"An Parkinson selbst stirbt niemand, vielmehr führt die Inaktivität dazu, dass Lungenentzündungen oder Embolien auftreten. Deshalb ist Bewegung, solange sie möglich ist, auch so wichtig", sagt Neurologe Willibald Gerschlager.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Am 11. April ist Weltparkinsontag. Was geschieht bei dieser Erkrankung?

Gerschlager: Bei Parkinson kommt es zu einem langsamen Absterben der Dopamin produzierenden Zellen. Das macht sich in motorischen Symptomen der Erkrankung spürbar, etwa Zittern, eine Verlangsamung der Bewegungsabläufe oder Muskelsteifigkeit. Der Dopaminmangel ist aber nur die halbe Wahrheit, denn auch Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin spielen eine Rolle. Wir wissen bis heute leider noch nicht, wodurch die Erkrankung ausgelöst wird.

STANDARD: Derzeit wird eine Verbindung zwischen Darm, Hirn und Immunsystem vermutet. Was halten Sie davon?

Gerschlager: Es stimmt, dass es derzeit viele neue Hypothesen zur Entstehung der Erkrankung gibt. Es wird auch diskutiert, inwiefern exogene Faktoren wie etwa bestimmte Viruserkrankungen eine Rolle spielen könnten. Auch die Tatsache, dass Patienten mit durchtrenntem Vagusnerv (eine frühere Behandlungsmethode für Zwölffingerdarmgeschwüre) weniger oft Parkinson entwickeln, wird diskutiert. Es ist eine Art indirekte Evidenz.

STANDARD: Was bringen diese Ergebnisse derzeit Patienten?

Gerschlager: Auf neue Therapieformen werden wir sicherlich noch warten müssen. Denn die Ursache für Parkinson ist weiterhin unklar. Dass Morbus Parkinson nicht auf das Gehirn beschränkt ist, sehen wir auch heute schon an den Symptomen.

STANDARD: Am Zittern?

Gerschlager: Anfang des 19. Jahrhunderts, als James Parkinson die Symptome des Zitterns erstmals detailliert beschrieb, galt sie als rein motorische Erkrankung, erst später wurden nicht-motorische Symptome wie Verstopfung, Blasenstörungen, aber auch Angst und Depression beschrieben. Morbus Parkinson verläuft in verschiedenen Phasen. Wir denken, dass das Zittern erst in einem bestimmten Stadium der Erkrankung auftritt, es aber schon vorher eine ganze Reihe anderer Symptome gibt.

STANDARD: Was sind frühe Symptome?

Gerschlager: Die frühen Symptome sind leider unspezifisch und von Patient zu Patient unterschiedlich. Viele leiden auffällig häufig an Verstopfung, oft ist der Geschmacks- und Geruchssinn irritiert. Der Schlaf kann beeinträchtigt sein, Patienten erleben quälende Alpträume, werden verfolgt, müssen gegen Angreifer kämpfen. Dabei werden diese Träume ausagiert. Betroffene schlagen um sich oder fallen aus dem Bett. Auch Schmerz ist ein Thema.

STANDARD: Parkinson tut weh?

Gerschlager: Unspezifischer Schmerz kann ein Frühsymptom sein. Zum Teil kommt er sicherlich durch die Muskelsteifigkeit zustande, die zu Verspannungen und damit Schmerz führt. Auch psychische Probleme beschäftigen uns: Depression und Panikattacken sind nicht selten.

STANDARD: Könnte man Parkinson in den Genen erkennen?

Gerschlager: Die genetische Erforschung ist ein Work in Progress. In den letzten Jahren wurden verschiedene Mutationen beschrieben, die mit einem Risiko einhergehen können. Gerade bei jungen Parkinsonpatienten zwischen 40 und 50 findet man häufiger auch genetische Ursachen. Die Mehrheit der Patienten bekommt die Erkrankung um das 60. Lebensjahr. Die Erkrankung ist altersassoziiert. Je älter, umso häufiger tritt Parkinson auf.

STANDARD: Wäre Früherkennung wichtig?

Gerschlager: Insofern, als dass sich die Erkenntnis durchsetzt: Je früher der Behandlungsbeginn, umso besser lässt sich der Verlauf vermutlich beeinflussen.

STANDARD: Lässt das den Schluss zu, dass es verschiedene Formen von Parkinson geben könnte?

Gerschlager: Patienten, die jung erkranken, sind viel seltener. Wir gehen von einer anderen Genese aus. Symptome und Krankheitsverlauf sind individuell unterschiedlich.

STANDARD: Wie wird behandelt?

Gerschlager: Mit Medikamenten, die den Dopaminmangel ausgleichen. Entweder mit Dopamin selbst, das als Levodopa eingenommen wird oder mit so genannten Dopaminagonisten. Dadurch verbessern sich die motorischen Symptome in den meisten Fällen sehr schnell. Wir müssen da aber oft eine Portion Überzeugungsarbeit leisten, denn in vielen Patienten ist das "weniger ist besser" tief verankert. Auch die Angst, hohe Dosierungen könnten langfristig schlecht sein, weil die Wirkung dann auch schneller nachlässt, ist eine falsche Meinung.

STANDARD: Wie lange wirkt das?

Gerschlager: Die Wirkung bleibt eigentlich über den gesamten Krankheitsverlauf erhalten. Im fortgeschrittenen Stadium treten Symptome auf, auf die dopaminerge Medikamente wenig Einfluss haben. Doch die Krankheitsverläufe sind unterschiedlich. Patienten, die gut eingestellt sind, können relativ normal weiterleben. Der Schauspieler Michael J. Fox hat das gezeigt. Er hat viele Jahre lang trotz Parkinson Filme gemacht. Ottfried Fischer, der Bulle von Tölz, hat aus seiner Bewegungsstörung, also diesem eher starren Blick und der Unbeweglichkeit, fast ein Markenzeichen gemacht. Das Behandlungsziel in frühen Phasen ist es, einen weitgehend normalen Alltag zu ermöglichen.

STANDARD: Gelingt es?

Gerschlager: Die richtige Dosierung ist manchmal eine Herausforderung. Es geht darum, Nebenwirkungen wie Schwindel oder Benommenheit möglichst gering zu halten. Wenn die Bewegungsstörungen durch die dopaminerge Therapie nicht beherrschbar sind, gibt es die Möglichkeit, die Medikamente über eine Sonde beziehungsweise eine Pumpe direkt in den Dünndarm einzubringen. Der Dopaminspiegel schwankt im Laufe des Tages, die Pumpe ist flexibler als die orale Therapie. Auch die tiefe Hirnstimulation hat sich gut etabliert. Sie ist für all jene eine Option, bei denen die Dopamintherapie nicht ausreichend zufriedenstellend wirkt.

STANDARD: Beeinflusst der Lebensstil die Krankheit?

Gerschlager: Parkinsonpatienten tendieren dazu, sich zurückzuziehen. Doch wir sehen immer deutlicher, dass es darum geht, Inaktivität zu vermeiden. Bewegung ist ein wesentlicher Eckpfeiler der Therapie.

STANDARD: Das fällt vielen wahrscheinlich nicht einfach.

Gerschlager: Ja, das ist eine Hürde. Doch gerade Ausdauersportarten wie zum Beispiel Laufen oder Nordic Walking wären wichtig. Da gibt es Untersuchungen, die zeigen, wie effizient das für das für den Verlauf der Erkrankung wäre. Viele Patienten entdecken das Tanzen, konkret das Tangotanzen, das über die Selbsthilfe organisiert ist. Musik hilft, den Rhythmus zu finden, dadurch fallen Bewegungsabläufe wieder leichter. Auch Tischtennis und Boxtrainings haben sich durch die teilweise reptititven Bewegungen als effektiv herausgestellt. Sport aktiviert viele unterschiedliche Hirnareale und wirkt wie ein Antidepressivum, die spielerische und soziale Komponente tut Patienten gut.

STANDARD: Kann man die Erkrankung besiegen?

Gerschlager: Nein, leider schreitet die Erkrankung voran. In späten Stadien sind oft auch die kognitiven Fähigkeiten betroffen, das strategische Denken ist beeinflusst, Patienten versinken in ihren Gedanken, Konzentration und Aufmerksamkeit werden schlechter, eine sogenannte Parkinsondemenz kann auftreten. Doch an Parkinson selbst stirbt niemand, vielmehr führt dann die Inaktivität dazu, dass Lungenentzündungen oder Embolien auftreten. Deshalb ist Bewegung, solange sie möglich ist, auch so wichtig. (Karin Pollack, 11.4.2016)