Wenn in Stuttgart am Abend der Stromverbrauch steigt, dann werden die Ventile am Silvretta-Stausee geöffnet, damit Wasser in einen der tiefer gelegenen Seen strömt. Das riesige Speicherkraftwerk auf der Passhöhe zwischen dem Vorarlberger Montafon und dem Tiroler Paznauntal versorgt den gesamten süddeutschen Raum mit Spitzenstrom.

Der Bau der Stauseen, Röhrensysteme und Turbinenwerke, der in der Ersten Republik begann und nach dem Krieg vollendet wurde, hat eine idyllische Hochgebirgslandschaft in eine seltsame Mischung aus Natur und Technik verwandelt. Ernest Hemingway, der dort in den 1920er-Jahren mehrere Winter auf Skitouren ging, kehrte später nie wieder zurück, weil er über die Verschandelung seiner unberührten Bergwelt so empört war.

Auf der Silvretta-Skisafari gibt es zwar keine Tiere, dafür aber einen Pistenbully, der Skifahrer ins Paznauntal zieht.
Foto: Silvretta Bielerhöhe

Man kann es dem großen amerikanischen Schriftsteller zwar nicht verübeln, muss ihm aber nicht folgen. Denn ein Aufenthalt auf der Bielerhöhe ist heute ein mehrfach spannendes Erlebnis und bietet neben einer höchst ungewöhnlichen Auffahrt und einem prachtvollen Panorama auch zahlreiche sportliche Möglichkeiten für Langläufer, Skitourengeher und Skifahrer.

Fahrt wie bei Indiana Jones

Die Silvretta-Hochalpenstraße, im Sommer eine beliebte Touristenattraktion, ist im Winter gesperrt;_wer zu dem auf 2.000 Meter Seehöhe gelegenen Pass gelangen will, muss zuerst in Partenen, dem letzten Ort im Montafon, das Kraftwerksgelände betreten und dort die Vermunt-Seilbahn besteigen. Sie schwebt oberhalb von Röhren und der Europatreppe, wo im Sommer ein besonders hartes Rennen über 4.000 Stiegen stattfindet. An der Bergstation warten zwei Kleinbusse, die vollgepfercht mit Wintersportlern durch ein kilometerlanges, enges Tunnelsystem rasen, das aus einem Indiana-Jones-Film stammen könnte. Die grob in den Fels gehauenen Wände scheinen das Fahrzeug fast zu berühren, in den Kurven hält so mancher Passagier den Atem an.

Wieder im Freien geht es in Serpentinen vom kleineren Vermunt- hinauf zum Silvretta-Stausee, der die Bielerhöhe beherrscht. Oberhalb des Ufers stehen zwei gut ausgestattete Hotels mit Blick auf Dutzende schneebedeckte 3.000er-Gipfel der Silvretta, wo man auch seinen gesamten Urlaub verbringen kann. Die meisten Gäste aber kommen nur für den Tag.

Skifahren
Foto: Silvretta Bielerhöhe

Die Passhöhe bietet etwa 21 Kilometer Langlaufloipen, die zum Teil auch über den zugefrorenen Stausee führen – vorausgesetzt, die Eisdecke ist dick genug. Eine landschaftlich besonders reizvolle Loipe führt auch bis nach Galtür im benachbarten Paznauntal.

Dieser Weg steht auch Skifahrern offen, doch müssen sie dafür ein ungewöhnliches Hilfsmittel nutzen. Weil ein Teil der Strecke kein Gefälle hat, wartet mehrmals am Tag ein Pistenbully mit einem langen Seil an einer Stelle, von dem sich bis zu 50 Skifahrer auf einmal nach Galtür ziehen lassen können.

Als "Silvretta-Skisafari" wird der Ausflug den Gästen im Montafon angeboten und kostet für jeden mit gültigem Skipass 18,50 Euro extra. Dafür kann man auch die Skilifte in Galtür, der kleinen und stillen Schwester des lauten Ischgl, nutzen.

Hinter dem Pistenbully

Für die Rückfahrt nach Vorarlberg steht ebenfalls wieder ein Pistenbully bereit, der die Skifahrer bergauf Richtung Kops-Stausee zieht;_den letzten Treffpunkt um 14:30 Uhr sollte man keinesfalls versäumen. Vom Zeinisjoch führt dann ein Ziehweg durch das bewaldete Ganifertal zurück nach Partenen. Für die Rundfahrt, die auch von Galtür aus angeboten wird, braucht man weder viel Technik noch Kondition, aber Liebe zur Bergidylle.

Seit Jahren schon wird über zwei Bahnen nachgedacht, die das Montafon mit Galtür verbinden. Das würde zwar die Pistenkilometer, die Gästen zur Verfügung stehen, vermehren, aber um die Pistenbullys wäre es schade.

Winterwandern
Foto: Silvretta Bielerhöhe

Der schönste, aber auch anstrengendste Weg, die Silvretta zu erleben, ist eine Skitour, für die es auf der Bielerhöhe unzählige Möglichkeiten in allen Schwierigkeitsgraden gibt. Unsere Route führte uns nach drei Stunden meist sanftem Aufstieg durch das Bieltal auf die Getschnerscharte auf rund 2.800 Meter Seehöhe. Von den Staumauern und anderen Zeichen der Zivilisation war bald nichts mehr zu sehen, die meiste Zeit waren wir auf Augenhöhe mit dem Piz Buin und anderen 3.000ern. Man könnte Wochen auf der Bielerhöhe verbringen und täglich eine andere Tour entdecken.

Und wenn genügend Schnee liegt, kann man über die gesperrte Straße ins Tal gleiten und muss kein zweites Mal die Höllenfahrt durch den Vermunt-Tunnel über sich ergehen lassen. (Eric Frey, 10.2.2016)