Foto: Guido Gluschitsch
Grafik: der Standard
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Die Carabinieri kamen mehrfach nachschauen. Sie wollten keine Papiere sehen, sie wollten nur schauen, ob der Wagen noch dasteht – und ein wenig dem rauen Sound des Motors lauschen. Sie nickten kundig und schmiegten sich an den Wagen. Zwölfzylinder? Aha. Doppelturbo? Der Carabiniere spitzte die Lippen. Soso. Sechs Liter Hubraum? Sì, sì.

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Tatsächlich ist der GT Speed das schärfste und schnellste Modell, das Bentley anzubieten hat, und das offen. Der Zwölfzylinder leistet immerhin 635 PS. Aber echt jetzt. Der Carabiniere pfeift durch die Zähne und macht eine Handbewegung, als wolle er sich mit den Fingerkuppen die Backe aufritzen. Dann sagt er so etwas wie Scheiß michan auf Italienisch. Als der Motor mit einem kurzen Brüllen anspringt, nimmt der Beamte Haltung an. Wir lassen ihn im Nachhall der Basstöne, die wie aus Orgelpfeifen erklingen, zurück. Acht Gänge rauf, acht Gänge runter. Vroum, vroum, vroum, fein abgestimmt. Im Rückspiegel sehen wir, wie der Carabiniere das Handy zum Ohr führt. Die Heftigkeit, mit der er beim folgenden Gespräch gestikuliert, lässt darauf schließen, dass er eher seinem besten Freund die Kunde vom Orgelkonzert weiterträgt, als dass er sich seinem Vorgesetzten anvertraut.

Weingartenwedeln

Wir wedeln mit leichtem Hintern die gewundene Straße durch die Weingärten hinunter. Es ist kaum zu glauben, wie leichtfüßig und grazil die 635 PS – jedes einzeln und alle zusammen – den Zweieinhalbtonner machen: Der Bentley tritt auf mit dem ganzen Brimborium von feinstem Leder, edelsten Hölzern und schönsten Metallen – und hat dennoch die Anmutung eines Supersportwagen. 635 PS. Hatten wir schon? Aber 327 km/h Spitze. Offen. Da ziehen wir uns aus Respekt die Mütze ein wenig tiefer ins Gesicht.

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Ein Wort vielleicht noch zum Preis. Da ist an sich nicht viel zu sagen. In der Modellpreisliste für 2017 steht der Continental GT Speed Convertible mit 312.180 Euro. Ja. Wirklich. Mit ein bisschen Schnickschnack geht es noch weiter nach oben. Unser bescheiden gehaltenes Testfahrzeug kommt auf 340.930 Euro und 80 Cent.

107 Farben, sieben Hölzer

Pervers? Nur für den, der nicht hat und zuschauen muss. Für den, der drinnensitzt, fühlt sich das ganz stimmig an. Vom Lenkrad angefangen über die schönen Nähte, die Belüftungspfeifen, die Naim-Anlage, alles feinste Ware. Serienmäßig stehen 107 Farben zur Auswahl, im Innenraum kann man sieben Hölzer mit Carbon oder Aluminium kombinieren, die Lederhäute kommen von Tieren aus Nordeuropa, 17 Farben sind von der Stange verfügbar, genäht wird im Werk in Crewe, England. Bei der Individualisierung des Wagens sind kaum Grenzen gesetzt, gegen Aufpreis gibt es jede erdenkliche Farbe innen und außen, auch Einlegearbeiten im Armaturenbrett sind möglich. Letztendlich ist alles eine Frage des Geschmacks und der finanziellen Mittel.

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Wir mögen es gerne schlicht, daher waren wir mit dem schönen Blau und dem in Beluga gehaltenen Innenraum hochzufrieden. Beim Zwischenstopp am Faaker See klappten wir den Badegästen, die sich zu einem Entspannungsbier bei der Tankstelle eingefunden hatten, einzeln die Kinnladen wieder zu, füllten 80 Euro in den Tank und verwiesen auf die inneren Werte. Die finden sich beim GTC Speed unter der Motorhaube. Die Maschine ist ein Koloss, lässt sich aber unkompliziert dirigieren. Das Drehmoment von sagenhaften 820 Newtonmeter ist jederzeit abrufbar und presst die Insassen bei forciertem Tempo in die weichen Lederkissen. Die Beschleunigung auf 100 km/h gelingt in 4,4 Sekunden, mit der schon erwähnten Höchstgeschwindigkeit ist dieser Bentley der schnellste offene Viersitzer der Welt.

Präzise Lenkung, variable Dämpfung

Ganz erstaunlich ist aber, wie grazil der Bentley die Kurven nimmt. Die variable Dämpfung, die präzise Lenkung und die dezente Tiefer legung machen aus dem Schlachtschiff ein Schnell boot. Die Gänge lassen sich automatisch sortieren oder im Sportprogramm über die Schaltwippen einlegen. Was die Fahrdynamik anbelangt, hält der Bentley mit Supersportwägen locker mit.

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Tatsächlich können hinten auch zwei Personen sitzen, zwar nicht rasend bequem, aber zur Not lassen sich kürzere Distanzen damit überwinden. Der Kofferraum reicht für ein langes Wochenende, die ganz große Garderobe für den ausgedehnten Sommerurlaub wird allerdings keinen Platz finden.

Endlose Weiten

Wer sich diesen Wagen leistet, wird aber vermutlich irgendwo in der Tiefe der Garage noch ein geräumigeres Fahrzeug stehen haben. Wobei wir hier festhalten wollen: Uns tät der GTC schon reichen. (Michael Völker, 6.6.2016)

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ZWEITE MEINUNG

Bei diesem Wagen prallen Welten aufeinander. Smoking trifft auf Sprintrekord, Sonnenschein auf Donnergrollen, Langstrecke auf ganz schön viel Schotter. Es ist unglaublich, wie agil sich dieser ja eigentlich blunzenschwere Bentley fährt, wie herrlich er beschleunigt und wie brachial er dabei durch die Endrohre brüllt. Da hat es sogar der 911er schwer, mit dem Flüchten. Doch sobald man den Fuß vom Gaspedal lupft, verwandelt sich der Brite wieder in den Luxusschlitten, den man sich um das Geld erwartet. (Guido Gluschitsch)