Michael Köhlmeier schickt Bob Dylan ein paar herzliche Gedanken zum Geburtstag.

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STANDARD: Bob Dylan wird heute 75 Jahre alt. Werden Sie den Tag besonders begehen?

Köhlmeier: Nein, ich bin kein Ministrant von ihm und kein Anverwandter. Aber ich werde ein paar warme und herzliche Gedanken über den Ozean schicken.

STANDARD: Er veröffentlicht zu seinem Geburtstag ein neues Album. Haben Sie das schon gehört?

Köhlmeier: Ja, es ist eine Fortsetzung des letzten Albums Shadows In The Night mit Liedern von Frank Sinatra. Am Anfang dachte ich, das müsste jetzt nicht sein, aber ihm gelingt es, sogar Sinatra-Lieder so zu arrangieren, dass sie wie Dylan-Nummern klingen.

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Der Jahrhundertmusiker Bob Dylan Ende der 1960er-Jahre in den Wäldern von Woodstock. Am 24. Mai wird er 75 Jahre alt. Der Welt und dem Autor Michael Köhlmeier hat er viel Freude geschenkt.
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STANDARD: Sie betonen immer, ein unkritischer Fan Dylans zu sein. Was bedeutet das?

Köhlmeier: Ich bin ein Begeisterter. Man sollte sich wahrscheinlich nicht zu viele Menschen gönnen, denen man nur mit Begeisterung gegenübertritt, aber einen kann man sich im Leben gönnen. Und ich habe festgestellt, dass Kritik, wenn sie auch wahr ist, Begeisterung auf Dauer zersetzen kann. Das möchte ich nicht. Bob Dylan hat so unglaublich viele Lieder geschrieben, dass ich verrückt wäre, mich auf die zu konzentrieren, die mir weniger gut gefallen.

STANDARD: Wenn Ihnen ein Dylan-Album nicht gefällt, suchen Sie den Fehler bei sich.

Köhlmeier: Immer wieder hat er seine Fans vor den Kopf gestoßen. Zum Beispiel mit dem Album Self Portrait. Da war ich fassungslos, als ich das gehört habe. Jetzt spielt der so alte Hadern wie Blue Moon oder The Boxer von Paul Simon nach und singt die zweite Stimme selber dazu. Ich habe das Album einfach ausgeblendet und erst später festgestellt, wie unglaublich gute Interpretationen da drauf sind. Da habe ich mir gedacht: Gut, liegt es halt an mir. So ging es mir ein paar Mal.

STANDARD: Manfred Deix hatte sein Beach-Boys-Erweckungserlebnis beim Haarewaschen. Können Sie sich an Ihren Dylan-Moment erinnern?

Köhlmeier: Ich fühle mich dem Deix sehr nahe, wie er die Beach Boys verehrt, das ist dieselbe Begeisterung. Ich war mit zwei befreundeten Lehrern und zwei englischen Freundinnen unterwegs, und wir haben Marihuana geraucht. Ich habe Dylan schon gekannt, klar, aber einer hatte Highway 61 Revisited ganz neu dabei gehabt und hat sie uns vorgespielt. Das war's. Ich dachte, dieser Mann singt nur für mich, und die anderen hören halt zufällig mit. Und so ging es vielen. Er ist der Künstler, der mich in meinem Leben inspiriert hat wie kein anderer. Keine Literatur, kein Film hat mich je so inspiriert wie seine Musik.

STANDARD: Welche war denn die schwerste Prüfung für den Fan?

Köhlmeier: Die Jesusphase hab' ich übersprungen. Da bin ich zwar nicht abgefallen, aber mein Interesse ist zurückgegangen. Wobei auf Slow Train Coming prächtige Stücke drauf sind. Das ist es ja: Er hatte immer Platten, von denen ich sagen konnte, da ist keine Nummer drauf, die mir gefallen hat, außer der einen. Eine gibt's immer. Und oft hört man eine Nummer, die jemand anderer interpretiert, und dann gefällt die einem. Etwa dieses hunderttausendmal von anderen gesungene I Shall Be Released, das er selber nur in einer hupfigen Nebenbeiversion gebracht hat, und wie schön es ist, wenn das zum Beispiel der Joe Cocker singt. Aber wenn man so ein Songreservoir hat, kann man es sich leisten, einen Song wie Blind Willie McTell einfach liegenzulassen. Jeder andere Musiker würde sagen: Das ist die beste Nummer, die ich je geschrieben habe.

STANDARD: Haben Sie ein Lieblingslied?

Köhlmeier: Das ist ein Wanderpokal. Aber es gibt so Sachen wie You're A Big Girl Now. Zurzeit höre ich gerne Tempest, das lange Lied über den Untergang der Titanic. Über 40 Strophen immer gleich, das mag ich sehr gern.

STANDARD: Haben Sie Dylan jemals getroffen?

Köhlmeier: Ich war einmal bei einem Konzert in Innsbruck backstage. Ich kannte die Vorband, und wir haben immer geschaut, wo er ist. Und dann bin ich vor ihm gestanden, bei den Brötchen, aber ich habe mir gedacht, man begegnet sich besser nicht.

STANDARD: Hatten Sie Angst, sich einen Mythos zu zerstören?

Köhlmeier: Ja wie kommt denn er dazu, dem Bild zu entsprechen, das ich von ihm habe?

STANDARD: Er ist ja einer der größten Missverstandenen des Pop.

Köhlmeier: Wahrscheinlich. Das ist wie beim Shakespeare, bei dem sich alle den Kopf zerbrechen, wer er denn war. Das ist doch Unsinn. Er hat uns unglaubliche Stücke hinterlassen, was soll man da noch wissen wollen? Darum war ich skeptisch, als Dylan das Buch Chronicles Vol. 1 veröffentlichte. Da dachte ich, jetzt kommen die Homestorys. Aber er hat es nicht gemacht, er hat einfach aus seinem Musikerleben berichtet. Alles andere interessiert mich auch nur sehr bedingt.

STANDARD: Wie stehen Sie zur Idee, Bob Dylan für den Literaturnobelpreis zu nominieren?

Köhlmeier: Das Komitee hat bisher die Chance vertan, die Popkultur als originäre Literatur des 20. Jahrhunderts wahrzunehmen. Diese Songkultur ist ja eine ganz eigene Gattung. Wenn sie einmal draufkommen, das nachzuholen, ist Bob Dylan der, der als Anwärter an erster Stelle steht. Wenn er's nicht kriegt, ist es auch kein Schaden. Aber dass über ihn diese ganze Gattung geehrt würde, da dürfte sich das Komitee nicht zu vornehm dafür sein.

STANDARD: Gibt es einen Wunsch, den Ihnen Dylan erfüllen könnte?

Köhlmeier: Ja. Wenn er sich schon den Liedern von Frank Sinatra nähert, vielleicht könnte er sich auch jenen des Franz Schubert nähern. Die Vorstellung, dass Dylan aus Schubert-Liedern Bob-Dylan-Lieder machen könnte, ist unglaublich erregend. Ich kann es mir nicht wünschen, aber es mir gut vorstellen. (Karl Fluch, 24.5.2016)