Die Marktanteile von Ö3 und ORF-Regionalradios wurden raufgeschrieben.

Foto: Ö3

Wien – Die Radiotest-Manipulationen durch das Marktforschungsinstitut GfK könnten in den vergangenen fünf Jahren einen Schaden von bis zu 20 Millionen Euro verursacht haben. Nutznießer der Verfälschungen war offenbar der ORF. Während die Daten von Privatsendern teils massiv downgegradet wurden, sollen viele Zahlen des ORF geschönt worden sein. Das sind die ersten Ergebnisse einer derzeit laufenden Überprüfung. Wie berichtet, wurden vor zehn Tagen Erhebungsfehler beim Radiotest publik. Jetzt kommt auch das Ausmaß ans Licht. Der Geschäftsführer von GfK, Alexander Zeh, ist bereits zurückgetreten. Dementiert wird allerdings, dass es einen Zusammenhang mit den Manipulationen gibt.

"Es gibt jeden Tag mehr Erkenntnisse, und es steht inzwischen fest, dass die kommerziellen Radioangebote des ORF, insbesondere Ö3, aber auch die Regionalradios österreichweit hinaufgeschrieben wurden", berichtet Ernst Swoboda, Geschäftsführer von Kronehit und seit dieser Woche Vorsitzender des Verbands der Privatsender (VÖP), im Gespräch mit der APA. "Die ORF-Sender wurden mit höheren Werten ausgewiesen, die Privaten dafür mit niedrigeren."

38 statt 41 Prozent Marktanteil für Ö3

So wies GfK im ersten Halbjahr 2015 in der werberelevanten Zielgruppe (14 bis 49 Jahre) für Ö3 41 Prozent Marktanteil aus, tatsächlich waren es nach Prüfung der manipulierten Daten nur 38 Prozent. Für den ORF insgesamt wurden 64 Prozent ausgewiesen, der wahre Wert lag bei 60 Prozent. Der private Vermarktungsring RMS Top wurde im Gegenzug mit 33 statt 36 Prozent Marktanteil ausgewiesen. In einzelnen Bundesländern waren die Manipulationen durch GfK offenbar noch gravierender. In der Steiermark wurde die Antenne Steiermark von 31 auf 24 Prozent Marktanteil hinuntergestuft, in Vorarlberg die Plätze von Antenne Vorarlberg und Ö3 einfach umgedreht.

"Steiermark und Vorarlberg sind die zwei schlimmsten Bundesländer, wo die führenden Regionalsender massiv runtergeschrieben worden sind und dafür die ORF-Sender massiv in die Höhe", so Swoboda. "In der Steiermark wären Ö3 und Antenne Kopf an Kopf gewesen, ausgewiesen wurde Ö3 mit Riesenvorsprung. In Vorarlberg war die Antenne weit vor Ö3, im Ausweis war es genau umgekehrt. Das sind die Daten 2015, und wir haben die Information, dass es 2014 und die Jahre davor für die Privaten schlimmer war."

100 Millionen Euro Werbevolumen

Das Werbevolumen auf dem österreichischen Radiomarkt beträgt etwa 100 Millionen Euro, ein Prozent Marktanteil macht demnach eine Million Euro aus. Allein 2015 könnten also drei bis vier Millionen beim ORF statt bei den Privatsendern gelandet sein. Nach bisherigen Informationen sollen die Manipulationen zumindest bis ins Jahr 2011 zurückreichen. Swoboda: "Ich schätze, das Volumen wird irgendwo bei 15 bis 20 Millionen sein, um das die Privatsender geschnalzen worden sind und die der ORF zu viel bekommen hat."

"Ging über viele Jahre, ganz systematisch"

Die Motive für die Manipulationen sind nach wie vor unklar. "Bei dieser Dimension fehlt mir momentan jede Erklärung. Klar ist, das ist bis in die Führungsspitze der GfK Österreich bekannt gewesen. Das ging über viele Jahre, ganz systematisch. Es gibt bis dato keinen objektivierbaren Anhaltspunkt, dass der ORF etwas davon gewusst hätte", sagt der VÖP-Vorsitzende. Er vermutet, dass GfK dem ORF einfach Gutes tun wollte, weil es von dort immer wieder Aufträge für Erhebungen gab. "Solche Fälle orten wir in letzter Zeit verstärkt", so Swoboda. "Ich habe Indizien dafür, dass das auch bei den Verwertungsgesellschaften passiert. Dort scheint es so zu sein, dass auch die Privaten diskriminiert werden und der ORF bevorzugt behandelt wird. Wobei, dort geht es nicht um kriminelle Machenschaften, sondern um Verträge, die anders ausgelegt sind."

Schadenersatzforderungen

Die Privatsender wollen nun die Werbegelder für die nicht ausgewiesenen Marktanteile zurückhaben. "Wir werden selbstverständlich Schadenersatz fordern. Primär von der GfK, aber ich lasse auch gerade prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, sich das direkt vom ORF zu holen. Der ORF hat unsere privaten Kontakte, Leistungen verkauft, und daher hätten wir gerne, was er als Kaufpreis dafür bekommen hat. Das ist ein ganz simpler zivilrechtlicher Zugang", sagt Swoboda. In der Juristensprache ist von einem ungerechtfertigten Verwendungsanspruch durch den ORF die Rede. Dieser gilt unabhängig von der Schuldfrage. "Darüber werden wir mit dem ORF reden müssen – und vielleicht nicht nur reden."

ORF meldet Zweifel an

Der ORF meldete unterdessen Zweifel an den neuen Daten von GfK an: "Auch der nun vorliegende Datenbestand lässt erhebliche Zweifel offen, ob die nun auch korrigierten Werte die Marktverhältnisse korrekt abbilden. Da sie aber ohne Alternative sind, wird der ORF vorerst auf Basis dieser Daten seine Sender vermarkten. Darüber hinaus werden ausnahmsweise auch die Daten des ersten Quartals 2016 veröffentlicht." Ein Revisionskomitee soll nun die Datenreihen der Jahre 2011 bis 2015 überprüfen. Diese sollen in etwa sechs Monaten vorliegen.

Foto: Radiotest

Update

Am Abend veröffentlichte der ORF Zahlen, die belegen sollen, dass die Manipulationen auch zulasten von ORF-Radios in bestimmten Zielgruppen gingen. So etwa beim Marktanteil von Radio Wien (14 statt 13 Prozent), Radio Burgenland (40 statt 39), Ö3 in Salzburg (33 statt 32) oder Ö3 in Tirol (32 statt 31) (alle Zahlen 2. Halbjahr, Zielgruppe zehn Jahre und älter). In der jungen Zielgruppe (14 bis 49) sei der Marktanteil von Ö3 in Tirol im 2. Halbjahr 2015 um drei Punkte geringer ausgewiesen worden (43 statt 40). In einer Aussendung heißt es: "Die heute von der APA publizierten Daten sind nicht auditierte Daten, und der ORF bezweifelt, dass sie den Markt korrekt abbilden."

"Völlig unverständlich" nannte der ORF zuvor die "Entgleisung" Swobodas, der den Schaden auf 15 bis 20 Millionen Euro geschätzt und entsprechende Forderungen an GfK und ORF angekündigt hatte. "Die Skandalisierung durch Swoboda dient jedenfalls nicht dem Ziel, das Vertrauen im Markt zurückzugewinnen, sondern offensichtlich nutzt er seine neue Position als VÖP-Präsident dazu, Politik gegen den ORF zu machen. Das ist schärfstens zurückzuweisen", teilte der ORF mit. Der ORF werde jedenfalls "in aller Sachlichkeit an der Aufarbeitung des Falles, der nicht vom ORF verursacht worden ist, mitwirken", erklärte Hörfunkdirektor Karl Amon. (APA, red, 29.4.2016)