Ein Windrad, das sich nicht dreht und keinen Lärm erzeugt: Das Konzept des "Dutch Windwheel" ist ohne Zweifel eindrucksvoll. Ob es auch funktioniert, wird sich noch zeigen.

Foto: DWW

Ebenso Teil des Plans: eine Aussichtsplattform über der Neuen Maas.

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Rotterdam – Das kleine Kanaldörfchen Kinderdijk zählt zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Niederlande. 400.000 Touristen aus aller Welt schauen sich die 19 Unesco-geschützten Windmühlen, die Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurden, jedes Jahr an. "Die Windmühlen in Kinderdijk sind ein Teil unserer nationalen Identität", sagt Duzan Doepel vom Rotterdamer Architekturbüro Doepel Strijkers. "Und doch scheint es, als wäre dieses Kulturgut in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten. Ich finde es schade, dass es in Holland kein einziges aktuelles Bauwerk gibt, das an diese jahrhundertealte Tradition anknüpft."

Das könnte sich in den nächsten zehn Jahren ändern. Geht es nach Doepel und dem niederländischen Investor und Projektentwickler Bloc, soll im Rotterdamer Merwe-Vier-Hafen, nur 15 Bootsminuten von Kinderdijk entfernt, bis 2025 das sogenannte Dutch Windwheel entstehen.

Das 174 Meter hohe, ringförmige Hochhaus an der Neuen Maas, an dem sich bereits die Technische Universität Delft und etliche nationale und internationale Forschungseinrichtungen die Zähne ausbeißen, soll als ökologisches Kraftwerk mehr Energie produzieren als verbrauchen. Eine wichtige Rolle in der Energiegewinnung spielt tatsächlich – der Wind. "Normalerweise besteht ein Windrad aus einem festen und einem rotierenden Bauteil, ganz gleich, ob es sich um eine historische Windmühle oder um ein modernes Hochleistungswindrad handelt", sagt Doepel. "Unsere Idee jedoch ist, das Windrad ohne bewegliche Bauteile zu bauen. Das hat den Vorteil, dass das Rad aufgrund der fehlenden Mechanik keinen Lärm und keine Körpervibrationen erzeugt." Auf diese Weise, so Doepel, sei es möglich, das Windrad auch in städtischen Wohngebieten aufzustellen.

Physikalischer Idealismus

Die Technologie, die sich dahinter verbirgt, wurde an der TU Delft entwickelt und unter dem Begriff Ewicon (Electrostatic Wind Energy Converter) patentiert. Dabei wird innerhalb des Windrads ein isoliertes elektrisches Feld aufgebaut und mit feinem Wasserdampf besprüht. Die positiv aufgeladenen H2O-Partikel werden vom Wind verdrängt und hinterlassen im System eine negative Spannung, die gespeichert oder direkt ins Netz gespeist werden kann.

"Normalerweise benötigen wir für so ein System zwei Elektroden, also zwei voneinander getrennte Komponenten", sagt Piotr Pukala, Business Developer am Energy Research Centre of the Netherlands (ECN), der die Technologie in Zusammenarbeit mit der TU Delft nun weiterentwickelt. "Durch die komplette Isolierung des Aggregats können wir die Technologie auf eine Komponente reduzieren, die in Form von wasserführenden, mit feinen Düsen versehenen Stahlseilen wie ein lineares Geflecht quer durch den Hohlraum des Rings gespannt wird."

Das Ganze befindet sich in einer Anordnung, die ein bisschen an einen vertikal aufgestellten, überdimensionalen Eierschneider erinnert – in Summe klingt das nach physikalischem Idealismus. Und in der Tat gibt es an der Technologie einen ziemlich kleinen Haken, mit dem sich Ewicon als ziemlich riesengroßer Flop herausstellen könnte: "Es gibt bereits einen Prototypen, der unter Laborbedingungen mit einem Wirkungsgrad von zwei Prozent funktioniert", sagt Pukala. "Allerdings misst diese Versuchsanordnung genau einen Quadratmeter."

Erst Ende Jänner fanden sich für das Projekt, an dem seit Ende 2014 gearbeitet wird, etliche Sponsoren und Forschungseinrichtungen, die dazu beitragen möchten, erstens die Versuchsanordnung sukzessive zu vergrößern und zweitens den Wirkungsgrad zu steigern. Mit an Bord sind neben ECN etwa die beiden niederländischen Forschungsinstitute TNO und Deltares sowie die multinationalen Konzerne Evides, Siemens und Huawei. Angepeilt ist ein Wirkungsgrad von rund zehn Prozent, was in etwa dem von einfachen Fotovoltaik-Dünnschichtmodulen entspricht. Zum Vergleich: Windräder mit herkömmlichen Rotorblättern haben einen praktischen Wirkungsgrad von 40 bis 50 Prozent.

"Der Transfer der Ewicon-Technologie aus den Laborbedingungen in die Realität und die Vergrößerung der Anlage um einige tausend Prozent ist die mit Abstand größte Herausforderung bei der Entwicklung des Dutch Windwheel", sagt Projektinitiator Duzan Doepel. "Und ja, es könnte sein, dass wir damit scheitern, denn wir nehmen uns wirklich viel vor. Jedenfalls müssen wir sehr antizipativ planen, weil wir mit Technologien und Komponenten arbeiten, die wahrscheinlich erst in sieben oder acht Jahren auf den Markt kommen." Ein kurzer Seufzer geht über den Schreibtisch. "Wenn überhaupt."

Zudem soll der Hochhausring, der neben Wohnungen, Büros, einem Hotel und Veranstaltungsflächen auch über eine Aussichtsplattform verfügen soll, mit 30.000 Quadratmetern Fotovoltaik ausgestattet werden. Geplant ist außerdem der Einsatz von Biomasse, Tiefenspeicherung von Kälte und Wärme, Regenwassernutzung, Trinkwasseraufbereitung von verbrauchtem Wasser sowie sogenannte Blue Energy. "Wir haben das Glück, dass die Neue Maas im Bereich des Hafens sowohl Süß- als auch Salzwasser beinhaltet", sagt Lucas Janssen, Department-Leiter bei Deltares. "Daraus können wir auch Energie gewinnen."

Strom für 1000 Haushalte

Unterm Strich soll das Dutch Windwheel rund 1000 Haushalte mit Strom versorgen können. Wenn denn alles klappt. Und wenn nicht ausgerechnet die Naturschützer gegen das Projekt aufbegehren, denn schon jetzt gibt es Bedenken, dass sich der große Eierschneider im Merwe-Vier- Hafen als verheerende Vogelfalle herausstellen könnte. "Probleme und Herausforderungen gibt es viele", sagt Architekt Doepel. "Aber das hindert uns nicht daran, den Rand des Machbaren auszutesten. Ich nenne das Vision."

Und die kostet. "Mit EU-Fördergeldern und Investments der Firmen müssen wir für das Projekt rund 40 bis 50 Millionen Euro auf die Beine stellen" , rechnet Lennart Graaff, Partner beim Immobilien-Developer Bloc, vor. "Weitere 300 bis 500 Millionen Euro werden wir brauchen, um das Dutch Windwheel Realität werden zu lassen." Ein großer Hoffnungsträger sind die Gelder für die Expo 2025 – für den Fall, dass die Stadt Rotterdam, die sich für die Weltausstellung beworben hat, tatsächlich den Zuschlag erhält.

"Ich vergleiche das Dutch Windwheel mit einem Tesla", sagt Graaff zum Abschluss. "Alle sprechen von einer Reichweite von 200 Kilometern. Doch der Tesla schafft als einziger Elektro-Pkw weltweit 800 Kilometer. Das ist unser Vorbild." Sollte es nicht klappen, stehen New York, Miami, Las Vegas, Dubai und die Casinometropole Macau bereits Schlange. Die bieten für das Copyright große Summen und würden das Projekt auch ohne Ewicon-Windbrimborium realisieren. (Wojciech Czaja, 30.3.2016)