In Österreich kommen immer öfter Djihadisten vor Gericht. Hier eine Szene am Eingang vor Beginn einer Verhandlung am Landesgericht in Graz.

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Wien/Brüssel – Es ist der wohl umfassendste Überblick zu Menschenrechtsfragen in der gesamten Europäischen Union: Der am Montag veröffentlichte alljährliche Bericht der EU-Grundrechteagentur (FRA) mit Sitz in Wien, der auf 204 Seiten die Lage im Jahr 2015 rekapituliert, stellt dar, wo es in Europa Grundrechtsfortschritte und wo es -probleme gab. Er ermöglicht Vergleiche innerhalb der Staatengemeinschaft, von A wie Asyl – wo die FRA eine Vielzahl EU-weiter Anregungen formuliert – bis Z wie Zugang zur Justiz.

So etwa, was die Beteiligung aus Österreich kommender Foreign Fighters aufseiten der Terrormiliz IS und anderer jihadistischer an den Kämpfen in Syrien und im Irak beteiligter Gruppen angeht. Laut einer auf mehreren Quellen basierenden Erhebung sind aus Österreich im EU-Vergleich die viertmeisten Kämpfer in die dortigen Kriege gezogen.

150 Djihadisten aus Österreich

Konkret hat es sich im Dezember 2014 laut Expertenschätzungen um 150 Personen aus Österreich gehandelt, besagt eine Grafik in dem FRA-Bericht. Aus Belgien – das mit elf Millionen Einwohnern rund drei Millionen mehr als Österreich hat – sind bis April laut Schätzungen 440, aus Frankreich (66 Millionen Einwohner) 1.550, aus Dänemark (fünf Millionen Einwohner) 150 Foreign Fighters in den Nahen Osten gegangen. Hinter Österreich liegen Großbritannien (64 Millionen Einwohner, 700 Kämpfer) und Deutschland (80 Millionen Einwohner, 700 Kämpfer).

Im Innenministerium bestätigt ein Sprecher, "dass die Zahl von Syrien- und Irak-Kämpfern aus Österreich relativ hoch ist". Doch: "Wir haben dafür eine relativ geringe Dunkelziffer" – deren Hintergründe aber in den polizeitaktischen Bereich fallen würden.

Flucht aus Tschetschenien

Frankreich und Belgien würden als Gründe "historisch" die Einwanderung aus dem Maghreb sowie die Problematik der überwiegend von Migranten bewohnten Banlieues aufweisen, erläutert der Sprecher. Die recht hohe Foreign-Fighters-Zahl in Österreich wiederum wurzle in dem Umstand, dass hierzulande "die größte tschetschenische Community ganz Europas" existiere – eine Folge der starken Fluchtbewegung aus Tschetschenien nach Österreich nach der Jahrtausendwende. Aus einer Vielzahl von Gründen sei die jihadistische Radikalisierung unter Exiltschetschenen relativ hoch.

Einen völlig anderen Bereich, jenen der Gleichstellung von Männer und Frauen, betrifft indes die laut dem FRA-Jahresbericht in Österreich hervorstechendste Schieflage: Laut einer Eurostat-Statistik, auf die sich die FRA in dem Jahresbericht beruft, weist Österreich hinter Estland unionsweit den zweitbreitesten Gender Gap auf – Frauen würden hierzulande um 22,9 Prozent weniger als Männer verdienen. Am geringsten ist der Unterschied in Slowenien (2,5 Prozent), EU-weit beträgt er 15,3 Prozent.

Gender Gap bleibt

Bei der Eurostat-Erhebung würden weder die hohe Frauenerwerbsquote noch deren hohe Teilzeitquote in Österreich einberechnet, sagt dazu Tamara Geisberger, Genderexpertin bei der Statistik Austria. Auch werde nicht berücksichtigt, in welchem Ausmaß Frauen in Österreich in schlechter bezahlten Berufen als Männer arbeiteten: ein Faktor, der für 9,1 Prozentpunkte des laut Eurostat bestehenden Gender Gaps verantwortlich war. Dennoch: Für den restlichen Abstand gibt es laut Statistik Austria keine in der Berechnungsart fußenden Gründe.

Indirekte, aber keineswegs exklusive Kritik übt die Grundrechteagentur in dem Jahresbericht auch an der Gleichbehandlungspolitik in Österreich. Denn wie in einer Reihe weiterer Mitgliedsstaaten sei es auch in Österreich bisher nicht gelungen, den Schutz sämtlicher Minderheiten via Levelling-up auf ein gleiches Niveau zu heben. Das sei jedoch auch ein Problem des nationalstaatlich besetzten EU-Rats: Die Verhandlungen über eine Vereinheitlichung des Schutzes durch eine neue Richtlinie gingen bereits in ihr siebentes Jahr. (Irene Brickner, 31.5.2016)