Michael Kogler hat zehn ORF-Jahresberichte analysiert und bringt nun Licht in die Krimi-Dichte des Hauptabendprogramms des ORF. Hier im Bild: Soko Donau.

Foto: ORF / Miguel Dieterich

Wien – Noch eine Woche hat der ORF Zeit, dem Kanzleramt und dem Nationalrat zu berichten, wie er 2015 seinen Auftrag erfüllt hat. Einer der wichtigsten Rundfunkrechtler des Landes hat gerade die zehn ORF-Jahresberichte davor zerpflückt.

Alle Jahre wieder muss der ORF Bericht legen, wie seine Programme den Vorgaben des ORF-Gesetzes gerecht wurden. Der ORF bekommt schließlich an die 600 Millionen Euro aus Rundfunkgebühren, um seine vom Gesetz definierten Aufträge zu erfüllen. Nur dafür darf der ORF laut EU-Wettbewerbsrecht staatliche Beihilfen – die Gebühren – kassieren.

Der ORF-Auftrag ist ziemlich breit definiert: Von relativ konkreten Vorgaben wie der "Information über die Bedeutung, Funktion und Aufgaben des Bundesstaates sowie die Förderung der regionalen Identitäten der Bundesländer" bis zur eher schwammigen Aufgabe "Darbietung von Unterhaltung".

Anspruch

Aber das Gesetz wird doch noch etwas fordernder: "Jedenfalls in den Hauptabendprogrammen (20 bis 22 Uhr)" muss das ORF-Fernsehen "in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl" anbieten. Und: "Im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern ist in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks zu achten."

Den Anspruch im Hauptabendprogramm versucht der ORF in seinen Jahresberichten mit zwei von ihm gewählten Musterwochen nachzuweisen. Die Betonung liegt hier auf "versucht", folgt man Rundfunkrechtler Michael Kogler, im Hauptberuf stellvertretender Leiter der Medienabteilung im Kanzleramt, zuständig für die profunde Formulierung von Mediengesetzen – soweit es die Politik und mediale Sozialpartner zulassen. Im Journal für Rechtspolitik hat er Ende 2015 zehn Jahresberichte analysiert – und gründlich zerlegt.

Krimi-Dichte

Hoch ist meist die Krimi-Dichte in den ORF-Musterwochen. Doch der renommierte Rundfunkrechtler erkennt nicht, warum sie alle für Anspruch im Hauptabendprogramm stehen sollten: "Der ORF hat sich zwar in den Jahresberichten stets redlich bemüht, bei diesen Soko den Anspruch noch zusätzlich wortreich zu begründen, es überzeugt trotzdem nicht, dass diese wegen der 'Förderung der österreichischen Identität' und der 'österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion' anspruchsvolle Unterhaltung darstellen sollen." Kogler wundert sich auch, "dass es dem ORF unter 52 Kalenderwochen nicht gelingt, zwei Wochen mit einer größeren Anzahl eindeutiger Belege aus verschiedenen Sendungskategorien ausfindig zu machen".

Als Beleg für Anspruch führt der ORF immer wieder gerne US-Kaufserien von "Monk" bis "The Dome" an, und erklärt das mit Auszeichnungen (Preisen, Kritiken) für diese Serien. In allen vom ORF genannten Serien ist laut Kogler "zu hinterfragen", ob das als Ausweis für Anspruch ausreicht.

Die "Millionenshow" führte der ORF ebenfalls als Beispiel in seinen Musterwochen an – weil sie zur Bildung anrege. "Worin bei der Millionenshow der anspruchsvolle Mehrwert läge, lässt sich hinterfragen."

"Thema" oder "Report" lapidar mit der Erklärung "Informationssendung" anzuführen, ist Rundfunkrechtler Kogler ebenso schlicht zu wenig: "Der nüchterne Kommentar, dass es sich bei einer Sendung um eine 'Informationssendung' handelt, ist für die Begründung eines spezifischen Anspruchs etwas dürftig."

Anregung zu sportlicher Betätigung

Fußballsendungen von Bundesliga bis Champions League etwa nennt der ORF häufig als Nachweise für Anspruch im Programm – weil sie zu "aktiver sportlicher Betätigung" anregten, wie das Gesetz fordert. Das Argument "überzeugt" Kogler "nicht". Aus den vom ORF selbst gewählten Musterwochen 2013 und 2014 etwa rechnet Kogler hoch, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk "wenigstens alle zwei Tage" anspruchsvolle Sendungen im Hauptabend zeigt.

Aber, immerhin, Kogler findet auch Positivbeispiele in den zehn analysierten Jahresberichten: "Selbstverständlich lassen sich den 24 Musterwochen der bisherigen Jahresberichte zahlreiche Beispiele entnehmen, die im Lichte der kritischen Augen und Ohren des durchschnittlichen Fernsehpublikums ohne größere Zweifel 'anspruchsvoll' sind." Gewiss auch im nächsten Jahresbericht, der bis 1. April 2016 im Kanzleramt liegen muss. (fid, 23.3.2016)