten werden. In diesem Bereich war die SPÖ aber keinen Millimeter zu bewegen. Bei den Auslandsbüros waren wir erfolgreich. Der Vertrag wird dank unseres Widerstands nicht verlängert.

STANDARD: Wie hoch ist bei den Inseraten das Einsparungspotenzial?

Vassilakou: Beträchtlich. Es wird davon geredet, dass man das Inseratenvolumen halbieren könnte. Wichtiger erscheint mir, einen großzügigen Beitrag für die Publizistikförderung zu reservieren, für Qualitätsmedien ist das eine Überlebensfrage. Die Inserate der Stadt sowie aller stadtnahen Unternehmen müssen transparent vergeben werden. Ich glaube, dass das zu einer ordentlichen Reduktion um Millionen von Euro führt.

STANDARD: Dem Millionenvertrag mit dem Bohmann Verlag für Eigenwerbung der Stadt haben die Grünen zugestimmt. Warum?

Vassilakou: Wenn man eine einstimmig durch den Gemeinderat beschlossene Ausschreibung hat und es gibt nur einen Bewerber, wird es schwer, die Zustimmung zu verweigern. Aber ja, das liegt mir noch schwer im Magen.

STANDARD: Täuscht das Gefühl oder ist Ihre Beziehung mit Bürgermeister Häupl abgekühlt?

Vassilakou: Die Beziehung hat sich überhaupt nicht verändert. Der Bürgermeister und ich haben eine gute Gesprächsbasis. Wir hatten nie einen Richtungskonflikt in der Asylfrage, bei sozialen Themen oder beim sozialen Wohnbau. Wir haben immer einen respektvollen, amikalen Umgang gepflegt. Mehr braucht es nicht, um gemeinsam zu regieren. Die ganzen Ehefantasien … Mein Gott, wir sind eine kleine Stadt, und ein bisschen Tratsch braucht’s anscheinend.

STANDARD: Muss sich die SPÖ nach der Wahl nach einem Dreiergespann umsehen?

Vassilakou: Das kann ich ausschließen. Rot-Grün hat am Wahlabend die Mehrheit. Am 11. Oktober dreht sich alles um eine Frage: Rot-Grün oder Rot-Schwarz. Alle anderen Konstellationen mit der FPÖ sind unrealistisch.

STANDARD: Die SPÖ will den Lückenschluss des Autobahnrings inklusive Lobautunnel. Wird es mit den Grünen das Projekt geben?

Vassilakou: Ein Tunnel durch den Nationalpark ist ökologisch nicht vertretbar. Es wird unsere Zustimmung nicht geben.

STANDARD: Könnte sich die SPÖ deswegen für die ÖVP entscheiden?

Vassilakou: Nicht deswegen, da gibt es Wichtigeres. Sofern es zum Thema wird, eignet sich zu einer Entscheidung eine Volksbefragung ausgezeichnet.

STANDARD: Der Rechnungshof hat die hohen Kosten der 2011 gegründeten Mobilitätsagentur kritisiert. Bis 2020 kostet sie weitere 13 Millionen Euro. Ist so viel Geld nötig?

Vassilakou: Es ist gelungen, beim Radverkehr innerhalb von vier Jahren eine höhere Zuwachsrate zu erreichen, als die SPÖ im Jahrzehnt davor erreichte. Die Veränderung des Verkehrsaufkommens in einer wachsenden Stadt ist harte Arbeit: Die Verschiebung um zwei Prozentpunkte ist eine kleine Sensation.

STANDARD: Vor der Wahl haben Sie die Reduzierung des Autoverkehrs um ein Drittel versprochen. Das ist noch nicht umgesetzt.

Vassilakou: Natürlich gilt die Vision weiterhin, sie ist mittlerweile auch Teil der offiziellen Stadtstrategie. Wir haben es geschafft, die Nutzung der Öffis mit der Jahreskarte praktisch über Nacht auf 39 Prozent zu steigern. In Wien hat jeder Zweite eine günstige Jahreskarte. Also ja, es ist machbar.

STANDARD: Die Grünen wollen eine Kindergartenplatzgarantie für Kinder ab zwei Jahren. Wie viele zusätzliche Plätze braucht es dafür?

Vassilakou: Wir brauchen 10.000 neue Plätze. Wir rechnen mit zusätzlichen zwölf Millionen Euro Kosten pro Jahr. Das liegt im Rahmen dessen, was sich Wien leisten kann, sofern wir aus anderen Bereichen Mittel umschichten.

STANDARD: Gibt es den Bedarf für so viele zusätzliche Plätze?

Vassilakou: Das ist eine abstruse Debatte, um zu kaschieren, dass man nicht genügend Plätze anbietet. Wir haben bei Über-Dreijährigen eine 100-prozentige Versorgung. Bei den Jüngeren aber nur 43 Prozent. In einer Stadt wie Wien, in der jeder zweite Taferlklassler eine andere Muttersprache als Deutsch hat, ist es wesentlich, dass alle Kinder ab dem zweiten Lebensjahr in Betreuung sind.In 20 Jahren Politik bin ich nur wenigen Menschen begegnet, die ihr Kind nicht in den Kindergarten geben wollten. Wenn wir Plätze schaffen, werden sie auch angenommen. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 8.9.2015)